„Motorische Eigenrealisation“ kompetenzorientiert prüfen

André Klostermann, Elke Gramespacher, Barbara Hauser, Claudia Klostermann

ZUSAMMENFASSUNG

Der Mehrwert kompetenzorientierten Lehrens und Prüfens wie daraus resultierende Herausforderungen sind unbestritten. Letzteres zeigt sich vor allem, wenn Lernziele ausserhalb der „klassischen“ kognitiven Wissenskategorien liegen. So etwa in der Lehrer*innenbildung im Studienfach Bewegung und Sport, bei welcher der praktisch-methodische Studienanteil „motorische Eigenrealisation“ zwar einen hohen Stellenwert einnimmt, eine kompetenzorientierte Prüfung allerdings offen ist. Anhand der Analyse eines sportpraktischen Assessments wird aufgezeigt, inwiefern die angewandte Prüfung zur Ausbildung akademischen und professionsbezogenen Wissens beitragen kann. Abschliessend werden Möglichkeiten für eine kompetenzorientierte Prüfung der motorischen Eigenrealisation diskutiert.

 

1. KOMPETENZORIENTIERTES LERNEN UND PRÜFEN


Die (Neu-)Ausrichtung der Hochschullehre wurde in Europa mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses forciert. Aus hochschuldidaktischer Perspektive bildet die Fokussierung auf die Kompetenzorientierung das Kernstück der Revision; sie markiert einen (auch kritisch diskutierten) Paradigmenwechsel (z. B. Wildt, 2006). Im Grundsatz sollen Studierende dazu befähigt werden, Wissen wiederzugeben (Akademisches Wissen), im spezifischen Kontext anzuwenden (Professionelle Fertigkeiten) und diesen Prozess differenziert zu reflektieren (Kritisches Bewusstsein).
Eine weitergehende Spezifikation der angestrebten Qualifikation kann etwa durch eine Differenzierung in Kompetenzbereiche und Handlungsdimensionen erfolgen (Euler & Hahn, 2004). Dies heißt mit Blick auf das Studienfach Bewegung und Sport – hier: im generalistisch ausgerichteten Lehramtsstudium für Primarstufe an Pädagogischen Hochschulen der Schweiz (z. B. Bachmann et al., 2021) – und auf den Aspekt motorische Eigenrealisation fokussiert: Studierende sollen durch das Lehramtsstudium eine adressaten- wie auch sachgerechte Anwendungskompetenz erlangen, die auf einem Grundschatz an sportmotorischem und professionsrelevantem Wissen und Können sowie einer kritischen Auseinandersetzung mit denselben aufbaut (z. B. Stiller & Kahlert, 2021). Hierbei richtet sich der Fokus häufig vor allem auf die Ausbildung der Sachkompetenzen. In Erweiterung dieser Schwerpunktsetzung richten Stiller und Kahlert (2021) in ihrem aktuellen Studiengangkonzept zur Lehramtsausbildung den Fokus auch auf die Entwicklung der Selbstkompetenzen der Studierenden. Eine fachspezifische Konkretisierung der für die spätere Berufspraxis als Lehrperson ebenso bedeutenden Sozialkompetenzen steht hingegen noch aus.
Dabei gilt grundsätzlich, dass sich mit der Kompetenzorientierung die Hochschullehre vermehrt an evidenzbasierten (u. a.) lernpsychologischen Aspekten ausrichtet. Zentral ist, dass fortan die Lernenden im Zentrum der Hochschullehre stehen; ihre Perspektive markiert den Ausgangspunkt aller Lehrkonzepte. Durch den shift from teaching to learning (z. B. Wildt, 2006) sind Lernziele (sog. Learning Outcomes) statt – wie zuvor – Lehrziele zu formulieren. Lernziele gestatten eine greifbare und (unmittelbar) messbare Überprüfung des Gelernten und rahmen den Lernprozess. Kompetenzen (Learning Outcomes), Lernprozess (Lehr-/Lernaktivitäten) und Assessment (Prüfungsmethoden) bilden die tragenden Säulen des Con-structive Alignments (Biggs, 1996). Dieses Konzept entspricht dem aktuellen Verständnis von guter (Hochschul-)Lehre und seine Lernwirksamkeit ist empirisch fundiert (u. a. Hattie, 2009).
Bei der Formulierung von Learning Outcomes gilt es (1) die zu erwerbenden Kompetenzen im Sinne von Lernzielen transparent und verständlich zu kommunizieren, (2) geeignete Lehr- und Lernaktivitäten zu konzipieren und (3) zu den Lernzielen passende Formen des Assessments zu selektieren. Für eine fundierte Formulierung von Learning Outcomes dient etwa das überarbeitete Modell von Bloom (Krathwohl, 2002). Demnach werden Learning Outcomes in Abhängigkeit von Komplexität und Abstraktheit differenziert und mittels Aktionsworten formuliert. Dieses Vorgehen gestattet sowohl die a-priori Festlegung des zu erwartenden Kompetenzniveaus als auch die Herstellung direkter Bezüge zu passenden Lehr-/Lernaktivitäten und auch zu inhaltlich passenden Prüfungsformen.
Das Prüfen von Studienleistungen ist ein integraler Bestandteil der Hochschullehre: Prüfungen gewährleisten Vergleichbarkeit, Selektion und Qualitätssicherung, können Studierenden Feedback über ihre Lernprozesse und Lernleistungen geben und sie motivieren, im Lernprozess fortzufahren (Walzik, 2012). Tatsächlich aber nehmen Studierende Beurteilungssituationen eher selten als Lerngelegenheit war, sondern assoziieren Prüfungen oft nur mit der Selektionsfunktion: Die Ergebnisse der nächsten Prüfungen entscheiden über den Abschluss des Moduls/der Modulgruppe. Daher richtet die Mehrheit der Lernenden die Semesterplanung – und damit einen wesentlichen Teil ihrer Lernstrategien – auf die Prüfungen aus (Halbherr et al., 2016).
Um die Funktion der Lernförderung, die sich mit Prüfungen verbindet, in einen für Studierende sicht- und verstehbaren Kontext zu stellen, sollten die Lernziele und dazugehörige Assessments kohärent geplant werden. Dies setzt ein Ineinandergreifen von Lernzielen und Assessmentformen voraus. Halbherr et al. (2016) weisen darauf hin, dass dies besonders anspruchsvoll sei, wenn die zu prüfenden Kompetenzen außerhalb kognitiver Wissenskategorien beziehungsweise Lernzieltaxonomien liegen, was primär Studienfächer tangiere, in denen Lernziele mit praktischen Lernanteilen curricular verankert sind.
Damit ist die Einschätzung von Halbherr et al. (2016) für das Studienfach Bewegung und Sport relevant. Zugleich mag diese Einschätzung verwundern, denn nahezu zeitgleich zu den kognitiven Lernzieltaxonomien wurden für die Lernbereiche Affekt und Motorik adäquate Modelle entwickelt und im (internationalen) Diskurs verhandelt (siehe z. B. Göldi, 2011). So kann für die Setzung motorischer Lernziele etwa auf das Modell von Dave (1968) zurückgegriffen werden, das einschlägige Sammlungen als Psychomotorische Lernzieltaxonomie bezeichnen (Göldi, 2011). Analog zu klassischen Modellen des motorischen Lernens (u. a. Meinel & Schnabel, 2018) definierte Dave fünf Stufen, anhand derer der Beherrschungsgrad motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten auf Basis äußerer Kriterien eingeordnet werden kann. Dies ermöglicht den Lehrenden – den kognitiven Lernzieltaxonomien entsprechend – a-priori (1) das intendierte Kompetenzniveau festzulegen, dieses (2) anhand passender Learning Outcomes zu formulieren und (3) die Lehrsequenzen (Aktivitäten und Assessment) kohärent dazu zu gestalten.
Allerdings verbindet sich mit dem Studienfach Bewegung und Sport in der Lehrer*innenbildung nicht (ausschließlich) der Auftrag, die Studierenden bewegungs- und sportpraktisch auszubilden; daher nutzt das Modell von Dave (1968) hier nur bedingt. Wesentlich ist vielmehr die Vermittlung sportpädagogischer Kompetenzen: Die Studierenden sollen anhand der motorischen Eigenrealisation und der damit verbundenen exemplarischen Erweiterung ihrer motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten lernen, ihre eigene motorische Betätigung wie auch die motorische Eigenrealisation Anderer sportwissenschaftlich fundiert und differenziert wahrzunehmen und darüber zu reflektieren. Mit diesem zweifachen Anliegen – Bewegungen lesen und darüber reflektieren können – verbindet sich eine enge Praxis-Theorie-Verknüpfung, für die eine passgenaue Formulierung von Learning Outcomes erforderlich ist.
Die hochschuldidaktische Frage, wie Prüfungen zur exemplarischen motorischen Eigenrealisation kompetenzorientiert zu gestalten sind, wurde aber in Veröffentlichungen bislang selten diskutiert (z. B. Stiller & Kahler, 2021). Um dieses Desiderat zu beschreiben, werden in Teil 2 aktuelle Entwicklungen kompetenzorientierter Studiengänge und des Studienfachs Bewegung und Sport skizziert und deren Praktikabilität anhand eines praktizierten sportpraktischen Leistungsnachweises reflektiert. Abschließend (Teil 3) werden Lösungen benannt, deren Erprobung projektiert sind.

 

2. PRAXIS-THEORIE-VERKNÜPFUNGEN IDENTIFIZIEREN UND PRÜFEN


In der Lehrer*innenbildung und in der Ausbildung von Kindheitspädagog*innen sind motorische Anteile notwendig (u. a. Stiller & Kahlert, 2021). In der angestrebten Profession sind motorische Bildungs- und Lernprozesse (junger) Kinder zu gestalten. Die Praxis von Lehrpersonen gilt als unsicher – sogar als „krisenhaft“ (Helsper, 2001) –, da Handlungen im Unterrichtsalltag nicht „rezeptartig“ anzuwenden, sondern den Lern- und Entwicklungsprozessen der Kinder situativ anzupassen sind. Zugleich ist professionelles Handeln von Lehrpersonen und Kindheitspädagog*innen aufgrund der Verantwortung für die Bildungs- und Entwicklungsprozesse ihrer Schüler*innen beziehungsweise Kinder stets begründungspflichtig. Krus und Jasmund (2019) weisen darauf hin, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte angesichts dieser Komplexität einen Zugang zu sich selbst benötigen, um Unterrichtssituationen mehrperspektivisch und professionell begegnen zu können. Ein entsprechender Zugang zur Domäne der motorischen Förderung der Kinder könne durch die differenzierte Wahrnehmung und Reflexion der erforderlichen exemplarischen motorischen Eigenrealisation erreicht werden. Dies führt zu der Anschlussfrage, wie dieser Anspruch bei der kompetenzorientierten Prüfung motorischer Eigenleistungen eingelöst werden kann.
Um dieser Frage nachzugehen, wird hier die Herleitung von Lernzielformulierungen und deren Überprüfung beispielhaft an einer Prüfungsleistung im Studienfach Bewegung und Sport im Studiengang Kindergarten-/Unterstufe (Klassen 1-3) an der Pädagogischen Hochschule FHNW (Schweiz) dargestellt – und im Sinne des Constructive Alignements (Biggs, 1996) kritisch hinterfragt.
Die Prüfungsleistung im Kontext der Modulgruppe „Fachwissenschaft Bewegung und Sport“ besteht aus einer schriftlichen und einer motorischen Leistung. Die Grobziele der Modulgruppe werden folgendermaßen beschrieben:
Die Studierenden können…

  • grundlegende fachspezifische Konzepte des motorischen Lernens und ihre Grundlagen (z. B. bewegungswissenschaftliche Ordnungsstrukturen) darlegen.
  • bewegungs- und sportbezogene Lern- und Entwicklungsprozesse gestalten, umsetzen und evaluieren.
  • durch die Eigenrealisation motorischer Lernprozesse Zusammenhänge zu den fachwissenschaftlichen Grundlagen herstellen.
  • die motorische Entwicklung und das motorische Lernen von Kindern (insb. mit Blick auf die Zielstufe: vier- bis neunjährige Kinder) erklären, analysieren und evaluieren.

Somit liegt der Schwerpunkt dieser Modulgruppe auf dem Kompetenzbereich Wissen (im Sinne Akademischen Wissens). Das sich als Handlungsbereich abbildende Können wird primär durch die professionelle Fertigkeit, bewegungs- und sportbezogene Lernprozesse für Schüler*innen gestalten zu können, thematisiert. Die Handlungsdimension des kritischen Bewusstseins über motorische Lernprozesse scheint in den formulierten Kompetenzzielen dieser Modulgruppe eher punktuell auf, welche mit einer im Grundstudium von allen Studierenden geforderten (und obligatorisch zu benotenden) Studienleistung in der fachwissenschaftlichen Modulgruppe Bewegung und Sport fundiert wird. Diese Studienleistung wird im Folgenden exemplarisch analysiert; die Leitfrage dabei lautet: Was wird im Assessment des Moduls geprüft? Die Prüfung muss sich an den obengenannten Lernzielen der Modulgruppe „Fachwissenschaft Bewegung und Sport“ messen lassen können, wobei nicht alle Lernziele gleichermaßen gewichtet werden müssen.
Umgesetzt wird im grundlegenden Modul dieser Modulgruppe eine schriftliche Prüfung zum motorischen Lernen. Diese wird mit Blick auf die Notenfindung für das Modul kombiniert mit einer sportpraktischen Präsentation, also einer Aufgabe zur „motorischen Eigenrealisation“, sodass die Studierenden einen eigenen motorischen Lernprozess erfahren und diesen – auch mit Blick auf die angestrebte Profession, mithin auf Vermittlungsprozesse im Bewegungs- und Sportunterricht – reflektieren. Dazu sollen die Studierenden drei von vier turnerischen Fertigkeiten in einer vorgegebenen Reihenfolge (Standwaage, Handstand, Rad einseitig, Sprungrolle) sowie Kernwürfe und das Fangen eines Handballs präsentieren. Insbesondere mit Blick auf die turnerischen Fertigkeiten übersteigt der Schwierigkeitsgrad der zu lernenden motorischen Aufgaben das Niveau der im späteren beruflichen Kontext zu vermittelnden motorischen Aufgaben deutlich (siehe D-EDK, 2016, S. 15-17; Fachbereich Bewegung und Sport; Kompetenzbereich „Bewegen an Geräten“; zum Beispiel „Rolle vorwärts“, „den Körper stützen“ oder „Ausführung von Roll- und Drehbewegungen“), sodass sich die Studierenden auch keine sportartspezifische Leitbildorientierung aneignen können. Dies ist allerdings auch nicht die Zielstellung des skizzierten Moduls. Vielmehr wurden bewusst komplexe motorische Aufgaben selektiert, damit aus sportmotorischer Sicht durchschnittliche Studierende das (Neu-)Lernen einer motorischen Aufgabe tatsächlich erleben können, was für adäquate Aufgaben in der Zielgruppe (4 bis 9 Jahre) nicht realistisch erscheint. Nichtsdestotrotz wäre eine Passung anzustreben, sodass, gemäß dem Prinzip des didaktischen „Doppeldeckers“, die Leitbildorientierung mitgelernt werden könnte. Die Präsentationen der motorischen Aufgaben erfolgen in Form von individuellen Videobeiträgen, welche zur Bewertung abzugeben sind. Der Einsatz digitaler Medien erlaubt den Studierenden eine zeitliche Effizienz und gestattet zudem die Wahrung der individuellen Persönlichkeitsansprüche berücksichtigende Form des Assessments (körperliche Exponiertheit in der Prüfungssituation).
Die Kriterien für die summative Bewertung der Präsentation sind an den klassischen Modellen des motorischen Lernens (Meinel & Schnabel, 2018) und der Taxonomie nach Dave (1968) orientiert und beinhalten quantitative (z. B. Anzahl gelungener Würfe) und qualitative (z. B. korrekte Ausführung aller Knotenpunkte bei der Standwaage) Merkmale der Bewegungsausführung. Offen bleibt die Prüfung des zweiten Teils des Lernziels: Zusammenhänge zu den fachwissenschaftlichen Grundlagen herstellen. Der Teil, der das Verständnis über motorische Lernprozesse betrifft, wird im Assessment nicht explizit geprüft und benotet. Damit wird die geforderte hochschuldidaktische Kohärenz – dies sei hier selbstkritisch angemerkt – nicht hinreichend erreicht.
In der Folge entsteht die Frage, wie im Kontext dieser motorischen Prüfungsleistung das letzte Ziel, welches der Logik der klassischen Lernziel-Taxonomien folgt, erreicht werden kann: die Analysekompetenz. Dieses Ziel ließe sich mit Blick auf das gegebene Beispiel wie folgt formulieren: Studierende können auf Basis der Eigenrealisation motorischer Lernprozesse Zusammenhänge zu den fachwissenschaftlichen Grundlagen herstellen. Diese Zielsetzung stellt die exemplarische motorische Eigenrealisation schließlich in den Dienst des kognitiven Verstehens und weiterführenden Reflektierens. Damit dies gelingen kann, ist nicht nur die Qualität (eigener) motorischer Lernprozesse (sensu Dave, 1968) relevant. Vielmehr trägt diese gemeinsam mit der durch die geforderte Videopräsentation, welche den Studierenden eine Außensicht auf die eigene motorische Realisation – also auf die eigene Bewegungskompetenz – gestattet, zu einem kognitiven Verstehensprozess bei und ermöglicht schließlich eine sinnvolle Praxis-Theorie-Verknüpfung. Wie aber kann die Praxis-Theorie-Verknüpfung, die einen kohärenten Zusammenhang zwischen „motorischer Eigenrealisation“ und „Anbindung an fachwissenschaftliche Perspektiven“ verspricht, hochschuldidaktisch instruiert und von den Studierenden erarbeitet werden?


3. AUSBLICK


Die Suche nach kompetenzorientierten Assessment-Optionen zum Lernziel „Verständnis über motorische Lernprozesse“ setzt an einem aus dem reflexiven Schulsport bekannten Format an: Lerntagebücher mit Reflexionen zum motorischen Lernprozess (z. B. Bund, 2005). Wie können Lerntagebücher so gestaltet werden, dass die Lernprozesse, die sich in der exemplarischen motorischen Eigenrealisation Studierender niederschlagen, lernförderlich, das heißt für die Studierenden selbst sichtbar, werden? Und wie kann der Prozess der motorischen Eigenrealisation am eigenen exemplarischen motorischen Lernen differenziert verstanden, Zusammenhänge zum fachwissenschaftlichen Grundlagenwissen hergestellt und auf die angestrebte Profession transformiert werden? Dies sind mit Blick auf die exemplarische motorische Eigenrealisation in der Lehrer*innenbildung und in der Ausbildung von Kindheitspädagog*innen unseres Erachtens die zentralen Fragen, denn aktuell kann nur vermutet werden, dass die erfolgreiche Bearbeitung motorischer Aufgaben bei Studierenden zum expliziten und/oder impliziten Verständnis über das Lernen motorischer Bewegungsabläufe führt.
Allenfalls kann eine gezielte Reflexion der motorischen Eigenrealisation einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass Studierende beispielsweise verstehen, inwiefern es eine motorische Herausforderung sein kann, komplexe Bewegungsabläufe neu zu erlernen, dass motorische Lernprozesse nicht geradlinig verlaufen, und dass die Motivation in motorischen Lernprozessen schwankt. Dies eröffnet auch eine Perspektive auf die nicht immer gradlinig verlaufenden Prozesse des motorischen Lernens von Kindern beziehungsweise von Schüler*innen. Um diese und ähnliche Erkenntnisse in kompetenzorientierten Prüfungen zu generieren, könnte das problem-basierte Lernen (Weber, 2007) oder das reflexive Schreiben (Paus & Jucks, 2013) genutzt werden. Weiter könnten Reflexionen digital, etwa mit dem E-Portfolio (Chaudhuri & Cabau, 2017) oder anhand des Social Video Learnings (Tarantini, 2020) unterstützt werden. Videobasierte Lernsettings scheinen für das Unterrichtshandeln im Fach Bewegung und Sport vielversprechende Assessment-Methoden zu bieten, da sie die Komplexität von Bewegungen als auch von Unterrichtssituationen sichtbar machen.
Gleich, welche Methode für das Assessment (exemplarischer) motorischer Eigenrealisation im Studienfach Bewegung und Sport angewandt wird: Zentral ist, dass Studierende durch kompetenzbezogen formulierte Aufgabenstellungen angeleitet werden. Sie sollten (1) Zusammenhänge zu den fachwissenschaftlichen Grundlagen herstellen, (2) ihre Erkenntnisse in ihrer Reflexion auf ihre künftige Profession – auf das Unterrichten von Schüler*innen – beziehen, (3) Ideen für das eigene sportdidaktische Handeln entwickeln und diese schließlich (4) mit Aspekten der motorischen Lernprozesse begründen. Auf diese Weise verknüpfen Studierende fachwissenschaftliches Wissen mit fachdidaktischen Aspekten. Die genannten hochschuldidaktischen Methoden sind mit Blick auf die im Bologna Prozess eingeführte professionelle Fertigkeit und kritische Kompetenz zielführend. Zugleich lassen sie offen, wie die exemplarische motorische Eigenrealisation in entsprechenden Assessments im Detail zum Tragen kommt. Diesem Desiderat forschend nachzugehen, wäre für das Studienfach Bewegung und Sport ein Gewinn.

 

AUTOR*INNEN

PD Dr. André Klostermann   
ist seit 2020 Dozent in der Hochschuldidaktik & Lehrentwicklung sowie am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Bern. Er befasst sich in Lehre, Forschung und Weiterbildung u.a. mit Nutzungsmöglichkeiten und Potentialen digitalisierter Lehr- und Lernmethoden.


Prof. Dr. Elke Gramespacher
leitet seit 2011 die Professur Bewegungsförderung und Sportdidaktik im Kindesalter am Institut Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW (Schweiz). Sie befasst sich neben Fragen zur Hochschuldidaktik mit der bewegungs- und sportbezogenen Kindheitsforschung, auch unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Diversität.


Barbara Hauser
ist seit 2015 Dozentin für Bewegungsförderung und Sportdidaktik an der Pädagogischen Fachhochschule Nordwestschweiz und seit 2021 Dozentin für Sportdidaktik an der Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana. Als Koordinatorin für Qualität der Lehre am Institut Kindergarten-/Unterstufe (PH FHNW) befasst sie sich u.a. mit der Lehrkonzeption.


Dr. Claudia Klostermann
ist seit 2018 Dozentin für Bewegung und Sport an der Professur Bewegungsförderung und Sportdidaktik im Kindesalter am Institut Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW (Schweiz). Sie ist schwerpunktmäßig in der Lehre von Lehrpersonen auf Kindergarten- und Primarstufe tätig.Institut Kindergarten-/Unterstufe

 

LITERATUR

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