Digitalisierung meets Internationalisierung. Blended-Learning im Praxissemester

Sina Hinternesch, Jürgen Schwier, Miriam Seyda

ZUSAMMENFASSUNG

Im Rahmen des Projekts OLAD@SH (Offenes Lehramt digital in Schleswig-Holstein) wird an der Europa-Universität Flensburg ein Blended-Learning-Seminar zur Begleitung der Praxissemesterstudierenden im Ausland im Fach Sport implementiert und evaluiert. Dem Bestreben einer gesteigerten Internationalisierung von Lehramtsstudiengängen folgend, fokussiert die digitale Begleitung eine verbesserte Betreuung der Studierenden an den Praxissemesterschulen im Ausland. Methodisch-didaktischer Ankerpunkt des Blended-Learning-Begleitseminars ist die systematische Fallarbeit. Ziel ist hier eine verstärkte Theorie-Praxis-Verknüpfung bei der Vermittlung fachdidaktischer Kompetenzen. Außerdem soll über die Fallarbeit ein zielgerichteter Austausch über Unterrichts- und Lehrerfahrungen initiiert werden. Dabei wird die Systematik der pädagogischen Kasuistik genutzt, um eine Einordnung der Beobachtungen in den wissenschaftlichen Kontext zu ermöglichen und so ebenfalls den Grundgedanken Forschenden Lernens im Praxissemester zu fokussieren. Der vorliegende Beitrag stellt das zugrunde gelegte Seminarkonzept vor, welches in einem ersten Seminardurchgang implementiert und evaluiert wurde. Es werden erste ausgewählte quantitative sowie qualitative Ergebnisse in Bezug auf die Umsetzung von Blended-Learning-Formaten sowie zur Fallarbeit im Kontext der Lehrkräftebildung diskutiert. Dabei werden sowohl  subjektive Einschätzungen der Studierenden hinsichtlich Dimensionen fachdidaktischen Wissens und Könnens als auch Einsichten in die Bewertung der Methodik und Umsetzung der Fallarbeit im Rahmen des Seminars präsentiert.

1. EINLEITUNG

Neben der Entwicklung von Digitalisierungsstrategien für die Lehre gilt seit einigen Jahren auch die Internationalisierung der Lehramtsstudiengänge als eine wichtige Herausforderung für das Hochschulsystem, wobei die einzelnen Universitäten und sportwissenschaftlichen Einrichtungen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität mit den beiden Aspekten auseinandersetzen. Während in der einschlägigen Fachliteratur schon seit längerem die Möglichkeiten und Grenzen des Lernens mit Multimedia, dessen hochschuldidaktische Implikationen sowie die mit dem E-Learning einhergehende Flexibilisierung der Lehrorganisation und der Lernzeit breit diskutiert werden (vgl. u.a. Dräger & Müller-Eiselt, 2015; Wachtler et al., 2016), ist es erst durch den Verlauf der Covid-19-Pandemie in Deutschland – notgedrungen und mehr oder weniger improvisiert – zu einer nahezu flächendeckenden Umsetzung solcher Lehr-Lern-Szenarien in den sportwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen gekommen. Bemerkenswert ist zugleich, dass eine solche „nachholende Digitalisierung“ (Wendeborn, 2020, S. 481) in der Sportwissenschaft inzwischen zu einer beachtlichen Angebotsvielfalt geführt hat (vgl. Fischer & Paul, 2020; Steinberg & Bonn, 2021).

Hinsichtlich der hochschulpolitisch gewünschten Internationalisierung der Lehramtsstudiengänge dürfte nicht nur im Fach Sport eine erhebliche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bestehen. Internationalisierung zielt unter anderem darauf ab, angehenden (Sport-)Lehrkräften interkulturelle Erfahrungen und eine Erweiterung ihrer Selbst- und Sozialkompetenz zu ermöglichen sowie sie innerhalb gewisser Grenzen als weltoffene „change agents“ (Falkenhagen, Grimm & Volkmann, 2018, S. 2) im Bildungswesen auszubilden. Traditionell ist jedoch der Anteil von Lehramtsstudierenden, die ein Auslandssemester durchlaufen, deutlich geringer als in anderen Studiengängen. Neben der konsequenten Umsetzung einer Internationalisierungsstrategie hat in diesem Zusammenhang an der Europa-Universität Flensburg die Einführung des Praxissemesters zu einer steigenden Anzahl an Outgoings im Lehramtsbereich geführt und gerade im Fach Sport entscheiden sich vermehrt Masterstudierende dafür, dieses zehnwöchige Praktikum an einer Schule im Ausland zu absolvieren. Vor diesem Hintergrund geht es dem hier vorzustellenden Projekt 1 darum, über die Implementierung eines geeigneten digitalen Lehr- und Lernformats zu einer nachhaltigen Verbesserung des Theorie-Praxis-Bezugs für Outgoings im Praxissemester beizutragen. Im Anschluss an einen knappen Überblick zu den Digitalisierungstendenzen in der sportpädagogischen Lehre, werden im Folgenden das Konzept und die Durchführung des Blended-Learning-Seminars erläutert sowie erste Ergebnisse vorgestellt.

2. DIGITALISIERUNG IN DER SPORTPÄDAGOGISCHEN LEHRE

Digitalisierung begünstigt grundsätzlich einen Wandel der Lehr- und Lernformate in der Sportlehrer*innenbildung, wozu vor allem der Zugewinn an Interaktivität, die umfassende Dezentralität und die größeren Möglichkeiten zur eigenen Gestaltung von Wissenszusammenhängen beitragen (User Generated Content). Die verschiedenen webbasierten Formate werden von der Sportpädagogik allerdings sehr unterschiedlich genutzt, wobei schon vor Beginn der Corona-Krise vor allem die Nutzung digitaler Lernplattformen für Seminare einschließlich webbasierter Lernmodule (Web Based Trainings), das ePortfolio, das Podcasting, interaktive Lernsoftware, Apps und Blended-Learning-Arrangements recht weit verbreitet gewesen sind (vgl. Bohr et al., 2021; Danisch & Schwier, 2010; Fischer & Paul, 2020; Schwier, 2018; Steinberg et al., 2019).

Gerade Blended-Learning-Seminare bieten vielfältige Chancen für partizipatorische Lernprozesse und Formen kollaborativer Wissensproduktion (vgl. Vohle, 2016, S. 15), die sich nicht zuletzt im Rahmen von auf Schulpraktika bezogenen Lehrveranstaltungen sinnvoll nutzen lassen. Mit der damit einhergehenden gemeinschaftlichen Gestaltung von digitalen Lehr-Lernszenarien und -materialien können ferner sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen gefördert werden. Ein Beispiel hierfür ist das von Mehl (2011) konzipierte Blended-Learning-Instrument zur videogestützten Analyse von Fällen aus dem Sportunterricht im Rahmen von schulpraktischen Studien (INVISPO) in der ersten Phase der Sportlehrer*innenbildung. Unter Nutzung der Lernplattform Sports-Edu werden die jeweiligen Studierenden im Rahmen des – als Blended-Learning-Veranstaltung durchgeführten – Begleitseminars zum schulischen Praktikum zunächst in die Methode der Fallarbeit und deren lerntheoretische Implikationen sowie in die Videographie eingeführt und stellen dann im Verlauf ihres Blockpraktikums wöchentlich Videosequenzen eigenen Unterrichts online (in einer Länge von 30 Sekunden bis zu 10 Minuten), die sie selbst für relevant erachten und die dann von der Seminargruppe auf der Lernplattform kommentiert sowie vergleichend analysiert werden. Diese reflexive, feedbackorientierte Auseinandersetzung mit Sequenzen eigenen Unterrichts erfährt in einem praktikumsnachbereiten Blended-Learning-Seminar eine Vertiefung in Richtung einer gemeinsamen Konstruktion von alternativen Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten sowie der theoriegeleiteten Einordnung der konkreten Fälle in den sportdidaktischen Diskurs. Anzumerken bleibt, dass die Teilnahme an diesem Blended-Learning-Szenario für die Studierenden eine Wahloption ist, sie können sich auch für vor- und nachbereitende Präsenz-Seminare entscheiden, in denen  keine Videoaufnahmen eigener Unterrichtsfälle behandelt werden.

3. BLENDED-LEARNING-BEGLEITSEMINAR FÜR OUTGOINGS IM FACH SPORT

Die Blended-Learning-Veranstaltung an der Europa-Universität Flensburg richtet sich gezielt an Studierende im Fach Sport, die das Praxissemester im Ausland absolvieren. Das Seminar enthält digital-synchrone sowie digital-asynchrone Lehr- und Lernformate und findet parallel zum Auslandspraxissemester statt. Zwischen den insgesamt sechs Modulen werden zusätzlich E-Learning-Elemente zur Vor- und Nachbereitung der Seminarinhalte integriert (z.B. Videofallarbeit, vgl. Seminarkonzeption in Abb. 1).

Methodisch-didaktischer Ankerpunkt ist im Gesamtverlauf des Seminars die pädagogische Kasuistik, welche sich vor dem Hintergrund des Forschenden Lernens im Praxissemester als Methodik zur Förderung einer reflexiv-forschenden Haltung der Studierenden sowie zur Theorie-Praxis Verknüpfung empfiehlt (u.a. Rhein, 2016; Hummrich et al., 2016). Rekonstruktive Fallanalysen haben sich neben empirischen Forschungsprojekten, in denen Studierende wissenschaftliche Fragestellungen in den Schulen untersuchen, als Form forschenden Lernens im Praxissemester etabliert (Ukley & Bergmann, 2020). Beide Formate zielen im Kontext der Professionalisierung von Studierenden auf die Anbahnung einer forschenden Grundhaltung sowie einer kritisch-reflexiven Distanzierungsfähigkeit (z.B. Ukley et al., 2020, Gröben & Ukley, 2018).

Über die Auswahl von Fallbeispielen aus dem eigenen und fremden Sportunterricht werden didaktische und pädagogische Grundprobleme aufgezeigt, welche die Studierenden zum kritischen Denken und Theoretisieren anregen sollen (Wolters, 2015). Die damit angestrebte Fähigkeit der Studierenden, „sich eine wissenschaftlich gesicherte Urteilskraft anzueignen, die den Umgang mit Fällen ermöglicht“ (Hummrich et al., 2016, S.15), wird als Professionalisierungsdimension von Lehrkräften beschrieben (ebd.). Die Potenziale einer kollaborativen Fallarbeit online liegen vor allem darin, dass die Fälle sowohl mit den betreuenden Hochschullehrenden als auch mit der Seminargruppe in Online-Meetings und über die Lernplattform (hier: Moodle) kommentiert sowie analysiert werden.
Während die digital asynchronen Module eigenständige und kollaborative Arbeitsphasen zur Seminarvor- und Nachbereitung fokussieren, dienen die digital synchronen Module dem Erfahrungsaustausch und der gemeinsamen Fallarbeit mit fachdidaktischer Rahmung. Zu Beginn des Auslandssemesters werden die Sportstudierenden zunächst in die Prinzipien der Fallarbeit und deren lerntheoretische Implikationen eingeführt (Videopodcast). Während der Schulpraxis im Ausland setzen sich die Studierenden dann – moderiert und beraten durch Hochschulehrende – wiederholt mit Fällen aus dem eigenen und/oder fremden Sportunterricht auseinander. Genutzt werden sowohl schriftliche Fallbeschreibungen als auch Videomaterial sowie unterschiedliche digitale Tools zur Bearbeitung von Unterrichtssituationen (z.B. kollaborative Fallarbeit über Etherpads und Padlets).

Die Fallarbeit erfolgt in Anlehnung an Scherler (2004) und Wolters (2015) auf unterschiedlichen Ebenen: Fakten darstellen, Normen zuordnen, Probleme ermitteln, Lösungen empfehlen. Der Fall wird aus einer Unterrichtssituation heraus rekonstruiert und unter zu Hilfenahme von (fachdidaktischem) Wissen analysiert. Mit dem Ziel einer vertieften Theorie-Praxis-Verknüpfung werden – flankierend zu der praktischen Fallarbeit – fachdidaktische Themen im Seminar bearbeitet, wie z.B. die Rolle der Sportlehrkraft im Sinne einer Ausschärfung eines professionellen Selbst (u.a. Miethling, 2018) oder auch Ziele und Inhalte des Sportunterrichts im Sinne fachlicher Ausgestaltung von Unterricht. In diesem Zuge werden außerdem unterschiedliche fachdidaktische Konzepte für den Schulsport mit ihrer normgebenden Funktion in der Fallarbeit diskutiert. Parallel erfolgt eine Theorie-Praxisverknüpfung sowie reflexive und feedbackorientierte Auseinandersetzung mit Sequenzen eigenen oder fremden Unterrichts sowie mit den vielfältigen Inszenierungen des Schulsports im internationalen Kontext. Aufbauend auf einer systematischen Fallbeschreibung wird eine praxisbezogene Reflexion fokussiert, die einen situationsangemessenen Transfer von Wissensbeständen ermöglicht, interkulturelle Aspekte berücksichtigt und Prozesse Forschenden Lernens einleitet. Die Fallbeschreibungen oder kurze Videosequenzen von Lehr-/Lernsituationen aus dem Sportunterricht werden zunächst systematisch vor dem Hintergrund fachdidaktischer Normen interpretiert. Dies geschieht in unterschiedlichen Formaten (sowohl individuell als auch kollaborativ). Der Abgleich von Normen und Fakten innerhalb des Einzelfalls (vgl. Wolters, 2015) bildet dann die Grundlage für den Transfer von erarbeiteten Wissensbeständen zur Entwicklung situationsspezifischer Lösungs- und/oder Handlungsalternativen. Im Sinne des Forschenden Lernens werden die Studierenden dazu angeregt, die Unterrichtsbeobachtungen und die über die Fallarbeit erlangten Erkenntnisse zu Herausforderungen und Problemstellungen des Sportunterrichts mit Blick auf die im Praxissemester an der EUF obligatorische Bearbeitung einer Forschungsaufgabe für die Entwicklung eigener Forschungsfragen zu nutzen. Unterstützt wird dieser Prozess durch individuelle Beratungstermine mit der Hochschullehrkraft.

Da die Fälle aus der Beobachtung von Unterricht entnommen werden, bietet es sich ebenfalls an, ausgewählte Stunden oder Unterrichtsausschnitte, die Studierende des Praxissemesters selbst an den Praxissemesterschulen im Ausland durchgeführt haben, per Video mitzuschneiden und/oder live zu streamen, um sie einer fallanalytischen Nachbesprechung zugänglich zu machen. Die videogestützte Analyse dieser Unterrichtsmitschnitte wird insbesondere zur Nachbesprechung der digitalen Unterrichtsbesuche, welche im Praxissemester an der Europa-Universität Flensburg von der betreuenden Hochschullehrkraft durchgeführt werden, genutzt. Basierend auf einem Beobachtungsschwerpunkt, welchen die Studierenden selbst auswählen (z.B. Umgang mit Unterrichtsstörungen), wählt die Hochschullehrkraft eine oder mehrere kurze Videosequenzen aus, welche dann im Sinne der Fallarbeit gemeinsam mit dem Studenten oder der Studentin besprochen werden. Diese nachträgliche Betrachtung des eigenen Lehrkrafthandelns und/oder des Verhaltens von Schüler*innen bietet über die gemeinsame Fallarbeit eine potentiell bedeutsame Lerngelegenheit für die angehenden Sportlehrkräfte.

Darüber hinaus erstellen die Studierende jeweils ein Video über den alltäglichen Schulsport an ihrer ausländischen Schule (Unterrichtssequenzen, Pausensport, Feste usw.), die online zugänglich gemacht und vergleichend diskutiert werden. Auch für Studierende der kommenden Semester kann die so entstehende Videosammlung zum Schulsport International eine Anregung zu eigenen Auslandserfahrungen darstellen.

4. EVALUATIONSKONZEPT

Das Projekt ist auf drei Jahre ausgerichtet. Das Blended-Learning-Seminar kann entsprechend dreimal mit jeweils bis zu zehn Studierenden durchgeführt und evaluiert werden. Die Seminarevaluation erfolgt auf zwei Ebenen (vgl. Evaluationsdesign in Abb. 2). Einerseits werden die Studierenden mit ihren Einschätzungen hinsichtlich fachdidaktischer Kompetenzen in den Blick genommen. Andererseits wird das Seminarkonzept allgemein (Organisation, Inhalt und Didaktik) sowie spezifisch in Bezug auf die Methodik der Fallarbeit evaluiert. Langfristiges Ziel der Evaluation ist es, zu ermitteln, inwieweit die Auseinandersetzung mit der Fallarbeit in Kombination mit flankierenden fachdidaktischen Inhalten zu einem Kompetenzzuwachs bei den Studierenden führen und inwiefern die digitale Praxissemesterbegleitung für Outgoing-Studierende diesbezüglich optimiert werden kann.

Das methodische Vorgehen sieht sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Erhebungs- und Auswertungsstrategie vor. Auf quantitativer Ebene werden mittels eines Fragebogens zu Beginn und am Ende des Auslandspraktikums subjektive Einschätzungen hinsichtlich vorliegender fachdidaktischer Kompetenzen (Fachdidaktisches Wissen und Können in Anlehnung an Scherler, 2004; Vogler, Messmer & Allemann, 2017; Cronbachs-Alpha: .88) sowie Themenbereichen des Praxissemesters (Eigenrealisation; Cronbachs-Alpha: .55 - .73) erfasst. Die Eigenrealisation der Skalen zu Themenbereichen des Praxissemesters erfolgte mit Blick auf zu vermittelnde Inhalte im Rahmen des Begleitseminars. Alle eingesetzen Skalen sind ausreichend reliabel und verfügen über die notwendige Eindimensionalität, die mittels Faktorenanalyse bestimmt wurde (vgl. auch Tab.1 mit weiteren statistischen Kennwerten). Um einen Hinweis zu erhalten, inwieweit die vertiefte Auseinandersetzung mit der Fallarbeit einen besonderen Einfluss auf die Einschätzungen der Studierenden haben könnte, wird der Fragebogen zusätzlich in einer Vergleichsgruppe (reguläre Begleitseminare zum Praxissemester im Fach Sport) zu Beginn und am Ende des Praktikums eingesetzt. Da keine Varianzhomogenitätsverletzungen vorliegen und zudem die Teilstichproben ausgeglichen sind, können trotz fehlender Normalverteilung der Variablen „Bedingungen organisiseren“, „Reflexion eigenen und fremden Handelns“ sowie „Planung von Sportunterricht“ Varianzanalysen mit Messwiederholungen berechnet werden (Hussy & Jain, 2002). Die ermittelten Effekte wurden über zusätzlich berechnete nicht-parametrische Tests (Wilcoxon-Test) bestätigt. Auf qualitativer Ebene werden vertiefend leitfadengestützte, fokussierte Interviews durchgeführt, die sich zum einen auf die Professionsentwicklung über die Methodik der Fallarbeit und zum anderen auf die subjektiven Erfahrungen der Studierenden mit dem Format des Blended-Learning-Seminars konzentrieren. Die Auswertung erfolgt mittels qualitativer, strukturierender Inhaltsanalyse (Mayring, 2015; Kuckartz, 2012).

5. ERSTE AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE

Im Folgenden wird eine Auswahl der Ergebnisse des ersten Durchlaufs des Seminars präsentiert. Die Stichprobe dieses Durchgangs setzt sich wie folgt zusammen: Sechs Studierende (50% weiblich; Altersmittelwert = 24,83 (SD=2,04); Mittelwert des Hochschulsemesters = 10,00 (SD=1,256); Mittelwert des Mastersemesters = 3,00 (SD=0)) nahmen regelmäßig am Blended-Learning-Seminar für Outgoings teil, absolvierten die Fragebogenerhebung und standen für das Interview nach Abschluss des Auslandspraktikums zur Verfügung. Die durchschnittliche Interviewlänge betrug rund 27 Minuten. In der Vergleichsgruppe füllten n=8 Studierende den Fragebogen aus (50% weiblich; Altersmittelwert = 26,00 (SD=2,39); Mittelwert des Hochschulsemesters = 11,88 (SD=2,90); Mittelwert des Mastersemesters = 3,75 (SD=2,12)).

Exemplarische Ergebnisse der Befragung

Zunächst wird der Frage nachgegangen, mit welchen Voraussetzungen die Studierenden in das Praxissemester (im Ausland) starten und ob sich positive Veränderungen im Zuge des Praxissemesters ergeben? Dabei werden auch Bezüge zur Vergleichsgruppe hergestellt. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse vor Beginn (t1) und nach Ende (t2) der Praxissemesterbegleitveranstaltungen. Über eine 4-stufige Likert-Skala („sehr unsicher“ bis „sehr sicher“) nahmen die Outgoing-Studierenden und die Studierenden vor Ort Selbsteinschätzungen zu Themenbereichen des Praxissemesters sowie zu den Dimensionen Fachdidaktischen Wissens und Könnens von Sportlehrkräften vor.
Insgesamt stufen die Studierenden ihre Kompetenzen zu Themenbereichen des Praxissemesters sowie in den Dimensionen Fachdidaktischen Wissens und Könnens zwischen „eher unsicher“ und „eher sicher“ ein. Vor Beginn des Praxissemesters zeigen sich gleichermaßen in beiden Gruppen die größten Unsicherheiten bezüglich forschungsmethodischer Aspekte (Identifizieren und Formulieren von Forschungsfragen, Methodisches Handwerkzeug zur Erstellung des Forschungsberichtes & Systematische Unterrichtsbeobachtung im Sportunterricht). In der Dimension Mit SuS interagieren geben die Studierenden zu t1 die größten Unsicherheiten bei der Selbsteinschätzung Fachdidaktischen Wissens und Könnens an.
Alle genannten Einschätzungen unterscheiden sich in den beiden Gruppen zu t1 statistisch nicht voneinander. Die Betrachtung von t2 zeigt in beiden Gruppen eine statistisch signifikante Zunahme der Selbsteinschätzungen - mit Ausnahme der Dimension Planung von Sportunterricht. Die Effektstärken kennzeichnen bedeutsame Veränderungen. Post-hoc-Analysen ergeben zudem, dass der jeweilige Zuwachs oftmals in der Gruppe der Studierenden vor Ort am größten ist. Da keine Interaktions- oder Gruppeneffekte (mit Ausnahme von „Mit SuS interagieren“) ermittelt werden, kann insgesamt festgehalten werden, dass die Studierenden in beiden Gruppen subjektive Kompetenzzuwächse (im Fachdidaktischen Wissen und Können sowie in den Themenbereichen des Praxissemesters) bei sich feststellen.

Exemplarische Ergebnisse aus den Interviews

In einem zweiten Schritt wird exemplifiziert, welchen Nutzen die Studierenden der Methode der Fallarbeit beimessen. Dieser Aspekt wird in den Interviews adressiert, deren Auswertung noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Dennoch lassen sich erste Hinweise zu dieser Frage skizzieren. Alle interviewten Studierenden heben hervor, dass ihnen der Austausch über den erlebten und eigenständig gestalteten Unterricht im Rahmen des Praxissemesters besonders wichtig sei. Grundsätzlich beschreiben die Studierenden in diesem Zusammenhang einen hohen Nutzen der Methodik der Fallarbeit:

Also ich bin eigentlich schon recht ähm überzeugt von diesem Modell oder dieser Methodik […], weil - ich kann nicht hundert-prozentig sagen ob es darauf zurück zu führen ist -, aber ich hab halt selbst gemerkt, ähm dadurch dass wir eben diese Fallarbeit ähm digital besprochen haben, dass ich während des Praktikums selber halt auch viel öfter auf Sachen geachtet habe, Sachen beobachtet habe und dann auch selber schon halt für mich ähm Handlungsalternativen irgendwie gesucht […] Ähm und ich weiß nicht, ob ich das in dem Maße auch gemacht hätte, wenn wir das vorher nicht so besprochen hätten. Also ich glaube zwar auch, dass das so ein Reifeprozess ist irgendwie, dass man mittlerweile halt sich auch traut ähm da einfach mal mehr zu hinterfragen, als man es vorher in den Praktika gemacht hätte. (B2)

Eine Bedeutung kasuistischen Vorgehens sieht dieser Student auch in Bezug auf die Nachbereitung eigenständigen Unterrichts:

Also das habe ich jetzt auch gemerkt, wenn ich selber auch Unterricht ähm gegeben habe ähm. Man hat dann ja noch die Momente im Kopf, die einem vielleicht nicht so gut gefallen haben [I.: Mhm] ähm, dass man entweder schon direkt Handlungsalternativen im Kopf hat ähm wo man halt schon meint: Oh das hätte ich mal lieber so machen sollen oder ähm im Nachhinein sich mit anderen austauscht oder ob man in der Literatur guckt oder sowas, was in so einer Situation eher ähm funktioniert hätte [I.: Mhm] ähm, dass man ja, dass dadurch dann so im Nachhinein so verarbeitet, also das werde ich auf jeden Fall nachher schon so machen, dass ich quasi so diese Punkte abarbeite, dass man halt wirklich erstmal beobachtet die Situation, wieder so ein bisschen Revue passieren lässt ähm und dann guckt, welche Normen sind da jetzt verletzt worden ähm, wie kann ich damit besser in Zukunft umgehen. (B2)

Student B2 beschreibt hier außerdem, dass er das Vorgehen in dieser Form auch im späteren Unterrichtsalltag als Sportlehrkraft nutzen wolle. Dieser Bezug wird auch von den anderen Studierenden hergestellt. Es zeigen sich somit erste Hinweise zur positiven Bedeutungszuschreibung der Studierenden hinsichtlich Professionalisierungsprozessen über eine systematische Fallarbeit. Student B2 spricht in diesen Zusammenhang von einem „Reifeprozess“; Student A1 von einem Prozess des Verinnerlichens:

Vorteile auf jeden Fall: Einmal, dass man sich halt äh diesen; dass man sich mehr mit den Unterricht per se auseinandersetzt ähm diesen Kriterien des Sportunterrichts, also was gibt es da für Werte und Normen die [I.: Mhm, ja okay] vielleicht verletzt wurden, also dadurch finde ich ähm kommt es zu so ner, man fängt es an zu verinnerlichen, was was wirklich äh im Sportunterricht stattfinden sollte oder was nicht stattfinden sollte (A1)

Als bedeutsam erweist sich nach erster Analyse auch die Themenauswahl für die behandelten Fallbeispiele. Die Studierenden heben hier bestimmte Unterrichtsdimensionen als besonders relevant hervor. Genannt wird insbesondere der Umgang mit Unterrichtsstörungen. Dies erscheint konsistent zu den Ergebnissen der Befragung, in der vor allem das Interagieren mit Schüler*innen zu Beginn des Praxissemesters mit größerer Unsicherheit verbunden ist.
Die Studierenden adressieren zudem Herausforderungen bei der Fallarbeit - primär bei der Interpretation des Falls sowie bei der Identifikation von alternativen Handlungsmöglichkeiten, wenngleich sie gerade die Sammlung von Lösungsmöglichkeiten in der Fallanalyse als besonders gewinnbringend erachten („das hat mir am meisten gebracht“, Studentin D4). Das systematische Definieren von Normen erscheint aus Sicht einiger Studierenden stellenweise als langwierig. Studentin D4 beschreibt beispielsweise, sie würde gerne „schneller den Fokus auf die Handlungsalternativen“ legen wollen, wenngleich ein Bewusstsein für die Bedetung der Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext vorhanden ist.

6. AUSBLICK

Über die im ersten Seminardurchgang gewonnen Erkenntnisse soll die Blended-Learning-Begleitveranstaltung in der Ausgestaltung optimiert werden. Das Evaluationsvorgehen wird für die nächsten zwei Seminardurchgänge ebenfalls überarbeitet und erweitert. Es sollen dann zusätzlich längsschnittliche Veränderungen des Fachdidaktischen Wissens und Könnens der Studierenden betrachtet werden. Dabei werden die Ergebnisse mit der Evaluation des Blended-Learning-Formats sowie mit den Selbsteinschätzungen der Studierenden verknüpft und auf Zusammenhänge untersucht. Bereits die qualitativen Interviews zeigen exemplarisch, dass Studierende von der Verwendung von Fallarbeit im Professionalisierungsprozess zu profitieren scheinen. Inwiefern sich die subjektive Sichtweise der Studierenden mit dem tatsächlichen Kompetenzzuwachs deckt, soll in den folgenden Seminardurchgängen untersucht werden.

AUTOR*INNEN

Sina Hinternesch

ist seit 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität Flensburg. Sie ist Doktorandin am Arbeitsbereich Sportpädagogik und -didaktik und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Dissertation mit der sportbezogenen Gesundheitskompetenz von Schüler*innen. In der Lehre ist sie für die Praxissemesterbegleitung angehender Sportlehrkräfte sowie fachpraktisch im Bereich Turnen tätig.

Prof. Dr. Jürgen Schwier  

ist seit 2009 Professor für Sportpädagogik und -soziologie an der Europa-Universität Flensburg. Sein Schwerpunkt in der Lehre ist die Sportlehrer*innenbildung. In der Forschung beschäftigt er sich u.a. mit bewegungsorientierten Jugendkulturen und der Mediatisierung des Sports.

Prof. Dr. Miriam Seyda

ist seit 2018 Professorin für Sportpädagogik und -didaktik an der Europa-Universität Flensburg. Zu ihren Schwerpunkten in der Lehre zählt u.a. die fachwissenschaftliche und -fachdidaktische Ausbildung angehender Sportlehrkräfte im Bereich der Erziehung und Bildung sowie Schule und Unterricht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Schulsportforschung mit besonderem Fokus auf die Professionalisierung von Sportlehrkräften und der Unterrichtsentwicklung.

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