Nr. 1/2021

Corona-Brennglas Sportmedizin

Bei klassischen sportmedizinischen Untersuchungen geht es um maximale Leistungsfähigkeit. Es geht darum, dem Körper die letzten Reserven zu entlocken und ihn bis zur Erschöpfung zu fordern. Interessant ist die Untersuchung von Athlet*innen auch, um Spätfolgen des Coronavirus möglichst früh zu erkennen. Denn bei Athlet*innen kann nach überstandener akuter Covid-19-Erkrankung noch länger eine Leistungsminderung bestehen, die bei ihnen zu Beginn einer Belastung noch stärker ausgeprägt ist. In mehreren Projekten forscht Prof. Wilhelm Bloch, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin, zu den Covid-Spätfolgen bei Sportler*innen.

Bloch ist Mediziner. Sein Fachgebiet sind Ultrastrukturen, die feinsten Strukturen menschlichen Gewebes und menschlicher Zellen. Um sie sichtbar zu machen, arbeitet er in seinem Labor auch mit einem hochauflösenden und extrem vergrößernden Transmissionselektronenmikroskop. So kann er sehen und beschreiben, was sich tief innen im Organismus verändert, zum Beispiel wenn man Sport treibt oder wenn man am Coronavirus erkrankt.

Manchmal lässt sich Bloch von seinen Medizin-Kolleg*innen Gewebe und Zellen zuschicken, um sie zu analysieren. Seine ultrastrukturelle Expertise ist gefragt. Er hat unzählige Gewebeproben und Zellen gesehen und kann beurteilen, wenn etwas grundlegend anders ist als sonst. Als die Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr Deutschland erreicht hatte, ließ sich Bloch – übrigens gerade zurück von einer Fachkonferenz aus China – Gewebe-Aufnahmen von verstorbenen Covid-Patient*innen zuschicken.

Wenn er heute darüber spricht, was er damals gesehen hat, schwankt er zwischen Faszination und Besorgnis: „Ich erinnere mich noch gut daran, als ich von meinem Kollegen Gewebe von Corona-Patienten bekommen habe. Wenn man so etwas Ungewöhnliches sieht, gehen sofort die Warnlampen an.  Man fragt sich, was durch diese Veränderungen im Körper passiert und ob sich so etwas wohl jemals wieder zurückbildet. Als ich das gesehen habe, war mir klar, dass wir es mit einer ernsten Erkrankung zu tun haben, die vermutlich auch Spätfolgen für die Erkrankten haben wird. So etwas hatte ich in der Ausprägung zuvor nicht gesehen.“

Bloch sah – neben anderen Veränderungen vor allem in der Lunge – rote Blutkörperchen, auch Erythrozyten genannt, die derart verformt waren, dass man sie fast nicht mehr als solche erkennen konnte. Die Erythrozyten sind dafür zuständig, dass Sauerstoff von der Lunge in die Zellen gelangt. Auf den Bildern hatten sie ungewöhnliche Fortsätze und viele von ihnen waren kleiner als üblich. „Wahrscheinlich ist bei diesen Erythrozyten das Zytoskelett, also das Protein-Netzwerk innerhalb der Zelle, kaputt gegangen. In Folge haftet die Zellmembran nicht mehr richtig am Zytoskelett und bildet solche Ausziehungen. Sind diese Auszüge nicht so stark ausgeprägt, können sie sich abtrennen und der Erythrozyt wird etwas kleiner. Das ist bei einigen Covid-Patienten der Fall“, erläutert Bloch. Folgen könnte die Veränderung der Erythrozyten vor allem für den Sauerstoff-Austausch im menschlichen Körper haben. Es stellt sich die Frage, ob diese Erythrozyten den Sauerstoffaustausch und -transport verschlechtern. Ein Anhaltspunkt dafür ist, dass das Blut von Covid-Patient*innen oft schlecht mit Sauerstoff gesättigt ist – und sie es nicht merken.

Nachdem Bloch die ersten Bilder gesehen hatte, fing er mit Kolleg*innen an, seine Beobachtungen in Papern zu beschreiben und der (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In seinem ersten Paper fokussierte er sich auf Veränderungen in der Lunge. Er beschrieb, wie das Coronavirus das Bindegewebe zwischen Lungenepithelzellen, den Pneumozyten, und Endothelzellen der kleinen Lungenkapillaren verändert. Zu sehen sind spezialisierte Lungenepithelzellen, Pneumozyten Typ II, die Viren freisetzen (Bild 1). Diese Zellen kleiden die Lungenbläschen aus und produzieren das sogenannte Surfactant. Diese Substanz hilft dabei, die Oberflächenspannung so weit herabzusetzen, dass die Lungenbläschen nicht zusammenfallen. „Auf Bildern des Lungengewebes von Covid-Patienten sieht man dort, wo normalerweise Lungenepithelzellen und Kapillarendothelzellen der Gefäße direkt aneinander liegen müssten, einen Zwischenraum gefüllt unter anderem mit Bindegewebe (Bild 2, Anm. der Redaktion). Ist das Bindegewebe krankhaft vermehrt, spricht man von einer Fibrose. Eine Fibrose an diesen kleinen Strukturen bedeutet, dass nur noch wenig Sauerstoffaustausch stattfinden kann“, erklärt Bloch.

Auch wer sich nicht mit medizinischen Themen auskennt, fängt bei solchen Beschreibungen zwangsläufig an, sich Gedanken über die Folgen solcher Veränderungen zu machen. Wenn die Blutkörperchen kleiner, die Lunge geschädigt und die Sauerstoffsättigung niedrig ist, dann muss die Leistungsfähigkeit doch leiden? Blochs Erkenntnisse auf ultrastruktureller Ebene dienen dazu, Antworten auf solche Fragen zu finden. Seine Analysen helfen, neue Erkrankungen wie Covid-19 besser zu verstehen und spezifische Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. „Normalerweise dauert der Prozess, eine Krankheit zu verstehen, Jahre. Jetzt muss das in kürzester Zeit passieren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es bislang noch keine spezifische Therapie gibt“, sagt Bloch.

Neben der allgemeinen Therapie von Covid-19 widmet sich Bloch in seiner Arbeit speziell auch dem Schutz von Athletinnen und Athleten vor den Folgen der Erkrankung. Früh positionierte er sich in der Öffentlichkeit gegen eine Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs und für eine Schließung von Fitnessstudios. Zu groß erschien ihm die Gefahr, dass sich Sportler*innen in schlecht belüfteten Räumen oder durch engen Körperkontakt mit verschiedenen Menschen beim Sport mit dem Coronavirus infizieren. Weiß man, welche Bilder er zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte, versteht man diese Vorsicht.

Bloch beteiligte sich deshalb bereits im April an der Veröffentlichung eines Leitfadens für den Umgang mit und die Rückkehr von Athlet*innen bei und nach überstandener Infektion. Darin wird skizziert, wann und wie sie nach überstandener Infektion wieder in den Trainingsbetrieb einsteigen können. Der Leitfaden soll ein Unterstützungsangebot für Athlet*innen, Trainer*innen und Sportmediziner*innen sein, Spätfolgen durch einen zu frühen Trainingsstart zu vermeiden. Wie wichtig ein solcher Leitfaden und eine sportmedizinische Überwachung ist, zeigt das Beispiel von Eishockey-Profi Janik Möser. Nach einer mild verlaufenen Corona-Infektion stiegt der 25-Jährige ohne Beschwerden wieder ins Training ein. Nur durch Zufall wurde seine Herzmuskelentzündung, die vermutlich auf die Corona-Infektion zurückzuführen ist, bei einer medizinischen Untersuchung erkannt.

Auch ein weiterer Zufallsbefund stammt aus der Sportmedizin. Bei Routine-Checks von Taucher*innen mit überstandener Corona-Infektion stellten österreichische Ärzte eine besorgniserregend niedrige Sauerstoffsättigung fest, die auf strukturelle Veränderungen an der Lunge zurückzuführen war. Die Tauchsportler*innen wären bei Tauchgängen womöglich einem hohen Risiko ausgesetzt gewesen. „Dass diese Veränderungen gerade bei einer Tauchuntersuchung beschrieben wurden, zeigt, dass man sehr genau hinschauen muss. Ein guter Tauchmediziner macht eine sehr gute Lungendiagnostik und nur deshalb wurden diese Veränderungen erkannt. Ich glaube, oft werden solche Befunde übersehen, weil die Kolleginnen und Kollegen zum Teil noch nicht genau wissen, auf was sie achten sollten. Das war auch damals bei uns der Hintergrund, dass wir schon im April das Paper ‚Return to Sport‘ veröffentlicht haben. Bei Leistungssportlern ist der Druck, nach Infektionen möglichst schnell wieder in den Hochleistungsbereich einzusteigen, groß. Leider wissen wir noch nicht genau, welche Langzeitfolgen das Coronavirus haben kann. Deshalb sagen wir: Nur unter strenger ärztlicher Kontrolle und nach einem asymptomatischen Verlauf wieder trainieren und stufenweise zur Vollbelastung zurück.“

Gerade arbeitet Bloch an einem weiteren Projekt. Diesmal soll es um die Veränderungen gehen, die das Coronavirus an den roten Blutkörperchen bewirkt. „Ich muss mit meinem Team und Kollegen noch besprechen, wie wir das mit den Erythrozyten machen. Das, was wir da gesehen haben, ist ein ganz neuer Befund. Das wollen wir jetzt demnächst noch analysieren, weil das zum Verständnis der Erkrankung enorm beitragen könnte“, erklärt er. Langzeitfolgen durch Corona befürchtet Bloch auch in den Nieren. Hier sehe man Schädigungen immer erst sehr spät, weil sich das Nierengewebe besonders gut regenerieren könne. Das führe aber auch dazu, dass eine Schädigung der Niere erst sehr spät Symptome verursache.

Wer sich angesichts all dieser alarmierenden Befunde am liebsten zu Hause verkriechen würde, dem rät Bloch ein Alternativprogramm: Sport. Denn Sport, so erklärt der Mediziner, ist weiterhin eine gute Idee. Schließlich stärkt regelmäßige körperliche Aktivität das Immunsystem und hält auch in Zeiten von Corona fit. Es gibt allerdings etwas zu beachten. Gerade dann, wenn wieder Sport in Gruppen möglich sein sollte: „Im Sport sollte – wenn überhaupt – wirklich gezielt in kleinen Gruppen und in kleinen Einheiten, die auch in sich geschlossen sind, trainiert werden. Das macht am meisten Sinn und birgt ein überschaubares Risiko. Wichtig ist auch in geschlossenen Räumen, dass die Aerosolbelastung kontrolliert wird und es eine ordentliche Zu- und Abluftanlage gibt."

Text: Marilena Werth