Unter Kontrolle

(v.l.): Wolf-Dieter Poschmann, Hajo Seppelt, Dr. Michael Lehner, Steffi Nerius, Dr. Andrea Gotzmann, Prof. Dr. Mario Thevis

Mit einem prominent besetzten Podium widmete sich der 16. Kölner Abend der Sportwissenschaft dem Thema Doping: „Doping (-kontrolle) – Mittel zum Zweck!? Das Leben der AthletInnen in der Kontrolle.“

 „Nicht die Athleten sind die Hauptverantwortlichen, das System ist Schuld an dem Schlamassel“, sagte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt. Aus der Frage nach Dopingkontrollen, deren Effektivität und Belastung für die Athleten entbrannte schnell eine Debatte darüber, wer Schuld daran ist, dass im Sport überhaupt gedopt wird. „Es soll immer höher, schneller, weiter gehen. Auch wir Journalisten sind Teil dieses Systems, das nach immer neuen Rekorden lechzt“, so Seppelt. Schlagwörter wie Sponsorenverträge, Markenimage und Einschaltquoten fielen, ohne das eigentliche Thema aus den Augen zu verlieren: Dopingkontrollen. Wie werden Dopingkontrollen und deren Effektivität bei den AthletInnen wahrgenommen? Kann die Kontrolle und Analytik leisten, was nötig ist? Welche Belastung stellt die Dopingkontrolle für die AthletInnen dar und was können die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) und Forschung hier verbessern?

Univ.-Prof. Dr. Mario Thevis, Leiter des Instituts für Biochemie, eines der weltweit führenden Doping-Kontrolllaboratorien, erörterte in einem Impulsvortrag den Status Quo der Dopinganalytik sowie Neuerungen der dopinganalytischen Verfahren: „Die WADA veröffentlicht jedes Jahr die Prohibited List, auf der die Substanzen und Methoden des Dopings aufgeführt sind, die von den weltweit operierenden Doping-Kontrolllaboratorien zu prüfen sind. Etwa dreihunderttausend Dopingkontrollen werden im Jahr durchgeführt – die meisten sind Urin- und Blutproben.“ Beide  Verfahren seien für den Athleten nicht sehr angenehm. „Bei einer Urinkontrolle müssen sich die Athletinnen und Athleten stark entblößen. Bei einer Blutkontrolle muss die Vene punktiert werden. Wenn wir nach Alternativen suchen, suchen wir abseits dieser Strategien, die intrusiv oder invasiv sind“, so Thevis.

Für Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius seien die Urinproben ein notwendiges Übel gewesen: „Ich habe das nie in Frage gestellt, aber angenehm war es nicht – wer pullert schon gerne vor den Augen einer wildfremden Person in einen Becher.“ Die heutige Trainerin sagte, dass sie ohne die Intensivierung der Dopingkontrollen Anfang der neunziger Jahre vermutlich ihren Sport nicht weiter betrieben hätte. „Für mich kam Doping nie in Frage. Aber natürlich ist man nicht so naiv zu glauben, dass das auf alle Sportler zutrifft. Die Kontrollen geben einem zumindest das Gefühl, dass eine Chancengleichheit im Sport möglich ist.“ „Interessant ist, dass sich das in unserem Rechtssystem, rechtsstaatlich gedacht,  niemand gefallen lassen würde und im Sport soll es so sein‘“, sagte Sportrechtler Michael Lehner, der sich als Vorsitzender der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) für Opfer einsetzt, die durch das DDR-Dopingsystem geschädigt wurden. „Das ist ein massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte“, sagte auch Hajo Seppelt. Dr. Andrea Gotzmann, Vorstandsvorsitzende der NADA, die für die Umsetzung eines einheitlichen Dopingkontrollsystems für Deutschland zuständig ist: „Das ist nicht etwas, das wir uns ausdenken, weil wir nichts zu tun haben. Das sind immer Reaktionen auf Vorkommnisse in der Praxis – zum Beispiel das Unterschieben von Fremdurin.“ Der Schutz der sauberen Athleten sei auch eine Kernaufgabe der NADA, so Gotzmann: „Wir können nicht die allgemeine Schlussfolgerung ziehen, ,die dopen doch eh alle, sie werden nur nicht erwischt'.“ Die Tatsache, dass auf die Methode des Blutdopings zurückgegriffen werde, das in den achtziger Jahren verstärkt Anwendung fand, zeige, dass es nur noch geringe Möglichkeiten gebe, das System zu unterlaufen. Gemeint war der Dopingfall um den  österreichischen Langläufer Johannes Dürr.

„Das Ziel ist, möglichst sensitive Nachweisverfahren zu haben um Spurenanalytik betreiben zu können. Denn wir sind auf der Suche nach Resten von Dopingmitteln, die den Körper überwiegend schon vor sehr langer Zeit verlassen haben. Wir können ein sehr langes Zeitfenster überbrücken“, so der Dopinganalytiker Mario Thevis. Von den Olympischen Spielen 2008 in Peking und 2012 in London seien bis 2016 über 1.500 weitere Kontrollen mit den langzeitgelagerten Proben durchgeführt worden. Das Ergebnis: Über 100 weitere positive Befunde und viele aberkannte Medaillen. „Das ist gut, aber das ist nicht das, was wir Sportler eigentlich wollen. Wenn man erst Monate später für eine Leistung gewürdigt wird, dann ist die Freude nur halb so groß“, so Steffi Nerius. Eine Anekdote der Leichtathletin: „Als ich 2004 die Silbermedaille gewonnen habe, habe ich sehr lange gewartet, bis ich mir das Medaillen-Tattoo habe stechen lassen.“

Eine Diskussion, die noch ewig hätte weitergeführt werden können – was auch die Fragen aus dem Publikum verdeutlichten. Trotz besten Wetters waren rund 450 Gäste gekommen, um dem spannenden Thema zu lauschen, durch das erneut Sportmoderator Wolf-Dieter Poschmann führte.

Die Kölner Abende der Sportwissenschaft finden zwei- bis dreimal jährlich statt und setzen sich mit aktuellen sportwissenschaftlichen Themen auseinander. Durch die neuen Wissenschaftsabende werden langfristig alle relevanten sportwissenschaftlichen Fragestellungen, die in den 19 Instituten der Deutschen Sporthochschule Köln bearbeitet werden, nach außen getragen.