Nr. 2/2019

Chemiker, Abenteurer, Extremsportler

Er ist zu Fuß durch die Atacama-Wüste gewandert, hat drei Wochen von Flaschenpfand gelebt und ist mit dem Fahrrad auf den höchsten Vulkan der Welt gefahren. Ist er nicht auf Expedition, arbeitet er im Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule und analysiert Dopingproben. Sein Spezialgebiet ist die Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie. Dr. Frank Hülsemann (47) ist promovierter Chemiker, Abenteurer und Extremsportler. Im Interview verrät er, was den Reiz seiner Extrem-Aktionen ausmacht, warum die Wissenschaft immer mit reist und warum Sportler auf den Genuss von Wildschwein-Innereien verzichten sollten.

Herr Hülsemann, Sie leiten am Institut für Biochemie den Fachbereich Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie. Können Sie in einfachen Worten erklären, was das ist?
Wir können mit der Isotopentechnik zwischen körpereigenen und körperfremden Stoffen unterscheiden. Testosteron zum Beispiel, das wir im Körper selbst bilden, unterscheidet sich chemisch nicht von dem, was als Dopingmittel eingesetzt wird – aber das Verhältnis der Isotope 13C und 12C unterscheidet sich. Synthetisches Testosteron ist aus Pflanzenmaterial hergestellt und Pflanzen haben einen anderen Stoffwechsel. Synthetisch hergestellte Steroidhormone haben andere Isotopenverhältnisse als diejenigen, die vom Körper selbst gebildet werden. Die Isotopen-Bestimmung ermöglicht uns also verbotene synthetische Steroidhormone nachzuweisen.

Die Isotopentechnik ist in der Dopinganalytik ein etabliertes Verfahren. Gibt es dennoch spannende neue Entwicklungen?
Wir haben mit der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie, kurz IRMS, ein Verfahren, das seit 1996 angewendet wird. Aber natürlich wird es immer weiter verfeinert und auch überprüft. Aktuell haben wir eine interessante Fragestellung, die auch gerade publiziert wurde: Kann es sein, dass der Verzehr von Wildschwein-Innereien zu einer positiven Dopingprobe führt? Klingt erst einmal abstrus, aber ja, es gibt gewisse Steroide im Schweinehoden, die der Mensch nicht produziert und die auf der Dopingliste stehen – weil sie nicht körpereigen sind – und dann kann es zu einem Problem kommen. Unsere Aufgabe ist es, spezifische Methoden zu entwickeln und Versuche durchzuführen, die überprüfen, ob es zu Auffälligkeiten kommen kann und wie dann damit umzugehen ist. 

Neben Ihrer wissenschaftlichen Arbeit am Institut für Biochemie planen Sie akribisch Extrem-Aktionen, die sie dann alleine oder mit anderen Wissenschaftlern durchführen. Was reizt Sie daran?
Das hat sich so entwickelt. Ich habe früher Leistungssport betrieben: Mittelstrecke, Langstrecke und Triathlon. Irgendwann war das ausgereizt und ich habe dann Radtouren, lange Radtouren und Radtouren in Gegenden unternommen, wo sonst niemand mit dem Rad unterwegs ist, wie in der Mongolei.  Es ist ein bisschen, wie bei einem Bergsteiger: noch höher, noch extremer, noch eine Schippe drauf. Ich bin dann durch die Wüsten Gobi und Atacama gelaufen, aber habe mich gefragt: Wo ist jetzt der Reiz, will ich jetzt zehn Jahre lang durch alle Wüsten laufen? Und so habe ich immer wieder neue Ideen entwickelt. Das ist eine Experimentierfreudigkeit, die tief in mir drin steckt. Und dann probiere ich es halt aus.

Die Wissenschaft spielt auch auf Ihren Expeditionen eine Rolle, wie zum Beispiel bei der Inkastaffel. Dort sind Sie gemeinsam mit sechs weiteren Langstreckenläufern 3.500 Kilometer durch die südamerikanischen Anden gelaufen … 
Bei unserem Laufexperiment quer durch das Inkareich wurde von den Läufern alle ein bis drei Tage eine Urinprobe morgens nach dem Aufstehen gesammelt. Nach unserer Rückkehr in Köln wurden die Isotopenverhältnisse des urinären Gesamtstickstoffes bestimmt. Zudem konnten im Rahmen dieser Studie zum ersten Mal  die mittel- und langfristigen Auswirkungen eines Höhenaufenthaltes mit und ohne körperliche Belastung auf die migratorische Aktivität, die Proliferation und die Apoptose von mesenchymalen Stammzellen in vivo untersucht werden. Die Höhenexpedition hat danach zu einer mittel- und langfristigen Konditionierung des Serums geführt. Man selbst ist häufig der schnellste Proband und es bietet sich einfach für uns an, Selbstversuche durchzuführen. Vor ein paar Jahren haben wir hier in unserer Abteilung unsere Ernährung komplett auf Mais umgestellt, um herauszufinden, ob das Auswirkungen auf den Nachweis von Steroiden hat.

Ihre letzte Aktion hat Sie auf einer Draisine, eine hölzerne Laufmaschine, 700km von Mannheim nach Paris geführt in 14 Tagen. Ihr Mitstreiter musste abbrechen, Sie sind ins Ziel gekommen. Wie war das rückblickend?
Hart. Aber zum Glück verwässert über die Zeit ja einiges. Als wir zuletzt auf den Draisinen saßen, haben wir beide gedacht: Ach, geht ja schon wieder. Das Laufmaschinen-Projekt war in der Vorbereitung extrem aufwändig. Ich habe alleine ein Jahr gebraucht, bis die zwei Maschinen fertig waren. Jetzt stehen sie im Museum, so gut sind sie gelungen.

Gibt es schon ein neues Vorhaben?
Ja, es gibt immer Vorhaben. Dieses Jahr geht es in das Land der 1.000 Berge. Das ist das Sauerland, Siegerland und Wittgensteiner Land.  Beim Bergsteigen gibt es ja auch den Trend zum Extrembergsteigen – immer höhere Gipfel in immer kürzerer Zeit oder alle Achttausender. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, habe ich mir jetzt überlegt: 1.000 Berge im Land der 1.000 Berge in 1.000 Stunden. Das heißt, jede Stunde ein Berg – insgesamt sechs Wochen. Ich bin auch nicht der Einzige, der auf so bekloppte Ideen kommt. Es gibt gerade eine Engländerin, die macht die 1.000 Berge in England. Wenn ich gleich auf mein Fahrrad steige und nach Hause fahre, dann arbeitet es wieder in mir. Die Vorbereitungen sind jedes Mal sehr aufwändig. Aber nur deswegen können sie funktionieren, weil sie so akribisch durchgeplant sind.

Wie bekommen Sie das überhaupt gestemmt, neben Familie und Beruf?
Ich bin nicht die sechs Wochen komplett unterwegs. Ich gehe immer abwechselnd drei Tage arbeiten und bin dann wieder fünf Tage unterwegs. Geplant ist die Aktion für die Monate Mai und Juni, in denen viele Brückentage liegen, so dass ich das arbeits- und familienverträglich hinbekomme. Das ist natürlich mein Privatvergnügen und somit Urlaubszeit. Ich habe schon lange nicht mehr so zielgerichtet trainiert, wie jetzt für die 1.000er. Das wird eine große Herausforderung.

Viel Erfolg!

Interview: Lena Overbeck