Nr. 2/2017

Sportbedingte Gehirnerschütterungen – Wann ist der Wiedereinstieg möglich?

Dr. Ingo Helmich hat sich zu einem führenden Experten auf dem Forschungsgebiet „Sportbedingte Gehirnerschütterungen“ entwickelt. Er arbeitet mit einer relativ neuen optischen Methode zur Untersuchung der Sauerstoffversorgung im Gehirn nach einem Schädeltrauma: der funktionellen Nahinfrarotspektroskopie. Dieses Verfahren hat sich als probate Diagnosemethode für sportbedingte Gehirnerschütterungen erwiesen. Wann ein Athlet seinen Sport wieder aufnehmen kann und wie sich ein verfrühter Wiedereinstieg vermeiden lässt, will Ingo Helmich weiter untersuchen.

Es gibt ein paar prominente Beispiele aus dem Profisport, die zeigen, dass Gehirnerschütterungen schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen haben können. Wo genau liegt die Gefahr?

Eine Gehirnerschütterung an sich stellt grundsätzlich meistens kein großes Problem dar. Vorausgesetzt, sie wird richtig diagnostiziert und richtig auskuriert. Gefährlich wird es, wenn ein Sportler zu früh wieder mit dem Sport beginnt und einen zweiten Schlag auf den Kopf bekommt. Das kann schwere Folgen haben, wie etwa das Beispiel Stefan Ustorf zeigt. Der ehemalige Eishockeyspieler musste seine Karriere beenden, nachdem er eine erneute Gehirnerschütterung erlitt, ohne dass die Folgen einer vorangegangenen Kopfverletzung ausgeheilt waren.

Der Fußballer Christoph Kramer spielte im WM-Finale 2014 trotz Gehirnerschütterung noch 15 Minuten weiter. Hat die medizinische Abteilung des DFB die Verletzung unterschätzt?

Das Problem ist, dass diese Art der Verletzung auf den ersten Blick keine sichtbaren Spuren hinterlässt. Außerdem herrscht in vielen Sportarten eine eher herablassende Attitüde gegenüber Gehirnerschütterungen. So hat etwa eine Studie im American Football gezeigt, dass 43 Prozent der untersuchten Spieler mit einer Gehirnerschütterung noch am selben Tag wieder gespielt haben. Der Fall von Christoph Kramer ist ein markantes Beispiel dafür, wie häufig das passiert. Denn in wichtigen Spielen wie einem WM-Finale stehen alle Beteiligten unter Druck, der Spieler selbst will meistens weiter machen, der Trainer will seine besten Spieler auf dem Spielfeld haben, und die Mediziner stehen mit ihrer Diagnose extrem unter Zeitdruck, weil die eigene Mannschaft in Unterzahl auf dem Platz steht, so lange die Untersuchung andauert. Dies alles erschwert eine wohldurchdachte Analyse der Situation und eine medizinische Diagnose.

Ist es überhaupt möglich, innerhalb weniger Minuten verlässliche Aussagen zur Schwere des Traumas zu machen?

Es gibt das so genannte Concussion Protocoll, das sind Gedächtnistests und neuropsychologische Tests, mit denen sich schnell feststellen lässt, ob weitere Untersuchungen notwendig sind. Das findet in vielen Bereichen des Sports aber noch gar nicht statt, außer eben in den markanten Sportarten wie Football, Rugby, Eishockey, Boxen. Unsere neue Methode, die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie, ist ein bildgebendes Verfahren, welches die Arbeitsweise des Gehirns nicht invasiv untersucht. fNIRS kann zeigen, dass Personen, die an den Symptomen einer Gehirnerschütterung leiden, bei bestimmten Gedächtnisaufgaben eine geringere Sauerstoffversorgung in bestimmten Hirnarealen aufweisen.

In Kontaktsportarten wie Boxen sind Schläge an den Kopf Ziel des Wettkampfes, im Fußball sind Kopfverletzungen dagegen kaum präsent. Wie sieht genau die Verteilung von Gehirnerschütterungen nach Sportarten aus?

In den USA kommt es Schätzungen zufolge zu 1,6 bis drei Millionen sportbedingten Gehirnerschütterungen pro Jahr. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Höchste Inzidenzraten finden sich im Boxen, American Football, Eishockey, Rugby, Fußball und Basketball. In Deutschland gab es bislang keine Daten zur Verbreitung sportbedingter Gehirnerschütterungen. Daher war unser erstes Ziel, vor allem die deutschlandtypischen Sportarten zu betrachten. Dies haben wir mittels einer Onlinebefragung von 3.000 SportlerInnen aus Fußball, Handball, Basketball und Volleyball getan. Es zeigt sich, dass 18 Prozent der Befragten bereits eine diagnostizierte Gehirnerschütterung in ihrer  Sportart erfahren haben, im Fußball sind es sogar 25, im Handball 24 Prozent, im Basketball 15 und im Volleyball 13 Prozent. Auffällig und auch kritisch ist, dass im Amateursport deutlich mehr Ereignisse stattfinden als im Profisport, wo ja gerade im Freizeitbereich nur äußerst selten eine medizinische Betreuung vor Ort vorhanden ist.

Vor ziemlich genau einem Jahr kam der Film ‚Concussion – Erschütternde Wahrheit‘ in die Kinos, der das lange tabuisierte das Thema Gehirnerschütterungen im US-amerikanischen Profi-Football anspricht. Welche Rolle spielen Kopfverletzungen in der deutschen Sportdebatte?

Das Thema wird derzeit im deutschen Sport heiß diskutiert und ist aufgrund verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen in den Medien sehr präsent. In den USA spielt die Problematik aber eine wesentliche größere Rolle, denn es werden immer schwerwiegendere Folgen sichtbar. So tritt bei 20 Prozent aller professionellen Boxer eine chronische traumatische Hirnschädigung auf. Der amerikanische Fußballverband US Soccer Federation hat nun Regeländerungen für Kinder und Jugendliche beschlossen, die das Kopfballspiel stark einschränken. Allerdings kursiert auch die Angst, Forschungsergebnisse könnten das Image bestimmter Sportarten beschädigen.

Für 2017 erhalten Sie das Familienstipendium der Deutschen Sporthochschule Köln, das Ihnen ermöglichen soll, sich um ihre Familie zu kümmern und zugleich an einem Paper zu arbeiten.

Genau. Ich hoffe, dass mich die monatliche Summe, die ich durch das Stipendium erhalte, in diesem Jahr durch den Review-Prozess bringt, der ja recht lange dauern kann. Das Paper stellt die Ergebnisse zu Gehirnerschütterungen bei Fahrradfahrern vor.  Bei der Publikation handelt es sich um eine Sonderausgabe des Fachmagazins Sport, Exercise, and Performance Psychology der American Psychological Association, also eine Art Themenheft, welches sich auf wissenschaftliche Beiträge zu Gehirnerschütterungen im Sport fokussiert. Ein Ergebnis, das ich verraten kann, ist, dass tendenziell die sportlichen Fahrer eher Gehirnerschütterungen erleiden als der klassische Hollandradler. Insbesondere Radfahrer mit Helm erleiden tendenziell eher eine Gehirnerschütterung, was aber auch daran liegen könnte, dass diese generell sportlicher unterwegs sind und der Helm möglicherweise die Risikobereitschaft erhöht. Weitere Untersuchungen sind notwendig.

Dank einer hochschulinternen Forschungsförderung haben Sie die Möglichkeit, eine neue langfristig angelegte Studie durchzuführen. Was werden Sie da künftig untersuchen?

Hierbei geht es darum, die Diagnose von Gehirnerschütterungen mittels der Nahinfrarotspektroskopie weiter zu verfeinern. Wir wollen versuchen, Vor- und Nachhermessung bei ein und derselben Person durchzuführen, das heißt Sportler zu finden, die in den einschlägigen Sportarten aktiv sind und die dort potenziell eine Gehirnerschütterung erleiden können. Wir unterziehen die Probanden verschiedenen Tests und wollen u.a. herausfinden, wie sich die Personen nach einer Gehirnerschütterung rehabilitieren und wie der Verlauf konkret aussieht. Derzeit suchen wir genau diese Sportler, die bei den Untersuchungen mitmachen wollen. 

Letzte Frage: Ist die Habilitation eines Ihrer Zukunftsziele?

Auf jeden Fall! Für die Habilitation ist dieses Forschungsthema sehr geeignet, weil man es auch längere Zeit bearbeiten kann und der Forschungsbedarf in Deutschland hierzu groß ist. Und nun werden wir auch noch durch ein hochschulinternes Förderprogramm unterstützt, in dessen Rahmen wir uns anschauen, wie sich die Personen nach einer Gehirnerschütterung rehabilitieren und was im Falle einer erneuten Gehirnerschütterung passiert. Das Besondere an dieser geförderten Studie ist, dass wir die Sportler vor und nach ihrer Gehirnerschütterung untersuchen.

Text: Julia Neuburg

Kontakt

Probanden gesucht

Für seine neue Studie zu sportbedingten Gehirnerschütterungen sucht Helmich derzeit Probanden. Bei Interesse wenden Sie sich gerne an den oben stehenden Kontakt.