Leistungsdiagnostik im Turnen

Turnerin Sophie Scheder beim Sprungtest im Biomechanik-Labor. Im Hintergrund Cheftrainerin Ulla Koch (re.)

B- und C-Kader-Turnerinnen lassen sich von momentum an der Sporthochschule durchchecken.

Der Ausdauertest auf dem Laufband im Labor ist das Schlimmste. Das Laufband wird immer schneller und zudem auch noch immer steiler. Nach etwa zwölf Minuten ist Schluss, das heißt die Ausbelastung der Läuferin ist erreicht. Dann wird am Ohrläppchen das Blut abgenommen – es gibt später Aufschluss über den Trainingszustand der Sportlerin.

Diese Form der Ausdauerdiagnostik ist bei den jungen Turnerinnen, die am vergangenen Freitag an der Sporthochschule zwecks Leistungsdiagnostik zu Gast waren, die unbeliebteste „Disziplin“. Schließlich sind im Turnen eher Kraft, Sprungkraft, Beweglichkeit und Akrobatik gefragt. „Laufen finden wir immer schrecklich. Aber der Test ist natürlich genau so wichtig wie die anderen Übungen“, sagt die 18-jährige Sophie Scheder vor dem so genannten Rampentest. Dennoch ist dieser Test unerlässlich. Es geht nicht um das herkömmliche Verständnis der sogenannten „Ausdauer“. Vielmehr ist die Fähigkeit der Energiebereitstellung bei hochintensiven Belastungen gefragt, die auch sehr viel mit der Regenerationsfähigkeit zu tun hat.

 

 Zuvor hat sie bereits den psychologischen Teil des Diagnostikcamps in Form eines Onlinefragebogens absolviert, die Kraftdiagnostik an verschiedenen Kraftgeräten sowie die Sprünge auf den Kraftmessplatten im Labor des Instituts für Biomechanik und Orthopädie. Hier vermisst Dr. Jan Goldmann mithilfe von neun Infrarotkameras die Sprungmuskulatur der Kunstturnerin bei drei verschiedenen Sprungübungen. Die Messpunkte werden über 28 reflektierende Marker erfasst. Sophie erledigt die Counter Movement Jumps, die Squad Jumps und die Reaktivsprünge vom Kasten souverän und relativ unbeeindruckt. Interessant wird die Auswertung für die WM- und EM-Teilnehmerin sein, denn diese kann sie mit den vergangenen Camp-Teilnahmen abgleichen und sehen, welchen Trainingszustand sie im Vergleich zu den vorherigen Jahren aufweist. So können konkrete Saisonziele, aber auch langfristige Ziele wie die Qualifikation zu den Olympischen Spielen 2016 gesetzt und überprüft werden.

Mit 14 Turnerinnen aus dem deutschen B- und C-Kader ist Cheftrainerin Ulla Koch nach Köln gereist. Die 14- bis 18-Jährigen sind aus ganz Deutschland angereist, um sich unter der Leitung von momentum an der Deutschen Sporthochschule Köln durchchecken zu lassen. „Wir führen diese Art der Leistungsdiagnostik seit 2009 jeweils einmal im Jahr durch“, erklärt Cheftrainerin Koch. „Am liebsten machen wir den Test während unseres Aufbautrainings Ende Februar. Die Ergebnisse geben uns Aufschlüsse darüber, was wir bis zum Saisonbeginn im März/April noch verbessern können.“

So erlauben beispielsweise die Krafttests Rückschlüsse darauf, ob eventuell muskuläre Dysbalancen bestehen. „Grundsätzlich sind unsere Turnerinnen viel fitter als früher. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass sich die maximale Sauerstoffaufnahme deutlich erhöht hat“, hält Koch stolz fest. „Dadurch können die Sportlerinnen zum einen höhere Trainingsumfänge besser verkraften und regenerieren zum anderen auch schneller“, nennt die DTB-Nationaltrainerin wichtige Erkenntnisse.

Ein weiterer Effekt ist, dass die Leistungssportlerinnen länger ihrem Sport treu bleiben als noch vor einigen Jahren, als noch viele ihre aktive Karriere mit Anfang 20 beendeten. „Wir haben das Trainingssystem so umgestellt, dass die Mädels bis 17, 18 fit gemacht werden und wir ihnen dann auch Freiräume für eine duale Karriere geben. Dank reduzierter Trainingsumfänge können sie also neben dem Leistungssport ihre berufliche Ausbildung vorantreiben“, erklärt Koch.

Neben der Datenerfassung an der Deutschen Sporthochschule Köln – an dem Diagnostikcamp sind zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt – sind natürlich die Maßnahmen bedeutend, die daraus für das tägliche Training und den Wettkampf abgeleitet werden können. „Wir haben zum Beispiel hervorragende Erfahrungen mit HIT gemacht, dem High Intensity Training. Dadurch gab es einen riesigen Leistungsschub. Mit momentum haben wir viele Programme entwickelt, die wir situationsspezifisch und individuell anwenden“, sagt Koch.

Neben den körperlichen Leistungsparametern liegt der Trainerin auch die mentale Komponente des Leistungssports sehr am Herzen. „Der psychologische Test kann zum Beispiel aufzeigen, ob die Sportlerin unter Wettkampfangst leidet oder wie sie das Verhältnis zum Trainer bewertet. Diese Ergebnisse können wir dann gemeinsam mit den Heimtrainern und Stützpunkttrainern aufarbeiten“, sagt Koch, die derzeit selbst ein Studium zur Mentaltrainerin absolviert. Turnerin Sophie Scheder kann sich derzeit voll auf ihren Sport konzentrieren, nachdem sie seit wenigen Wochen Sportsoldatin ist. Ihr diesjähriges Ziel sind die Europaspiele, die 2015 erstmalig stattfinden und eine Art Olympische Spiele auf europäischer Ebene sind (12. bis 18. Juni 2015, Baku).