Nr. 4/2018

„Wir wollen den E-Sport als solchen weiter bringen.“

Kevin Rudolf forscht am Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation und hat sich zu einem versierten Kenner der E-Sport-Forschung entwickelt. Er glaubt, dass dieser Forschungszweig in den kommenden Jahren immer mehr Bedeutung erlangen wird.   

Herr Rudolf, auf Kongressen und Symposien sind Sie einer der gefragtesten Experten zum Thema E-Sport. Sind sie ein Zocker, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat?

Ich habe zwar eine große Affinität zu Computerspielen, mag aber eher Spiele mit Story, als die klassischen E-Sport-Games. Allerdings hat mich schon immer interessiert, welche körperlichen Prozesse beim Spielen vor dem Bildschirmen ablaufen. In den vergangenen Jahren ist dann das Interesse an Forschungserkenntnissen im E-Sport enorm gestiegen; sieht man einmal von der Suchtforschung im psychologischen Fachbereich ab, gab es dort kaum Wissen. Und auch jetzt ist es noch so, dass man sprichwörtlich die Kirschen rauspicken und fragen kann: Was wollen wir als nächstes wissen?

Die Frage, die auf dem Themenfeld E-Sport am häufigsten gestellt wird lautet: Ist das wirklich Sport? Nervt es mit der Zeit, immer wieder diesen einen Punkt diskutieren zu müssen?

Nein, ich kann verstehen, dass die Leute sich für diesen Punkt interessieren. Gerade diejenigen, die nicht in der Gamingszene verwurzelt sind, suchen nach Schemata, in die sie neue Sachen einordnen können. Für die E-Sport-Szene selbst ist das gar nicht mehr so wichtig.

Wird es irgendwann eine Antwort geben?

Der neueste Verband, der sich im vorigen Jahr gegründet hat, arbeitet daran, in den Deutschen Olympischen Sportbund aufgenommen zu werden. Dazu müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, und das könnte funktionieren. Aber es geht hier auch um eine gesellschaftspolitische Entscheidung, denn Sport ist grundsätzlich nicht so einfach zu definieren, die Grenzen sind fließend. Wenn ich E-Sport mit Fußball vergleiche, bewegen die Spieler sich natürlich viel weniger. Aber beim Autorennen oder beim Schießen ist man körperlich auch nicht besonders aktiv. Sport ist eben breit gefächert.

Wird die E-Sport-Forschung innerhalb der Sporthochschule als echte Sportwissenschaft ernst genommen?

Computerspieler sind eine Zielgruppe, der die Forschung bisher kaum etwas zu bieten hat. Unser Institut befasst sich ja unter anderem mit der bewegungsorientierten Prävention. Von daher sehen wir eine unserer Aufgaben darin, die Gamer vom Bildschirm wegzubekommen, indem wir aufzeigen: Okay, wenn Ihr Eure Leistung nachhaltig verbessern wollt, müsst Ihr auch etwas für Eure Gesundheit tun. Bei diesem Argument, wird vielen Leuten klar, warum wir uns damit beschäftigen

Sie geben zum Beispiel Ernährungstipps. Geht es hier nicht in erster Linie um Aufklärungsarbeit in einer Jugendkultur?

Das kann man so sagen. Ein Problem ist beispielsweise, dass gerade die Hersteller von Energy-Drinks im E-Sport-Umfeld viel Geld investieren und den Sport so mit groß gemacht haben. Viele Gamer wissen, dass diese Zuckergetränke nicht gesund sind, nur sind die Stars der Szene fast alle von diesen Getränkeherstellern gesponsert, und die müssen immer wieder werbewirksam einen Schluck nehmen. Die Fans machen das dann nach. Aber auch unter den Profis gibt es Leute, die im Alter von  23 oder 24 ihre E-Sport-Karriere beenden müssen, weil sie körperlich nicht mehr können. Daher nimmt unsere Aufklärungsarbeit fast einen größeren Raum ein als die eigentliche Forschung.

Welche Fragen stehen aus Forscherperspektive im Mittelpunkt?

Da sind wir auf der Suche nach den Parametern, die den Spieler wirklich besser machen. Wenn ich meine Reaktionsfähigkeit trainieren will, muss ich nicht notwendigerweise vor dem Bildschirm sitzen. Wenn ich meine Konzentration, meine mentale Ausdauer, meine Durchhaltekraft verbessern will, hilft mir manches klassische Training viel eher. Die Forschung dient gewissermaßen dazu, unseren gesundheitsbezogenen Ansatz zu legitimieren.

Welche Fähigkeiten unterscheiden den Profi vom Zocker im heimischen Kinderzimmer?

Auch auf diesem Forschungsfeld fangen wir gerade erst an, aber einige Parameter konnten wir schon identifizieren: Wahrnehmungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Feinmotorik, die Geschwindigkeit, die Präzision, solche Fähigkeiten sind essenziell. Gerade, wenn man an Spiele denkt, wo es darum geht, den Gegner in irgendeiner Weise auszuschalten. Im April haben wir auf der ESL-Meisterschaft in Düsseldorf, wo einige der besten Spieler angetreten sind, Daten zu dieser Frage erhoben.

Hat die Sporthochschule eine führende Position in der E-Sport-Forschung?

Bezogen auf Deutschland kann man das in jedem Fall so sagen. Und auch weltweit gehören wir zu den wenigen Universitäten, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Thema befassen. Wir wollen den E-Sport als solchen weiter bringen. Bei der Untersuchung des Spielerverhaltens und der Erforschung der Trainingsformen sind wir schon mit vorne dabei.

Wird es in 20 Jahren das Institut für E-Sport geben?

Das ist sehr gut möglich. Wir sehen es ja an unserer eigenen Arbeitsgruppe: 2013 hat Prof. Dr. Froböse an unserem Institut die E-Sport-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, zunächst bestehend aus drei Personen. Mittlerweile ist diese Gruppe auf sieben Personen angewachsen und wir haben ein eigenes E-Sport-Hochschulteam, das die Deutsche Sporthochschule Köln in mehreren Disziplinen auf studentischen Turnieren und Hochschulmeisterschaften vertritt. Wir sehen also, dass der E-Sport gut an die Hochschule passt. Aus meiner Sicht werden in den kommenden Jahren Studiengänge entstehen, die E-Sport als Modul oder Fachrichtung haben. Es wird größere Forschungsgruppen geben, unterschiedliche Institute, die sich damit befassen. Bei Spielen wie League of Legends loggen sich pro Monat 100 Millionen Leute ein, jeder dritte Junge zwischen 14 und 25 Jahren spielt das. Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns damit beschäftigen, wenn etwas so eine große Relevanz in der Gesellschaft hat.

Was waren denn die allerersten Fragen, denen Sie nachgegangen sind?

Da ging es vor allem darum, herauszufinden, welchen Belastungen die Spieler ausgesetzt sind. Da haben wir dann Herzfrequenzen und Speichelcortisol untersucht. Die Spieler stehen unter einem enormen Stress, teilweise gehen die Herzfrequenzen auf 140 bis 160 Schläge pro Minute hoch, das ist für eine Bewegung im Sitzen schon interessant.

Ist dieser Sport ungesund?

Das lange Zocken an sich ist sicher nicht gesund. Aber man kann natürlich auch sagen: Ein Marathon ist ungesund für den Körper, aber das Training ist wertvoll. Wir wollen dahin, dass der E-Sportler nicht mehr als zwei, drei Stunden am Tag vor dem Bildschirm sitzt und dass er aber vorher körperlich aktiv wird, um zum Beispiel die mentale Ausdauer zu fördern.

Ist es realistisch, dass ein Teenager, der mit Kumpels zockt, erstmal joggen geht, um besser zu werden?

Da spielt dann der Vorbildcharakter wieder eine große Rolle. Wenn der Profi regelmäßig Laufen geht, um erfolgreicher zu werden, dann kommt das dem einen oder anderen Hobbyspieler auch in den Sinn. Wir werden sicher nicht alle E-Sportler dazu kriegen, wirklich fitte Athleten zu werden, aber wenn wir das Verhalten einiger positiv verändern können, dann haben wir schon viel erreicht.

Ihre Doktorarbeit schreiben Sie trotz dieser großen Aufmerksamkeit für die E-Sport-Forschung aber auf einem anderen Gebiet.

Da gibt es schon Schnittstellen. Wir haben festgestellt, dass sich Leute um bis zu zehn Stunden pro Tag verschätzen, wenn man sie fragt, wie viel sie sitzen. In meiner Doktorarbeit geht es darum, den Einsatz von Messverfahren zu verbessern, um die Datenqualität zu erhöhen. Es geht im Kern um methodische Herausforderungen bei der Erfassung von körperlicher Aktivität, und die spielt auch in der E-Sport-Forschung eine wichtige Rolle.

Interview: Daniel Theweleit