Knorpel im Weltall

Seit dem 10. November ist der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst zurück auf der Erde, nachdem er für fast 166 Tage im Rahmen der Blue Dot Mission auf der Internationalen Raumstation ISS die Erde umrundet hat. „Ich wünschte, jeder Mensch könnte einmal einen Sonnenaufgang aus dem Orbit sehen. Habe jedes Mal eine Träne im Auge“, twitterte der 38-Jährige aus dem Weltall.

Neben der Faszination stellt ein Aufenthalt in Schwerelosigkeit für die Astronauten eine große körperliche und psychische Herausforderung dar. Seit vielen Jahren ist die Deutsche Sporthochschule Köln in die raumfahrtmedizinische und -physiologische Weltraumforschung eingebunden und leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Astronauten – so auch bei der nun abgeschlossenen ISS-Expedition 40/41.

Prof. Dr. Gert-Peter Brüggemann, Dr. Anna-Maria Liphardt und PD Dr. Anja Niehoff vom Institut für Biomechanik und Orthopädie untersuchen in ihrem Experiment „Cartilage“, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (Projekt: 50WB1217) und der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) gefördert wird, den Einfluss der Schwerelosigkeit auf die Morphologie und Biologie des Knorpels im Kniegelenk der Besatzungsmitglieder der ISS. Mittels Kernspintomographie (in Kooperation mit der Uniklinik Köln) und Biomarkern aus Blut und Urin erforschen die WissenschaftlerInnen, ob die reduzierte mechanische Belastung in Schwerelosigkeit zu einer Degeneration des Gelenkknorpels führen kann. Ausgangspunkt für diese Annahme ist die Tatsache, dass eine moderate Gelenkbelastung zur Nährstoffversorgung und für die Funktion des Gelenkknorpels unverzichtbar ist, da in diesem Gewebe keine Blutgefäße vorhanden sind.

Vorangegangene Bettruhe-Studien, ein in der Forschung anerkanntes Modell, um einige physiologische Effekte von Schwerelosigkeit zu simulieren, haben gezeigt, dass die Dicke des Kniegelenkknorpels am Schienbein, aber nicht am Oberschenkelknochen deutlich abnahm. Um den Einfluss der Schwerelosigkeit auf den Kniegelenkknorpel zu untersuchen, wurden unmittelbar vor dem Flug zur ISS Morphologie und Zusammensetzung des Gelenkknorpels der Astronauten mittels Kernspintomographie gemessen und Parameter des Knorpelstoffwechsels im Blut und Urin untersucht. Die gleichen Untersuchungen finden nun zum Vergleich direkt nach der Landung im Laufe dieser Woche und erneut vier bis sechs Wochen sowie ein Jahr nach dem Flug statt. 

Wissen über den Effekt der Schwerelosigkeit auf den Gelenkknorpel der Astronauten und die Erarbeitung entsprechender Gegenmaßnahmen ist von großer Bedeutung im Hinblick auf längerfristige Aufenthalte auf der ISS oder auf exploratorische Missionen zu Mond, Mars und anderen Zielen. Die Ergebnisse sind jedoch auch von besonderem Interesse für den Menschen auf der Erde, sei es für Patienten mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit oder ganz generell für die Behandlung der Volkskrankheit 'Arthrose' in einer immer älter werdenden Gesellschaft.

Immobilisation durch Schwerelosigkeit bietet uns das einzige Modell, mit dem man das Kniegelenk gesunder Probanden für einen so langen Zeitraum entlasten kann, um dadurch den Effekt von Inaktivität ohne Krankheitsaktivität zu untersuchen und besser zu verstehen. Erfolgreiche Gegenmaßnahmen zum Knorpelerhalt würden auch hier das Leben im Alter weiter verbessern.

Kontakt
Institut für Biomechanik und Orthopädie
Dr. Anna-Maria Liphardt
Tel.: +49 9131 85 43206
PD Dr. Anja Niehoff 
Tel.: +49 221 4982-5620