Einmal durchatmen bitte!
Atmen ist überlebensnotwendig. Aber was passiert da eigentlich genau und was ist alles sonst noch mit der Atmung verknüpft? Das und wie bewusstes Atemtraining im Alltag, Beruf oder im Sport helfen kann, lernen Sie in unserer Weiterbildung Breathing Techniques. Einen ersten Einblick gibt es aber hier schon mal mit unserem Referenten Dr. Sylvain Laborde.
Die Atmung ist essenziell für die Sauerstoffversorgung – sie beeinflusst jedoch weit mehr als nur physiologische Basisprozesse.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es darüber, wie bewusstes Atmen zur Stressreduktion und mentalen Beruhigung beitragen kann? Welche physiologischen Mechanismen greifen dabei?
Bewusstes Atmen – insbesondere langsames, regelmäßiges Atmen – ist ein sehr wirkungsvolles Mittel zur akuten Stressreduktion und zur Beruhigung des Geistes. In unserer großen Meta-Analyse zu freiwilligem langsamen Atmen konnten wir zeigen, dass Slow-Paced Breathing (SPB; typischerweise ca. 4,5–6,5 Atemzüge pro Minute) die Herzfrequenz senkt und die vagal vermittelte Herzfrequenzvariabilität (vmHRV) deutlich erhöht – also genau den Teil des autonomen Nervensystems stärkt, der für Erholung, Regeneration und flexible Anpassung zuständig ist (Laborde et al., 2022). In einem experimentellen Laborstudie haben wir zudem gefunden, dass schon eine einzelne Sitzung mit Atmung bei sechs Atemzügen pro Minute – mit oder ohne HRV-Biofeedback – nicht nur die vmHRV erhöht, sondern auch die Stimmung verbessert und das subjektive Stresserleben reduziert (Laborde et al., 2022, Psychophysiology).
Physiologisch greifen dabei mehrere Mechanismen ineinander: Durch die Verlangsamung der Atmung wird das Atemvolumen größer, die Schwankungen des Blutdrucks nehmen zu, und der Baroreflex – ein wichtiger Reflexbogen zwischen Herz, Gefäßen und Gehirn – wird stärker aktiviert. Das erhöht die Aktivität des Vagusnervs zum Herzen (efferent) und gleichzeitig die Signale vom Körper zum Gehirn (afferent). Diese Signale laufen über Hirnstammkerne in Netzwerke, die auch für Emotionsregulation und exekutive Funktionen zuständig sind. In unseren theoretischen Arbeiten haben wir gezeigt, dass vmHRV als Marker dieser kardialen Vagusaktivität eng mit Selbstregulation, Emotionsregulation und Stressbewältigung verknüpft ist (Laborde et al., 2017; Laborde et al., 2018a, 2018b). Praktisch heißt das: Wer regelmäßig mit langsamer Atmung arbeitet, trainiert sein autonomes Nervensystem ähnlich wie einen Muskel – mit spürbaren Effekten auf Ruhe, Klarheit und Belastbarkeit.
Der Vagusnerv gilt als zentrales Bindeglied zwischen Atmung und autonomen Nervensystem.

Welche Rolle spielt er bei der Regulation von Körperfunktionen und psychischer Balance? Und über welche neurophysiologischen Mechanismen werden diese Effekte vermittelt?
Der Vagusnerv bildet tatsächlich so etwas wie die „Hauptschlagader“ zwischen Atmung, Körperfunktionen und psychischer Balance. Er beeinflusst Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Verdauung und Entzündungsprozesse – und sendet gleichzeitig einen Großteil seiner Fasern (rund 80 %) als afferente Signale vom Körper ins Gehirn. Wenn wir über Atmung und psychische Gesundheit sprechen, geht es vor allem um die kardiale Vagusaktivität, die wir über vagal vermittelte HRV messen können (Laborde et al., 2017).
In unserem „Vagal Tank Theory“-Modell beschreiben wir drei zentrale Dimensionen der Vagusfunktion: Ruhe (resting), Reaktivität (reactivity) und Erholung (recovery) (Laborde et al., 2018b). Ein gut gefüllter „Vagustank“ – also hohe vmHRV in Ruhe, angemessene Reaktion auf Belastung und zügige Erholung danach – geht mit besserer Emotionsregulation, höherer kognitiver Leistungsfähigkeit und geringeren Stressfolgen einher (Laborde et al., 2018a, 2018b).
Neurophysiologisch betrachtet laufen die vagalen Afferenzen über den Nucleus tractus solitarius und weitere Strukturen zu Netzwerken im Vorderhirn, die in der Neurovisceral-Integration mit Aufmerksamkeitssteuerung, Emotionskontrolle und Entscheidungsfindung in Verbindung stehen. In unserem Policy-Paper haben wir deshalb vorgeschlagen, vmHRV als praxisnahen, nicht-invasiven Biomarker für Selbstregulation in klinischen, organisationalen und pädagogischen Kontexten zu nutzen – und gezielt über Verfahren wie langsame Atmung, Tauchreflex oder transkutane Vagusnervstimulation zu beeinflussen (Laborde et al., 2023).
In der Praxis existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Atemtechniken – etwa langsame kontrollierte Atmung, Wechselatmung oder der sogenannte physiologische Seufzer.

Wie unterscheiden sich diese Verfahren in ihrer physiologischen Wirkung? Und in welchen Kontexten – etwa im Leistungssport, in der Therapie oder im Alltag – sind sie jeweils besonders sinnvoll einsetzbar?
Die verschiedenen Atemtechniken unterscheiden sich vor allem darin, wie stark und wie genau sie den Vagusnerv und damit das autonome Nervensystem ansprechen – und damit auch in ihren idealen Einsatzfeldern.
- Langsame kontrollierte Atmung / Slow-Paced Breathing (SPB)
In unseren Arbeiten steht SPB im Zentrum. Unsere Meta-Analyse zeigte, dass das freiwillige Verlangsamen der Atmung im Bereich von etwa 4,5–6,5 Atemzügen pro Minute vmHRV zuverlässig erhöht und die Herzfrequenz senkt – und zwar über viele Protokolle und Populationen hinweg (Laborde et al., 2022). In einer experimentellen Studie konnten wir zeigen, dass Atmung bei sechs Atemzügen pro Minute – mit oder ohne HRV-Biofeedback – autonomes Nervensystem und subjektive Befindlichkeit günstig beeinflusst (Laborde et al., 2022, Psychophysiology). In unserem Review mit Carole Sévoz-Couche haben wir detailliert beschrieben, wie SPB bei etwa 0,1 Hz die „Resonanzfrequenz“ im Herz-Kreislauf-System trifft: Herzschlag, Blutdruck und Atmung schwingen dann phasengleich, Baroreflexsensitivität und vmHRV steigen, und vagale Afferenzen zum Gehirn werden verstärkt (Sévoz-Couche & Laborde, 2022).
- Leistungssport: SPB eignet sich als Bestandteil von Pre-Performance-Routinen und zur Regeneration, weil es Erregungsniveau und Aufmerksamkeit reguliert (Laborde et al., 2018c).
- Therapie: SPB kann als Basis für Entspannung, Emotionsregulation und Expositionstraining dienen, gerade bei Angst- und Stressstörungen.
- Alltag: Kurze SPB-Blöcke (z. B. 1–5 Minuten) lassen sich vor Meetings, vor dem Einschlafen oder in Mikropausen integrieren.
- Wechselatmung (z. B. aus dem Yoga)
Hier steht – neben der Verlangsamung der Atmung – die asymmetrische Stimulation der Nasenlöcher im Vordergrund, vermutlich mit Effekten auf kortikale Aktivitätsmuster. Die Datenlage ist weniger systematisch als für SPB, aber in der Praxis berichten viele Menschen über verbesserte Konzentration und Ausgeglichenheit. Ich sehe Wechselatmung eher als Ergänzung, während SPB das physiologisch am besten verstandene „Baseline-Tool“ darstellt (Sévoz-Couche & Laborde, 2022).
- Physiologischer Seufzer
Der „physiologische Seufzer“ – ein oder zwei tiefere Einatmungen mit anschließender langer Ausatmung – kann sehr schnell Spannung abbauen, indem er CO₂-Level und Atemmuster normalisiert und einen parasympathischen Shift einleitet. Er ist besonders hilfreich in akuten Stressmomenten, z. B. zwischen Ballwechseln im Sport oder vor einem schwierigen Gespräch.
Zusammengefasst: SPB eignet sich als wissenschaftlich gut abgesichertes „Basis-Training“ für das autonome Nervensystem, andere Techniken wie physiologischer Seufzer oder Wechselatmung können als situative Ergänzung genutzt werden – je nach Setting und persönlicher Präferenz.
Inwiefern ist es entscheidend, Atemübungen regelmäßig zu trainieren, um nachhaltige Effekte zu erzielen?

Oder lassen sich bestimmte Atemtechniken auch gezielt als kurzfristige Intervention, beispielsweise in akuten Stresssituationen, wirksam anwenden?
Wie bei körperlichem Training gibt es bei Atemtechniken sowohl akute Effekte als auch Trainingsanpassungen.
In unserer Meta-Analyse konnten wir zeigen, dass langsames Atmen die vmHRV bereits während der Übung deutlich erhöht – und teilweise auch unmittelbar danach und über längere Interventionszeiträume hinweg (Laborde et al., 2022). Das bedeutet:
- Kurzfristig kann ich Atemtechniken durchaus „on demand“ einsetzen, z. B. direkt vor einer Prüfung, in einer Konfliktsituation oder abends vor dem Einschlafen. In unserer 6-Atemzüge-pro-Minute-Studie sahen wir bereits nach einer einzelnen Sitzung Veränderungen in vmHRV und Stimmung (Laborde et al., 2022, Psychophysiology).
- Langfristig zeigt sich aber, dass regelmäßige Praxis zusätzlich zu diesen Akuteffekten die „Grundkonfiguration“ des autonomen Nervensystems verändert. In einer 30-tägigen Intervention mit täglichem SPB vor dem Schlafengehen konnten wir bessere Schlafqualität und höhere nächtliche kardiale Vagusaktivität im Vergleich zu einer Social-Media-Kontrollgruppe nachweisen (Laborde et al., 2019).
Vor diesem Hintergrund spreche ich gerne von einer Kombination aus „Zahnbürsten-Effekt“ und „Feuerlöscher-Effekt“:
- Der Zahnbürsten-Effekt steht für kurze, regelmäßige Übungseinheiten (z. B. 10–15 Minuten täglich), die langfristig die Basisregulation verbessern.
- Der Feuerlöscher-Effekt steht für das gezielte Einsetzen einzelner Atemtechniken in akuten Stresssituationen – idealerweise auf einem Fundament, das durch regelmäßiges Training vorbereitet wurde.
Für welche Zielgruppen sind Atemtechniken besonders geeignet – und gibt es wissenschaftliche Hinweise auf Kontraindikationen oder Einschränkungen?

Wie lassen sich Ateminterventionen gegebenenfalls an Kinder, ältere Menschen oder Patient*innen mit spezifischen Vorerkrankungen anpassen?
Grundsätzlich sind Atemtechniken sehr niedrigschwellige, kostengünstige und nebenwirkungsarme Interventionen – gerade deshalb haben wir in unserem Policy-Paper vorgeschlagen, sie in unterschiedlichsten Kontexten systematisch zu nutzen (Laborde et al., 2023). Es gibt aber typische Schwerpunkte und einige wichtige Einschränkungen.
Besonders geeignete Zielgruppen
- Sportlerinnen und Trainerinnen: Hier lassen sich Atemtechniken zur Regulation von Erregung, Fokus, Regeneration und Schlaf einsetzen (Laborde et al., 2018c; Laborde et al., 2019).
- Menschen mit Stress-, Angst- oder Schlafproblemen: Unsere 30-Tage-Studie zeigte, dass tägliches SPB am Abend Schlafqualität und kardiale Vagusaktivität verbessert (Laborde et al., 2019).
- Personen in belastenden Arbeitskontexten (Führung, Pflege, Pädagogik): In unserem vmHRV-Framework schlagen wir vor, Ateminterventionen gezielt zur Stärkung von Selbstregulation im organisationalen Kontext einzusetzen (Laborde et al., 2023).
- Kinder und Jugendliche: Hier können Atemtechniken spielerisch vermittelt werden und früh Selbstregulationskompetenzen stärken.
Anpassungen und Vorsicht
Die Datenlage zeigt wenige ernsthafte Nebenwirkungen von langsamer Atmung (Laborde et al., 2022; Sévoz-Couche & Laborde, 2022). Dennoch sind einige Punkte wichtig:
- Bei schweren kardiovaskulären oder respiratorischen Erkrankungen (z. B. instabile Angina pectoris, schwere COPD) sollten Atemübungen nur in Absprache mit medizinischem Personal durchgeführt werden.
- Bei starker Panikneigung kann die Fokussierung auf Körperempfindungen anfangs beunruhigend sein. Hier arbeiten wir mit sehr kurzen, sanften Atemübungen und klarer psychoedukativer Einbettung.
- Für Kinder verwende ich oft Bilder („Kerze auspusten“, „Ballon aufblasen“) und kürzere Einheiten; bei älteren Menschen achte ich auf eine bequeme Position, ein angenehmes Tempo und gegebenenfalls längere Ein- und Ausatmungsphasen.
Entscheidend ist immer: nicht dogmatisch ein Protokoll „überzustülpen“, sondern Atemtechniken an die individuelle Gesundheitssituation, Vorerfahrungen und Ziele der Person anzupassen (Laborde et al., 2018a; 2023).
In der öffentlichen Wahrnehmung kursieren zahlreiche vereinfachte Darstellungen von Atemtechniken.

Welche typischen Missverständnisse begegnen Ihnen in diesem Zusammenhang, und wie lassen sich diese aus wissenschaftlicher Sicht einordnen?
„Jede Art von Atemtechnik wirkt gleich“
Nicht jeder Atemstil stimuliert den Vagusnerv in gleichem Maße. In unseren Arbeiten zu SPB und Resonanzatmung zeigen wir, dass besonders das Atmen im Bereich um 0,1 Hz (ca. 6 Atemzüge pro Minute), mit ruhiger, tiefer Atmung und relativ langer Ausatmung, die vmHRV und Baroreflexsensitivität optimiert (Laborde et al., 2022; Sévoz-Couche & Laborde, 2022). Sehr schnelle oder übermäßig tiefe Atmung kann dagegen eher in Richtung Hyperventilation gehen – mit gegenteiligen Effekten.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist es deshalb wichtig, klar zu benennen, welches Protokoll mit welcher Frequenz, Dauer und welcher Zielsetzung eingesetzt wird – und nicht alle Atemformen unter ein unscharfes Etikett zu fassen.
Welche aktuellen Entwicklungen und Forschungstrends im Bereich der Atmungsphysiologie und -psychologie halten Sie derzeit für besonders relevant oder zukunftsweisend?

Aktuell sehe ich mehrere spannende Entwicklungen in Forschung und Praxis der Atmungsphysiologie und -psychologie:
- Personalisierte Atmungsprotokolle
Während viele Programme einfach „6 Atemzüge pro Minute“ empfehlen, geht die Forschung zunehmend dahin, individuelle Resonanzfrequenzen zu bestimmen und Protokolle daran anzupassen. Unsere Arbeiten zu SPB und HRV liefern hier eine Basis, aus der sich personalisierte Ansätze ableiten lassen (Laborde et al., 2022; Sévoz-Couche & Laborde, 2022).
- Integration von Atmung, HRV und Gehirnfunktion
In unseren konzeptuellen Arbeiten (Vagal Tank Theory, Framework zu kardialer Vagusaktivität) verknüpfen wir autonomes Nervensystem, exekutive Funktionen und Emotionsregulation (Laborde et al., 2018a, 2018b). Ein wichtiger Trend ist, das weiter mit neurophysiologischen Maßen (z. B. EEG, fMRT, Heartbeat-Evoked Potentials) zu verbinden und so besser zu verstehen, wie Atemtechniken Gehirnnetzwerke für Selbstregulation modulieren.
- Skalierung in Alltag und Organisationen
In unserem Horizon-2030-Editorial haben wir betont, dass HRV von der Sportwissenschaft über die klinische Psychologie bis hin zur Organisationspsychologie breit an Bedeutung gewinnt (Laborde et al., 2022, Frontiers in Neuroscience). Im Policy-Paper schlagen wir konkrete Wege vor, wie man vmHRV-Assessment und Ateminterventionen pragmatisch in Kliniken, Unternehmen und Bildungseinrichtungen implementieren kann – inklusive Fragen von Zugänglichkeit und Kosten (Laborde et al., 2023).
- Kombination von Atmung mit anderen vagusbezogenen Interventionen
In unserem Policy-Paper diskutieren wir u. a. die Kombination von SPB mit Tauchreflex, transkutaner Vagusnervstimulation oder neurostimulativen Verfahren wie TMS und tDCS (Laborde et al., 2023). Hier entstehen integrative Programme, die mehrere Zugangswege zum autonomen Nervensystem bündeln.
Was zeichnet die Weiterbildung „Breathing Techniques“ an der Deutschen Sporthochschule Köln aus?

Wie ist sie strukturiert, und inwiefern verbindet sie wissenschaftliche Grundlagen mit praxisorientierten Inhalten?
Die Weiterbildung „Breathing Techniques“ an der Deutschen Sporthochschule Köln ist im Grunde eine Verdichtung dessen, was wir in den letzten Jahren in der Forschung erarbeitet haben – übersetzt in ein praxisnahes Format. Drei Elemente zeichnen sie besonders aus:
- Starke wissenschaftliche Fundierung
Die Inhalte basieren direkt auf unseren empirischen und theoretischen Arbeiten zu Slow-Paced Breathing, HRV und Vagusnerv (z. B. Laborde et al., 2017, 2018a, 2018b, 2019, 2022; Sévoz-Couche & Laborde, 2022; Laborde et al., 2023). Die Teilnehmenden bekommen kein „Wellnessprogramm“, sondern ein klares Verständnis darüber, warum bestimmte Techniken wirken, wie man Effekte messen kann und wo die Grenzen liegen.
- Verzahnung von Theorie und Praxis
Die Struktur umfasst u. a.:
- Grundlagenmodule zu Atmungsphysiologie, autonomem Nervensystem, Vagusnerv und HRV
- Vertiefungsmodule zu Atemtechniken (SPB, physiologischer Seufzer, Box Breathing, u. a.), inkl. Protokoll-Design
- Praxisphasen mit HRV-Messungen, Biofeedback und Fallarbeit
- Anwendungsmodule für Sport, Coaching, klinische Kontexte, Pädagogik und Unternehmen
Die Teilnehmenden erleben Atemtechniken selbst, lernen sie anzuleiten und können anhand von HRV-Daten sehen, wie sich das autonome Nervensystem tatsächlich verändert.
- Transfer in den eigenen Arbeitsalltag
Ein Ziel der Weiterbildung ist, dass jede Person am Ende ein maßgeschneidertes Konzept für ihren Kontext mitnimmt – sei es ein Protokoll für Athletinnen, ein Modul für Patientinnen, ein Programm für Mitarbeitende oder Atempausen für den Schulalltag. Unser vmHRV-Framework (Laborde et al., 2023) dient hier als Landkarte, um Assessment, Intervention und Evaluation systematisch zu verbinden.
Zum Abschluss

Im Alltag nutze ich tatsächlich zwei Atemtechniken besonders häufig – mit sehr unterschiedlichen Zielen.
Zum einen praktiziere ich seit über zehn Jahren jeden Abend slow-paced breathing, etwa 15 Minuten vor dem Einschlafen. Ich atme dabei sechs Atemzüge pro Minute, mit ruhiger Bauchatmung und etwas längerer Ausatmung. Das ist für mich so selbstverständlich geworden wie Zähneputzen: Es hilft mir, nach einem vollen Tag „runterzufahren“, die Gedanken zu sortieren und den Übergang in den Schlaf zu erleichtern. Zusätzlich setze ich dieselbe Form der langsamen Atmung tagsüber in kurzen Blöcken ein – zum Beispiel vor Vorträgen, wichtigen Meetings oder nach intensiven Terminen, um das autonome Nervensystem wieder zu zentrieren.
Zum anderen nutze ich am frühen Nachmittag eine eher aktivierende Kombination aus kurzzeitiger Hyperventilation und Diving Reflex: Neben meinem Schreibtisch steht eine Schüssel mit kaltem Wasser; ich mache zunächst für kurze Zeit schnelle, etwas tiefere Atemzüge und tauche anschließend das Gesicht ins kalte Wasser (so lang ich kann). Das erzeugt zunächst eine klare Aktivierung und dann über den Tauchreflex eine starke vagale Gegenreaktion. Für mich ist das eine sehr wirksame Methode, um das „Mittagstief“ zu durchbrechen und mich wieder wach und fokussiert zu fühlen.
Wichtig ist mir dabei zu betonen: Slow-paced breathing ist eine sehr gut verträgliche Basistechnik, die sich für die meisten Menschen eignet. Die Kombination aus Hyperventilation und Diving Reflex verwende ich eher aus professioneller Neugier und mit viel Erfahrung – sie ist nicht für jede*n und sollte bei gesundheitlichen Einschränkungen oder starker Angstneigung nicht ohne fachliche Begleitung einfach übernommen werden.
Referenzen

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Die neue Weiterbildung "Breathing Techniques" findet Anfang des nächsten Jahres zum ersten Mal am 17./18.01.2026 statt. Wer also durch das Interview neugierig geworden ist, kann sich gerne hier anmelden und von den erlernten Atemtechniken entweder privat oder berufflich profitieren!