Nr. 2/2016

Sportkurse für krebskranke Kinder

Den Nachwuchspreis in der Kategorie Lebenswissenschaften hat die Deutsche Sporthochschule zuletzt an die junge Wissenschaftlerin Dr. Julia Däggelmann verliehen. Sie beschäftigte sich in ihrer Promotion mit einem gruppenbasierten Sportprogramm für krebskranke Kinder und Jugendliche nach stationärer onkologischer Therapie, ein Thema von großer gesellschaftlicher Relevanz. Über die Arbeit mit krebskranken Kindern, die Ergebnisse ihrer Untersuchung und ihre weiteren Pläne sprachen wir mit der jungen Frau, die selbst vor kurzem Mutter geworden ist.

Sie beschäftigen sich nun schon seit einigen Jahren mit dem Thema Sport bei krebskranken Kindern. Wie sind Sie zu diesem Schwerpunkt und damit auch zum Thema für Ihre Dissertation gekommen?

Schon während meines Studiums an der Deutschen Sporthochschule Köln habe ich als studentische Hilfskraft im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin in der Arbeitsgruppe Bewegung, Sport und Krebs von PD Dr. Freerk Baumann gearbeitet. Ich wusste, dass ich auf jeden Fall mit Kindern zusammenarbeiten möchte.  Als meine Diplomarbeit anstand, wollte ich ein Projekt mit Kindern umsetzen und dieses im Idealfall langfristig etablieren. Unsere Arbeitsgruppe ‚Bewegung, Sport und Krebs‘ hat dann mit Dr. Aram Prokop, Leiter der Abteilung für Kinderonkologie des Kinderkrankenhauses Amsterdamer Straße in Köln, einen begeisterten Unterstützer gefunden. Im ersten Schritt habe ich Motoriktests mit den Kindern und Jugendlichen durchgeführt, um auf diesen Ergebnissen aufbauend das Konzept für das Sportprogramm zu entwickeln. Zielgruppe der Studie waren Kinder und Jugendliche, die eine onkologische Therapie auf der Station abgeschlossen hatten. Dr. Prokop hat uns dabei sehr geholfen, weil er die Kinder und Eltern überzeugt hat, bei meinem Nachsorgeprojekt mitzumachen.

Wie sah das Bewegungsprogramm letztlich aus und wie wurde es durchgeführt?

Trainiert wurde in mehreren kleinen Gruppen mit drei bis sechs Kindern im Alter zwischen vier und 18 Jahren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trainierten über sechs Monate einmal in der Woche für 60 Minuten in einer Sporthalle im Kinderkrankenhaus. Vor Beginn der Trainings, nach drei und nach sechs Monaten wurden Motoriktests mit den Probanden durchgeführt. Die Daten, die ich in dieser Zeit erhoben habe, habe ich im Rahmen der Doktorarbeit evaluiert und diskutiert. Das Programm ist inhaltlich an das Alter der Kinder und Jugendlichen angepasst. Während mit den kleineren Kindern vor allem Spiele durchgeführt werden, steht bei den Größeren in erster Linie ein motivierendes Kraft- und Ausdauertraining auf dem Trainingsplan. Dabei passen wir die Trainingsinhalte immer an die individuelle Situation der Kinder an. Denn: Die Kinder sollen gefordert werden, aber eben weder überfordert noch übervorsichtig behandelt werden.

Einen Wert, den Sie ausgewertet haben, war die Dorsalflexion im Sprunggelenk. Was hat es damit auf sich?

Viele Kinder haben nach der Krebstherapie eine sogenannte Fußheberschwäche. Dadurch können sie nicht gut laufen und rennen, sie stolpern häufiger und fallen öfters hin. Wir wissen noch nicht genau, woher diese Fußheberschwäche kommt. Ein Grund ist sicherlich, dass die Kinder während der Therapie sehr viel liegen und sich dadurch die Muskulatur zurückbildet. Auch die Medikamente könnten Einfluss haben. Nach der Therapie bewegen sich viele Kinder sehr unsicher und sind schnell erschöpft. Daher macht es ihnen natürlich auch weniger Spaß, sich körperlich zu betätigen. Weil wir die Kinder aber ja motivieren wollen aktiv zu sein, war dieser Wert für uns von besonderem Interesse.

Zu den Ergebnissen: Welche körperlichen Effekte hatte das Training für die krebskranken Kinder?

Es konnte nachgewiesen werden, dass sich die motorische Leistungsfähigkeit ganz deutlich verbessert hat. Viele Kinder konnten nach sechs Monaten schon wieder mit gleichaltrigen, gesunden Kindern mithalten. Das hat jedoch vermutlich nicht nur mit dem einmal pro Woche stattfindenden Training zu tun, da dieses  aus sportwissenschaftlicher Sicht wohl keinen derartigen Trainingseffekt hat. Doch durch die Teilnahme an unserem Sportprogramm haben sich die Kinder vermutlich wieder viel mehr zugetraut und sind auch in ihrer Freizeit aktiver geworden. Sie haben wieder dieses Selbstbewusstsein „Ich kann Sport machen“ entwickelt, weil sie in unseren Gruppen die Erfolgserlebnisse im Sport sammeln konnten.

Wo sehen Sie weiteren Forschungsbedarf für das Thema?

Mein Projekt und meine Promotion haben sich auf den Nachsorgesport für krebskranke Kinder bezogen, das heißt es waren nur Teilnehmer dabei, die die stationäre Therapie bereits abgeschlossen hatten. Nun haben wir auch angefangen, Sportkurse auf der Station anzubieten, also Patienten während ihrer Therapie zu trainieren. Hier untersucht meine Kollegin Vanessa Rustler aktuell den Einfluss von Vibrationstraining.  Bei erwachsenen Krebspatienten wurde bereits mit dem Vibrationstraining gearbeitet, aber bei Kindern und Jugendlichen noch nicht. Ein Ziel dabei wäre beispielsweise, dass sich die Fußheberschwäche gar nicht erst einstellt oder zumindest nicht so stark ausprägt.

Sie sind nun schon seit 2012 bei der Kooperation der AG „Bewegung, Sport und Krebs“ mit dem Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße dabei. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit bei der Arbeit mit krebskranken Kindern gemacht?

Generell nimmt man von den Kindern unheimlich viel Positives mit, zum Beispiel die Lebensfreude, die innere Einstellung, sich durchzukämpfen und nicht aufzugeben. Es ist eine große Freude, zu sehen, wie toll es für die Kinder ist, wenn sie plötzlich vom Trampolin runterspringen können oder Fangen spielen. Natürlich stellt die Arbeit einen aber auch vor besondere Herausforderungen. Und gerade jetzt mit einem eigenen Kind, hat man nochmal einen anderen Blick auf das Ganze.

Genau, Sie sind seit Kurzem selbst Mama. Hat dies Ihre Sicht auf Ihr Forschungsgebiet verändert?

Ich kann mich jetzt glaube ich ein wenig besser in die Elternperspektive hineinversetzen, zum Beispiel, was es bedeutet, wenn das Kind den ganzen Tag Untersuchungen über sich ergehen lassen muss,wochenlang im Krankenhaus liegt und die ganze Familie keinen geregelten Alltag mehr hat. Das ist für die ganze Familie eine sehr große Belastung.

Wie sehen Ihre Pläne für Ihre weitere wissenschaftliche Karriere aus?

Nach meiner Elternzeit möchte ich auf jeden Fall weiter an den Sportprojekten arbeiten. Wir haben da in den letzten Jahren sehr viel aufgebaut, indem wir die Sportkurse als festes Versorgungsprojekt etablieren konnten. Das Ziel für die nächsten Jahre ist, das Programm langfristig über die Krankenkassen zu finanzieren. Wir sind nun an einem Punkt, an dem wir das angehen können, auch wenn es vermutlich noch einen langen Atem braucht, bis das Programm nachhaltig finanziert wird.