Verbesserung der diagnostischen Kompetenz mit iPads®

Verbesserung der diagnostischen Kompetenz mit iPads® – Ein Ausbildungskonzept

Sandra Korban, Stefan Künzell

DOI: 10.25847/zsls.2018.012

ZUSAMMENFASSUNG

Diagnostische Kompetenz ist ein zentraler Aspekt der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften. In der Ausbildung der Sportlehrkräfte werden häufig nur einzelne Aspekte der diagnostischen Kompetenz, wie beispielsweise die Einschätzung des Leistungsstands und die Benotung der Lerngruppe angesprochen und untersucht. Das hier vorgestellte Ausbildungskonzept folgt einem weiten Begriffsverständnis von diagnostischer Kompetenz, das die Bewegungsbeobachtung und -analyse, die Auswertung und Beurteilung der Bewegungsqualität, sowie Rückmeldungen und korrigierende Anweisungen zur Bewegungsoptimierung umfasst. Die Ausbildung und Verbesserung dieser diagnostischen Kompetenz wurde im Verlauf der Ausbildung angestrebt und anhand der Parameter Bewegungsanalyse und –rückmeldung untersucht. 55 teilnehmende Studierende wurden exemplarisch anhand des Handstützüberschlags vorwärts am Boden - einer komplexen Rotationsbewegung mit hoher Ausführungsgeschwindigkeit - ausgebildet. Unterstützt wurden die Bewegungsanalyse und –rückmeldung durch den Einsatz von iPads® mit der App Coach’s Eye®. Die Treatmentgruppe arbeitete mit Aufnahmen der synchronisierten Gegenüberstellung des Technikleitbilds und der Eigenrealisation des Handstützüberschlags, die Vergleichsgruppe nur mit Aufnahmen der Eigenrealisation. Ziel war es, die Stärken und Schwächen der Bewegung zu erkennen (Bewegungsanalyse) und diese zusammen mit einer adäquaten Rückmeldung (Bewegungsrückmeldung) als verbalen Kommentar aufzuzeichnen. Die Qualität dieser Kommentare wurde über einen Untersuchungszeitraum von 4 Wochen von 2 Experten bewertet und mit einer zweifaktoriellen ANOVA mit dem 4-fach gestuften Messwiederholungsfaktor Testzeitpunkt und dem 2-fach gestuften Faktor Gruppe separat für den Aspekt „Bewegungsanalyse“ und für den Aspekt „Bewegungsrückmeldung“ evaluiert. Erwartet wurde, dass die teilnehmenden Studierenden durch diesen Einsatz digitaler Medien ihre diagnostische Kompetenz verbessern. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Vorteil für die Verbesserung der Bewegungsanalyse bei der Treatmentgruppe. Beide Gruppen verbesserten sich zudem signifikant bei der Bewegungsrückmeldung. Insgesamt konnte somit gezeigt werden, dass das vorgelegte Ausbildungskonzept zielführend und vielversprechend für die Ausbildung und Verbesserung der diagnostischen Kompetenz der Studierenden ist.

Improving diagnostic skills using iPads® - a training concept

Abstract: Diagnostic competence is a central aspect of a teacher’s skill set. In our study we follow a comprehensive definition of diagnostic competence that includes: movement observation, movement analysis, evaluation of movement quality, feedback and corrective instructions. The goal of our study was to find out whether the use of video feedback helps to improve diagnostic competence. Video feedback consisted either of solely the individual performance, or the addition of a synchronized expert model. We expected that participants would improve their diagnostic competence by the use of video feedback, and more so if the video included an expert model. With a four-week training schedule with one training session per week we aimed to improve the students’ diagnostic competence. While learning the front handspring on floor, 55 participants analysed their own performance and formulated feedback for themselves, using the Coach’s Eye app on iPads. For movement analysis, participants of the treatment group used synchronized recordings of an expert model and their own performance. The control group used only recordings of their own performance. Movement analysis and feedback were recorded and their quality was rated by 2 experts. We analysed differences in the quality of movement analysis and movement feedback with an ANOVA including the 4-way within-subject factor Time and the two-way factor Group. The results showed a significant advantage for the improvement of the movement analysis in the treatment group. Both groups also improved significantly in movement feedback. Overall, we showed that the presented training concept is target-oriented and promising for the improvement of students’ diagnostic competence.

1 EINLEITUNG

Seit einigen Jahren werden Inhalte und Bildungsstandards in der Lehrerausbildung sowie professionelle Fähigkeiten und Handlungskompetenz von Lehrkräften sehr intensiv diskutiert. Baumert und Kunter (2006) haben dazu das Modell professioneller Handlungskompetenz – Professionswissen erstellt (Abb. 1).

Sie beschreiben es als ein generisches Strukturmodell, das kognitionspsychologische Erkenntnisse mit kompetenztheoretischen Annahmen verbindet und für Lehrkräfte aller Fachrichtungen gültig ist (Baumert & Kunter, 2006). Den Bereich des Professionswissens unterteilen sie in verschiedene Wissensbereiche, unter anderem in das pädagogische Wissen, das Fachwissen, das fachdidaktische Wissen und das Beratungswissen. Die diagnostische Kompetenz verorten sie im Bereich des pädagogischen Wissens, weisen jedoch auch auf fachdidaktische Anteile hin. Insgesamt werten sie die diagnostische Kompetenz als ein wichtiges Merkmal für die Lehrtätigkeit und das unterrichtliche Handeln (Baumert & Kunter, 2006). Schrader (2013, S. 155) sieht die diagnostische Kompetenz eher als „unterrichtsbezogene Diagnoseleistung“ die, in Abgrenzung zur Leistungsdiagnostik, die Nutzung der Diagnostik für Unterrichts- und Lehr-Lernprozesse fokussiert. Er definiert dementsprechend allgemein diagnostische Kompetenz als die Fähigkeit, die im Lehrberuf anfallenden diagnostischen Aufgabenstellungen erfolgreich zu bewältigen“ (Schrader, 2013, S. 154). Der Begriff der pädagogischen Diagnostik geht auf Ingenkamp zurück, der ihn im Jahr 1968 als Sammelbegriff für „Beurteilungslehre“ und „Leistungsmessung“ verwendete (Ingenkamp & Lissmann, 2008). Dementsprechend wird hier definiert:

„Die Pädagogische Diagnostik umfasst alle diagnostischen Tätigkeiten, durch die bei einzelnen Lernenden und den in einer Gruppe Lernenden Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lernprozesse ermittelt, Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt werden, um individuelles Lernen zu optimieren“ (Ingenkamp & Lissmann, 2008, S. 13).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die diagnostische Kompetenz ein komplexes Konstrukt ist, das auf verschiedenen Wissensbereichen basiert und in den Unterricht hineinwirken will.

1.1 Forschungsansätze zur Diagnostischen Kompetenz

Ein wesentliches Problem ist immer noch, dass es kein theoretisch fundiertes und validiertes Modell zur diagnostischen Kompetenz gibt (Schrader, 2011). Einen Ansatz liefern Praetorius und Südkamp (2017) mit ihrem heuristischen Modell. In praktischen Studien wird die diagnostische Kompetenz häufig abgeleitet von der gemessenen Urteilsgenauigkeit, bzw. der Akkuratheit der Einschätzung von Schülerniveaus oder Aufgabenschwierigkeiten (McElvany, Schroeder, Hachfeld, Baumert, Richter, Schnotz, Horz & Ullrich, 2009; Seyda, 2018; Spinath, 2005). Aufschnaiter et al. (2015) bezeichnen dies mit dem Begriff „Statusdiagnostik“, in Abgrenzung zur „Prozess-, Veränderungs- und Verlaufsdiagnostik“. Gerade durch Untersuchungen zu den letzteren drei erwarten sie Erkenntnisse über Lernverläufe beim Kompetenzaufbau. Sie fordern explizit dazu auf, Prozesse des Kompetenzaufbaus bei Lehrkräften und damit verbundene Lernverläufe zu erforschen (Aufschnaiter et al., 2015). Hier schließt der vorliegende Beitrag mit der Entwicklung und Evaluation einer Ausbildungskonzeption zur Verbesserung der diagnostischen Kompetenz im Rahmen der Lehramtsausbildung im Sport an.

Ein anderer Ansatz im kompetenztheoretischen Diskurs ist der professionelle Blick (z. B. Reuker, 2018). Dabei handelt es sich um eine Form der differenzierten Analyse und Deutung von Unterrichtsgeschehen und Lernprozessen mit dem Ziel, Unterricht adaptiv gestalten zu können.
Obschon hier durchaus Parallelen zu erkennen sind, war es uns wichtig, eine tiefer gehende Analyse innerhalb einer Unterrichtssituation und anhand einer einzelnen Bewegung zu ermöglichen. Für die sportpraktische Ausbildung haben wir daher den Begriff der diagnostischen Kompetenz spezifiziert. Wir definieren diagnostische Kompetenz im Rahmen des Sportunterrichts für unsere Untersuchung folgendermaßen:

Diagnostische Kompetenz ist die Fähigkeit, einerseits Bewegungen zu analysieren, also funktionelle und unfunktionelle Teile der Bewegungsausführung zu erkennen, zu verbalisieren und zu bewerten und andererseits adäquate, zielführende Rückmeldungen verständlich zu formulieren.

Sie wird in der täglichen Arbeit von Sportlehrkräften und Trainer*innen benötigt. So beispielsweise bei der wichtigen Aufgabe, Lernende in Phasen des Neulernens von Bewegungen, aber auch beim Üben und Trainieren bereits bekannter Bewegungen zu unterstützen. Eine gute diagnostische Kompetenz hilft bei der Auswahl und Umsetzung der Unterrichts- oder Trainingsziele sowie bei adaptiven Unterrichtsentscheidungen (Reuker, 2018; Schrader, 2013). Lernende erwarten eine solche Förderung in ihrem Lernprozess, um eine größere Bewegungssicherheit zu erwerben und eine schnelle Verbesserung der Bewegungsqualität zu erreichen. Gleichzeitig wollen sie dadurch Erfolgserlebnisse schaffen und nicht zuletzt auch Verletzungsrisiken minimieren (z. B. Knudson, 2013).

1.2 Der Diagnoseprozess

In seinem umfassenden Modell zur Qualitativen Diagnose menschlicher Bewegungen (Qualitative Movement Diagnosis, QMD) stellt Knudson (2013) vier wesentliche Aufgaben heraus: Vorbereitung, Beobachtung, Auswertung/Diagnose und Intervention. Für die Vorbereitung fordert er z. B. das Sammeln von Wissen und Kenntnissen über die Bewegung und deren Ziele, um kritisch über die zentralen Bewegungsmerkmale nachdenken und zu erwartende typische Technikfehler reflektieren zu können. Bei der Beobachtung weist er darauf hin, dass systematisch geeignete sensorische Informationen der Ausführung gesammelt werden müssen, wofür Beobachtungstrategien wichtig sind. Zur Auswertung und Diagnose sollten Stärken und Schwächen der gezeigten Bewegung erkannt und bewertet sowie mögliche Wege der Verbesserung aufgezeigt werden. Die Intervention fordert letztlich die Gabe von passendem Feedback und eine Anpassung der Ausführungs- oder Übungsbedingungen zur Verbesserung der Bewegungsqualität. Diese zentralen Aspekte zeigen, welche komplexen Anforderungen an die Personen bei der Durchführung einer QMD gestellt werden. Meinel und Schnabel (2015) sehen die Beobachtungskompetenz als wesentliche Grundlage für die Beurteilung von Bewegungsqualitäten. Nach Hartmann (1999) ist zudem eine gute Bewegungsvorstellung unabdingbar für eine Bewegungsbeurteilung. Es lässt sich somit zusammenfassend folgern, dass es für eine qualitativ hochwertige Bewegungsanalyse notwendig ist, dass die ‚Analysten‘ Erfahrung bei der Bewegungsbeobachtung, Kenntnisse und Wissen über die Bewegung, Bewegungserfahrung sowie eine möglichst perfekte Bewegungsvorstellung besitzen oder erwerben. Um zielgerichtetes Bewegungslernen zu ermöglichen ist es zu Beginn eines Lernprozesses wichtig, korrekte Bewegungsvorstellungen zu bilden (Hossner & Künzell, 2003). Dieser Lernprozess bezieht sich nicht nur auf die Verbesserung der Zielbewegung, sondern soll hier bewusst als ein kognitiver Lernprozess verstanden werden, in dem die Bewegungsvorstellung erarbeitet wird, so dass sie später für diagnostisches Handeln genutzt werden kann. Bei der grundlegenden Erarbeitung wird die Bewegungsvorstellung aus Bewegungswahrnehmungen, die aus der Beobachtung und der Veranschaulichung des Bewegungsablaufs (Außensicht) resultieren, konstruiert. Grenzen sind dieser Bewegungserfassung durch eine hohe Ausführungsgeschwindigkeit der Bewegung und damit einhergehend durch die begrenzte Aufnahmekapazität der Wahrnehmung gesetzt. Dieser Schwierigkeit kann nach Schnabel et al. (2011) durch Erfahrung, systematisches Vorgehen, Vorinformation sowie fachliche Anleitung bzw. durch technische Hilfsmittel, wie z. B. Videoanalysen mit Zeitdehnung (Slow Motion), entgegengetreten werden. Die bloße Kenntnis der Außensicht reicht für das Erlernen sporttechnischer Fertigkeiten nicht aus. Parallel zum Aneignungsprozess der Außensicht muss auch eine Entwicklung der Innensicht erfolgen. Dabei geht man davon aus,

„dass erst die Verbindung der Außensicht einer Technik mit der in der Realisierung dieser Technik im realen Handeln entstehenden Innensicht zu einer internen Repräsentation führt, die weitgehend bewusstseinsfähig, wenn auch nicht voll bewusstseinspflichtig ist [...].“ (Schnabel et al., 2008, S. 125).

Dazu ist es von Vorteil, die Bewegung selbst auszuführen und die eigenen Empfindungen in diese Bewegungsvorstellung zu integrieren. Eine qualitativ hochwertige Ausführung der Bewegung kann somit auch helfen, die Qualität der Bewegungsvorstellung zu perfektionieren. Für die Rate der Fehlererkennung und die Qualität der Wahrnehmung von Kampfrichter*innen wurde dies in verschiedenen Studien bereits nachgewiesen (Heinen, 2015; Jeraj, Hennig & Heinen, 2015; Pizzera, 2012; Ste-Marie, 1999). Dies legt den Schluss nahe, dass im Training sowohl die Bewegungsausführung als auch die Bewegungsvorstellung sowie die Qualität der Bewegungsanalyse sich permanent und in wechselseitiger Abhängigkeit verbessern (Blischke, 1988). Rohleder und Vogt (2018) konnten hier eine Anpassung der Bewegungsvorstellung beim Erlernen des Handstands nachweisen. Nach Blischke (1988, S. 13) ist der „Bewegungsablauf die von Mal zu Mal veränderliche Konkretion der jeweils gleichen, im Lernprozess etablierten Bewegungsvorstellung, als Produkt eines sensomotorischen Lernprozesses“. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass es Sportler*innen leichter fällt, die eigene Bewegung zu analysieren und passende Rückmeldungen zu geben, da sie über eine Videodarstellung die Außensicht, über ihre Propriozeption die Innensicht der Bewegung und zusätzlich ihre detaillierte Bewegungsvorstellung nutzen können.

Für die sich an die Bewegungsanalyse anschließende Bewegungsrückmeldung sind die Bewegungsvorstellung und dieses Wissen selbstverständlich ebenfalls relevant. Gleichwohl werden zusätzlich noch Fähigkeiten zum Umgang mit verschiedenen Formen der Rückmeldung gebraucht. So stellen bereits die Bewegungsausführung und die präsentierten Videos Formen des Feedbacks, bzw. der Rückmeldung dar. Für das Erlernen motorischer Fertigkeiten sind die Informationen, die eine Person als Rückmeldung zu ihrer Bewegungsausführung während oder nach dieser erhält, von besonderer Bedeutung: „Die Rückmeldung von Handlungs- und Lernresultaten wird, […] neben der Übung selbst, als die bedeutendste Einflussgröße motorischen Lernens betrachtet“ (Marschall & Daugs, 2003, S. 281). Diese Einschätzung soll nun auf das Erarbeiten und Verbessern der diagnostischen Kompetenz übertragen werden.

Simultane Präsentation als Kerntool der Untersuchung
Als zentrales Medium zur Bewegungsanalyse und -rückmeldung wurden iPads® Air 2 mit der Applikation (App) Coach´s Eye® eingesetzt. Die App bot unter anderem die Möglichkeit, Videos in Zeitlupengeschwindigkeit abzuspielen sowie Audioaufnahmen hinzuzufügen. Besonders interessant waren für uns die Funktionen, zwei Videos nebeneinander oder untereinander abzubilden (split-screen), zu synchronisieren und miteinander zu vergleichen.
Expert*innen favorisieren eine solche simultane Präsentation im split-screen für das augmented feedback. Den Hauptvorteil sehen sie im direkten Vergleich von Soll- und Istwert einer Bewegung, unterstützt durch Standbildpräsentation und Einzelbildsteuerung (z. B. Daugs, Blischke, Marschall & Müller, 1991; Schmidt & Wrisberg, 2008). So haben Untersuchungen beispielsweise gezeigt, dass die Darstellung im split-screen-Modus Vorteile für die Verbesserung der motorischen Leistung bei der Bewegungsausführung bietet (Boyer, Miltenberger, Batsche & Fogel, 2009; Daugs, Blischke, Olivier & Marshall, 1989). Dies konnten wir in verschiedenen Studien zur Verbesserung der Bewegungsqualität beim Handstützüberschlag vorwärts gestreckt bei Studierenden und zur Verbesserung der Bewegungsvorstellung im Schulkontext aber nicht replizieren (Korban, Drebes & Künzell, 2017; Korban, Rauh, Brams & Künzell, 2017).
Diese widersprüchlichen Ergebnisse fordern eine intensivere Untersuchung und Beschäftigung mit den vielfach postulierten Vorteilen dieser Darstellungsform für die Bewegungsanalyse und –rückmeldung im Training und Unterricht. Daher wollten wir nun überprüfen, ob sich Vorteile für die Verbesserung der diagnostischen Kompetenz der Versuchspersonen mit Hilfe dieses Medieneinsatzes zeigen lassen und haben die folgenden Forschungshypothesen abgeleitet:

  1. Versuchspersonen, die an dieser Unterrichtssequenz mit dem entwickelten Ausbildungskonzept teilnehmen, verbessern ihre diagnostische Kompetenz.
  2. Studierende der Treatmentgruppe, die mit der simultanen Darstellung des Technikleitbilds und der Eigenrealisation der Bewegung arbeiten, können die Qualität ihrer diagnostischen Kompetenz stärker verbessern als Studierende der Vergleichsgruppe, die nur mit der Eigenrealisation ihrer Bewegung arbeiten.

2 METHODE

Die Untersuchung wurde am Beispiel des Handstützüberschlags vorwärts gestreckt, einem komplexen turnerischen Element, durchgeführt (Abb. 2). Der Handstützüberschlag vorwärts gestreckt „ist eine mit Translation verbundene Überschlagbewegung von 360° um die Körperbreitenachse“ (Gerling, 2005). Im Text wird er teilweise abkürzend als Handstützüberschlag oder auch nur als Überschlag bezeichnet. Seine Funktion als beschleunigendes Element ist, den Drehimpuls zu erhöhen, ohne horizontale Geschwindigkeit zu verlieren (Bessi, 2009). Auf diese Weise lassen sich im Anschluss schwierigere Elemente turnen, die mehr Energie benötigen.

Im Breiten- und Schulsport ist der Überschlag an sich bereits als Kunststück zu sehen. Durch seinen komplexen Ablauf sind Lernende beim Überschlag besonders auf ergänzende Informationen von außen angewiesen.

2.1 Versuchspersonen

Die Untersuchung zum Ausbildungskonzept wurde in vier universitären Lehrveranstaltungen zum Turnen durchgeführt. Es nahmen n = 55 Versuchspersonen an der Untersuchung teil – 30 weibliche und 25 männliche Sportstudierende des Lehramts für Gymnasium oder Realschule im fünften Fachsemester und höher. Sie wurden in vier Gruppen nach Geschlecht getrennt unterrichtet. Es sollte jeweils eine Gruppe der männlichen Studierenden und eine Gruppe der weiblichen Studierenden für das Treatment und eine für den Vergleich zur Verfügung stehen. Leider hat eine Gruppe dies missverstanden und ebenfalls die Aufgaben der Treatmentgruppe durchgeführt, so dass letztlich 40 Studierende der Treatment- und nur 15 Studierende der Vergleichsgruppe angehörten. Die Studierenden haben sich bereits in der vorausgehenden Grundlagenveranstaltung zum Turnen mit der Zielbewegung ‚Handstützüberschlag vorwärts gestreckt‘ beschäftigt und mussten sie in mindestens ausreichender technischer Qualität mit Hilfestellung in der Kursabschlussprüfung demonstrieren. Die Versuchspersonen nahmen freiwillig an der Datenerhebung teil. Die ethischen Prinzipien der medizinischen Forschung (Deklaration von Helsinki) wurden sinngemäß berücksichtigt, der Datenschutz bleibt gewahrt.

2.2 Durchführung

Für die Durchführung des Ausbildungskonzepts stand ein Zeitraum von 4 Wochen zur Verfügung. In der Vorbereitung wurden die Versuchspersonen anhand des Technikleitbilds ausgebildet. So wurden beispielsweise die biomechanischen Aspekte der Bewegungsausführung erklärt, technische und athletische Voraussetzungen, Technikknotenpunkte und entscheidende Bewegungsmerkmale besprochen. Zudem wurden beispielhaft die Zusammenhänge zwischen den erkannten funktionellen und unfunktionellen Teilen der Bewegung und deren Ursachen erläutert und begründet. Vor dem Start der Unterrichtssequenz wurde das Technikleitbild des Handstützüberschlags vorwärts in der Halle an exakt der Stelle aufgezeichnet, an der die Studierenden ebenfalls ihre Bewegungen im Unterricht ausführten und aufzeichneten. Eine Turnerin, die den Handstützüberschlag technisch perfekt ausführt, wurde zu diesem Zweck hier gefilmt. Das Video wurde dann auf den 6 iPads® für die Untersuchung zur Verfügung gestellt. Somit waren die Übungsbedingungen hinsichtlich Geräteaufbau, Perspektive und Hintergrund identisch. Zudem wurde eine optimale Basis für die Synchronisierung der Videosequenzen und deren Vergleichbarkeit geschaffen.

Für die Ausführung des Handstützüberschlags vorwärts gestreckt wählten wir einen Aufbau aus einer 12 m x 2 m Bodenturnmatte mit einer aufgelegten 3 m x 2 m Niedersprungmatte und zwei blauen Turnmatten dahinter, die ein Verrutschen verhinderten und gleichzeitig als Abstandshalter zur Wand dienten. An der Stützstelle der Hände vor der Niedersprungmatte wurde zur Orientierung eine Markierung auf der Bodenturnmatte angebracht. Ein Stativ, auf dem die iPads® eingespannt wurden, wurde auf Höhe der Stützstelle, senkrecht zur Turnrichtung positioniert. Die Unterkante der Stativauflage befand sich somit auf 1,35 Metern Höhe. Der korrekte Aufbau aller Elemente an der exakt gleichen Stelle der Turnhalle wurde in jeder Einheit kontrolliert. Die Teilnehmenden konnten gemäß ihrem persönlichen Sicherheitsbedürfnis und Können wählen, ob sie den Handstützüberschlag selbstständig oder mit einer Hilfestellung von einer oder zwei Personen ausführen wollen.

In dem vierwöchigen Ausbildungs- und Untersuchungszeitraum wurden die Daten an vier Messzeitpunkten (T1 –T4) erhoben. Der Ablauf an dem jeweiligen Messzeitpunkt wurde, wie nun folgend geschildert, identisch durchgeführt. Nach dem Aufbau wurde standardisiert eine gemeinsame allgemeine und turnspezifische spezielle Erwärmung durchlaufen. Dann begannen die Studierenden mit der Aufzeichnung der Übungsversuche mit den iPads®. Jede/r Studierende bekam unmittelbar nach ihrem/seinem Versuch das iPad® in die Hand und begann nach dem folgenden festgelegten Schema mit der Diagnostik. Die Versuchspersonen der Treatmentgruppe mussten zunächst die Videos synchronisieren, diejenigen der Vergleichsgruppe die Darstellung mit dem Blackout in dem Teilbildschirm vorbereiten. Dazu wurde die Splitscreen – Option der App verwendet. In einem Teil des Bildschirms wurde nun die gerade aufgezeichnete Eigenrealisation der Bewegung präsentiert. In dem anderen Teil des Bildschirms wurde je nach Gruppenzugehörigkeit ein Blackout (Vergleichsgruppe) oder das synchronisierte Technikleitbild wiedergegeben. Die nun folgende weitere Vorgehensweise unterschied sich in den beiden Gruppen nicht. Die Versuchspersonen sahen sich das Video zweimal in Echtzeit und zweimal in Zeitlupe an. Dann sprachen sie Ihren Kommentar gleichzeitig zur Wiedergabe des Videos in Zeitlupe auf. Sie drückten also zu Beginn der Wiedergabe der synchronisierten Videos den Record-Button der App und zeichneten ihre Erkenntnisse bei der Bewegungsanalyse und ihre Schlussfolgerungen für die Bewegungsrückmeldung als verbale Kommentare auf. Sie kommentierten somit den von ihnen gezeigten Istwert der Bewegung, nannten Stärken und Schwächen der Bewegung, erläuterten den Hauptfehler und gaben sich selbst eine konkrete Anweisung zur Korrektur dieses Fehlers. Anschließend übten sie die Zielbewegung, führten also zweimal den Handstützüberschlag aus und bemühten sich dabei, die eigene Anweisung praktisch umzusetzen. So konnten sie auch für sich selbst reflektieren, ob die Anweisung hilfreich und zielführend war.

Ein weiterer Versuch wurde im Anschluss aufgezeichnet und das Video individuell mit einer Dozentin analysiert und besprochen. Es folgten zwei weitere Durchgänge mit ausschließlich verbaler Rückmeldung. Nach jedem Handstützüberschlag zu dem eine Form der Rückmeldung gegeben wurde, wurden zwei Übungsversuche unkommentiert zur Umsetzung der Anweisungen ausgeführt. Insgesamt kamen die Versuchspersonen somit auf eine Anzahl von 12 Bewegungsausführungen, von denen zwei mit Videofeedback und verbaler Rückmeldung und zwei nur mit verbaler Rückmeldung versehen waren.

Je nach Gruppenzugehörigkeit waren die Studierenden bei der Durchführung der Diagnostik also entweder gefordert, bei der Bewegungsanalyse die Abweichungen von dem parallel gezeigten Technikleitbild oder von dem verinnerlichten Leitbild gemäß ihrer Bewegungsvorstellung zu beobachten und als Technikfehler bzw. unfunktionelle Bewegungsausführung wahrzunehmen. Dann sollten sie deren Bedeutung für den Bewegungsablauf bewerten oder einschätzen und damit mögliche Lernhindernisse identifizieren. Bei der Bewegungsrückmeldung sollten sie möglichst anschaulich und verständlich eine sinnvolle Rückmeldung verfassen. In beiden Fällen sollte auf eine verständliche Formulierung und den Gebrauch der Fachsprache geachtet werden.

2.3 Aufbereitung der Daten und Auswertung

Die kommentierten Videos wurden für die Bewertung so zusammengeschnitten, dass die 4 Messzeitpunkte für jede Proband*in in der korrekten Reihenfolge abliefen. Damit konnten Rückbezüge der Proband*innen auf vorangegangene Versuche bei der Auswertung berücksichtigt werden. Zur Vereinfachung wurden die Kommentare transkribiert und lagen den Ratern zusätzlich als Textdatei vor. Eine Expertin und ein Experte, die sowohl eine langjährige Erfahrung als Trainer/in als auch eine Kampfrichterlizenz besitzen, übernahmen die Auswertung der Datensätze getrennt voneinander.

Bei der Bewertung vergaben sie jeweils 0-10 Punkte für die Qualität der Bewegungsanalyse. Die Punkteskala sollte vollumfänglich ausgeschöpft werden. Der beste Kommentar bekam somit die Höchstpunktzahl 10 und der schwächste Kommentar 0 Punkte. Die folgenden Bewertungskriterien sollten dabei analysiert werden. Wird der Hauptfehler in der Bewegung erkannt und korrekt beschrieben? Dieses Kriterium wurde als das Wesentliche, bzw. das Entscheidende erachtet. Dementsprechend groß war der Einfluss auf die Bewertung. Gleichzeitig wurden der Gebrauch der Fachsprache, die Spezifik und die Verständlichkeit des Kommentars begutachtet. Weitere 0-10 Punkte wurden für die Qualität der Bewegungsrückmeldung vergeben. Das wesentliche Kriterium war, ob eine adäquate Korrektur für den Hauptfehler gegeben wurde. Zudem wurden die Verständlichkeit und Umsetzbarkeit sowie auch in diesem Fall der Gebrauch der Fachsprache berücksichtigt. Um die Übereinstimmung der Punktwerte beider Rater für alle Messzeitpunkte zu überprüfen, wurden sie paarweise miteinander korreliert.

Zunächst wurden die Mittelwerte aus den Punktwerten der beiden Experten für jedes Testitem gebildet. Die Datensätze von Proband*innen mit nur zwei regulär durchgeführten Messzeitpunkten (8 in der Treatmentgruppe, 3 in der Vergleichsgruppe) wurden entfernt. Bei den 14 Datensätzen von Proband*innen mit nur den ersten drei Zeitpunkten (11 in der Treatmentgruppe, 3 in der Vergleichsgruppe) wurden die Werte für den 4. Messzeitpunkt ergänzt. Der MCAR-Test nach Little χ2 = 8.391, DF = 10, p = .591 zeigt, dass die fehlenden Daten ausschließlich aus Zufall entstanden sind (Little, 1988). Daher ist die Mittelwert-Imputation eine gängige und zulässige Methode (Jekauc, Völkle, Lämmle & Woll, 2012). In dem Messwiederholungsdesign wurde daher der fehlende Wert des vierten Messzeitpunkts ersetzt durch die Summe aus dem Wert zum dritten Messzeitpunkt der jeweiligen Person und dem Mittelwert der Differenz zwischen drittem und viertem Messzeitpunkt der jeweiligen Gruppe. Die verbliebenen 44 vollständigen Datensätze, wurden nun ausgewertet. Es wurde eine zweifaktorielle ANOVA mit dem 4-fach gestuften Messwiederholungsfaktor Testzeitpunkt und dem 2-fach gestuften Faktor Gruppe separat für den Aspekt „Bewegungsanalyse“ und für den Aspekt „Bewegungsrückmeldung“ durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde auf p < .05 festgelegt. Die Greenhouse-Geisser Korrektur wurde verwendet, da die Annahme der Sphärizität nicht bestätigt werden konnte.

3 ERGEBNISSE

Die Korrelation nach Pearson zwischen den beiden Ratern ergab für die Messzeitpunkte 1 – 4 für den Aspekt ‚Bewegungsanalyse‘ Werte zwischen r = .774 und r = .823, jeweils p < .001. Für den Aspekt der ‚Bewegungsrückmeldung‘ erhielten wir Werte zwischen r = .699 und r = .811, jeweils p < .001. Nicht alle Daten in den Zellen waren normalverteilt, jedoch ist Varianzanalyse robust gegenüber einer Verletzung dieser Voraussetzung (Harwell, Rubinstein, Hayes & Olds, 1992). Homogenität der Fehlervarianzen zwischen den Gruppen war gemäß dem Levene-Test für alle Variablen auf allen Faktorstufen erfüllt (p > .05).

Für den Aspekt der Bewegungsanalyse war der Faktor Testzeitpunkt nicht signifikant, F < 1. Dagegen konnten wir eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren Messzeitpunkt und Gruppe nachweisen, F(2.65, 111.077) = 3.65, p = .015, η2part = .080. Der Effekt ist somit also klein. Post-hoc analysiert kann eine signifikante Interaktion zwischen den Messzeitpunkten 1 und 3 und der Gruppe festgestellt werden, p = .033 nach Bonferroni-Korrektur. Für die Treatmentgruppe allein wird die Verbesserung der Bewegungsanalyse signifikant, F(2.51, 78.05) = 3.37, p = 0.029, η2part = 0.098.

Für den Aspekt der ‚Bewegungsrückmeldung‘ war der Faktor Testzeitpunkt signifikant F(2.578, 108.25) = 4.261, p = .010,  η2part = .092. Die Effektstärke war also auch hier klein. Für die Interaktion zwischen Testzeitpunkt und Gruppenzugehörigkeit zeigte sich dagegen keine Signifikanz, F < 1. Post-hoc ergibt sich eine signifikante Verbesserung zwischen Testzeitpunkt 1 und 4, p = .026 nach Bonferroni-Korrektur. In beiden Fällen war kein Haupteffekt auf Grund der Gruppenzugehörigkeit nachweisbar.

4 DISKUSSION

In der vorliegenden Studie sollte gezeigt werden, dass das Ausbildungskonzept den Kursteilnehmer*innen ermöglicht, ihre diagnostische Kompetenz durch den Einsatz der iPads® und der App Coach’s Eye® zu verbessern. Zusätzlich sollte untersucht werden, ob die simultane Präsentation von Technikleitbild und Eigenrealisation (Treatmentgruppe) diesbezüglich Vorteile bietet gegenüber der ausschließlichen Präsentation der Eigenrealisation (Vergleichsgruppe) einer turnerischen Bewegung. Die Ausbildung und Verbesserung der diagnostischen Kompetenz wurde anhand der beiden Parameter Bewegungsanalyse und Bewegungsrückmeldung untersucht.

4.1 Bewegungsanalyse
Für die Bewegungsanalyse wurde von den Versuchspersonen erwartet, dass sie die Stärken und Schwächen der Bewegung beobachten, einschätzen und verbalisieren. Die Ergebnisse unserer hier vorgestellten Studie zeigen einen signifikanten Vorteil für die Versuchspersonen der Treatmentgruppe, also derjenigen, die mit der simultanen Präsentation des Technikleitbilds und der Eigenrealisation ihrer Bewegung gearbeitet haben, gegenüber der Vergleichsgruppe, die ausschließlich ihre eigene Bewegung beobachten konnte. Dieses Ergebnis wird einerseits durch eine signifikante Verbesserung der Bewegungsanalyse innerhalb der Treatmentgruppe erzielt, andererseits beobachten wir auch eine (nicht signifikante) Verschlechterung der Vergleichsgruppe. Die Verschlechterung der Vergleichsgruppe führen wir darauf zurück, dass im Verlauf der Unterrichtssequenz das ideale Bewegungsbild verblasste und von der Mehrheit der Versuchspersonen dieser Gruppe zunehmend ungenauer, eben nur aus der Erinnerung, abgerufen wurde. Das bestätigt die Aussage, dass es für den Lernprozess wichtig ist eine korrekte Bewegungsvorstellung zu bilden (Hossner & Künzell, 2003). Wir vermuten, dass diese Bewegungsvorstellung der Versuchspersonen jedoch nicht stabil und überdauernd ausgebildet war. Dies unterstützt die Ausführungen, dass es sich gleichwohl um einen kognitiven Lernprozess handelt, der zumeist parallel zur Aneignung einer Bewegung abläuft (Blischke, 1988). Er sollte bewusst angestrengt werden, um eine qualitativ hochwertige Bewegungsanalyse zu erreichen.

In der Treatmentgruppe hingegen stand das ideale Bewegungsbild in Form des simultan präsentierten Technikleitbild- Videos während der Bewegungsanalyse zur Verfügung. Damit bestand hier die Möglichkeit, die Bewegungsvorstellung immer wieder zu aktualisieren und im Detail differenziert anzupassen. Die signifikante Verbesserung der Bewegungsanalyse zeigt dementsprechend, dass die synchronisierte Gegenüberstellung und der direkte Vergleich mit einem Technikleitbild das Erkennen von Stärken und Schwächen einer Bewegungsausführung vereinfachen. Folgt man Meinel und Schnabel (2015), wird hier insbesondere die Beobachtungskompetenz gefordert, geschult und verbessert (vgl. auch Daugs, Blischke, Marschall, Müller & Olivier, 1996; Schmidt & Wrisberg, 2008). Bezüglich des Bewegungslernens wurde die Wirkung schon vielfach untersucht (z. B. Boyer et al., 2009; Daugs et al., 1989). So konnten Boyer et al. (2009) bei Kunstturnerinnen auf nationalem Niveau eine Verbesserung der Bewegungsausführung feststellen. Da die ausgewählten Bewegungen komplex, das Leistungsniveau hoch und damit die Abweichungen vom Technikleitbild vergleichsweise gering waren, profitierten die Turnerinnen von der detaillierten Darstellung, um so über zentrale Bewegungsmerkmale und Technikfehler reflektieren zu können (Knudson, 2013). Es gibt jedoch auch gegenteilige Studien, die keine Vorteile der Darstellungsform für das Bewegungslernen von Novizen (Korban, Drebes et al., 2017) und für die Entwicklung der Bewegungsvorstellung bei Schüler*innen (Korban, Rauh et al., 2017) zeigen konnten. Auch Rohleder und Vogt (2018) konnten in ihrer Untersuchung zur Verbesserung der Bewegungsvorstellung von Novizen beim Handstand nach der Gabe von visual-comparative feedback nur für das Schultergelenk eine Verbesserung nachweisen. Eine Gemeinsamkeit der eben genannten Studien liegt darin, dass es bei der Präsentation der Bewegungsausführung und damit auch bei der Bewegungsanalyse kein ergänzendes verbales Feedback gab. Das deutet darauf hin, dass es, zumindest bei Novizen und auf geringerem Expertiseniveau, nicht allein durch die Darstellungsform zu einer Verbesserung der Bewegungsausführung bzw. der Bewegungsvorstellung kommt. Vermutlich muss erst durch ergänzende verbale Rückmeldungen die Aufmerksamkeit der Versuchspersonen auf bestimmte Aspekte gelenkt und können damit auch nicht so offensichtliche Abweichungen besser erkannt werden (Nowoisky, Beyer, Zepperitz & Büsch, 2012). Auch Knudson (2013) weist auf die Bedeutung von Wissen und Kenntnissen über die Bewegung und deren Zielen für die QMD hin. So ist wahrscheinlich auch zu erklären, dass die Turnerinnen auf nationalem Niveau von der Gegenüberstellung der Bewegungen und dem direkten Vergleich profitieren konnten. In unserer aktuellen Studie wurden die Versuchspersonen beider Gruppen mehrfach durch ergänzende verbale Rückmeldungen in ihrem Lernprozess bei der Bewegungsanalyse unterstützt. Die signifikante Verbesserung stellte sich aber nur bei der Treatmentgruppe ein. Damit konnten wir zeigen, dass die simultane Präsentation einen Effekt auf die Verbesserung der diagnostischen Kompetenz für den Bereich Bewegungsanalyse hat.

Eine Vermutung ist auch, dass sich der Qualitätsverlust bei der Bewegungsanalyse der Vergleichsgruppe mit einer Verbesserung der Bewegungsausführung und damit einhergehenden komplexeren Anforderungen bei der Analyse erklären lässt. Dieser zusätzlichen Herausforderung musste sich selbstverständlich auch die Treatmentgruppe stellen. Dementsprechend ist ihre signifikante Verbesserung der Bewegungsanalyse umso höher einzuschätzen.

4.2 Bewegungsrückmeldung

Bei der Bewegungsrückmeldung sollten die Versuchspersonen beider Gruppen möglichst anschaulich und verständlich eine sinnvolle Rückmeldung verfassen und Hinweise zur Bewegungsoptimierung bezogen auf den erkannten Hauptfehler, bzw. ein erkanntes Lernhindernis in der Bewegung geben. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Versuchspersonen beider Gruppen ihre diagnostische Kompetenz bezogen auf den Aspekt der Bewegungsrückmeldung signifikant verbessern konnten. In der Unterrichtssequenz haben sie demnach gelernt, auf erkannte Bewegungsfehler mit entsprechenden Korrekturanweisungen adäquat zu reagieren. Dieses Ergebnis lässt sich so interpretieren, dass die Ausbildung anhand des vorgelegten Ausbildungskonzepts eine positive Entwicklung der Fähigkeit zur Bewegungsrückmeldung, bzw. zum verbalen Feedback unterstützt. Wir sehen den Erkenntnisgewinn insbesondere in der Möglichkeit an der eigenen Bewegung zu arbeiten und diese zu optimieren. Damit konnten die Versuchspersonen ihre eigenen Korrekturanweisungen direkt in den Lernprozess miteinfließen lassen und somit für sich selbst reflektieren, ob diese zielführend waren. Damit erklärt sich, neben dem Effekt der Unterstützung durch die ausbildenden Dozent*innen, auch die positive Entwicklung der Rückmeldekompetenz in beiden Gruppen. Die von Marschall und Daugs (2003, S. 281) als „ die bedeutendste Einflussgröße motorischen Lernens“ bezeichnete „Rückmeldung von Handlungs- und Lernresultaten“ wurde von den Versuchspersonen somit gleich in zweierlei Hinsicht erfahren. Einerseits sahen sie die Rückmeldung in der Videoanalyse und formulierten ein verbales Feedback zur Bewegungsoptimierung. Andererseits waren sie selbst Empfänger dieser Anweisung, die sie folglich im nächsten Versuch umsetzen konnten und mussten. Damit wurde innerhalb des Lernprozesses die Rückmeldung geübt und anhand der eigenen Bewegungsausführung überprüft, ob sie zielführend war.

Ein weiterer Erklärungsansatz ist darin zu sehen, dass die Rater angehalten waren, auch bei schwachen oder ungenauen Bewegungsanalysen in der Vergleichsgruppe zu beurteilen, ob die Rückmeldung dazu passend gegeben wurde. Damit kann möglicherweise ein leichter Vorteil bei der Rückmeldung entstanden sein. Andererseits lässt es sich auch darauf zurückführen, dass die Versuchspersonen bezüglich der Bewegungsrückmeldung die identische Ausbildung durchliefen.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die diagnostische Kompetenz der Versuchspersonen mit Hilfe des Ausbildungskonzepts in der Unterrichtssequenz verbessert werden konnte. Dabei zeigte sich, dass es gerade für die Durchführung der Bewegungsanalyse von Vorteil ist, wenn eine simultane Präsentation von Technikleitbild und Eigenrealisation der Bewegung zur Verfügung steht. Der so ermöglichte direkte Vergleich der beiden Bewegungen unterstützt das Erkennen von Bewegungsfehlern. Dies schlägt sich auch in der Entwicklung der diagnostischen Kompetenz der Versuchspersonen nieder. Auch für die Verbesserung der Bewegungsvorstellung oder die Aktualisierung einer im Lernprozess noch nicht stabilen Bewegungsvorstellung ist die simultane Präsentation vorteilhaft. Daher empfehlen wir den Einsatz dieser Präsentationsform für die Ausbildung der diagnostischen Kompetenz für angehende Sportlehrkräfte.

Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass wir die diagnostische Kompetenz in der realen Unterrichtssituation nicht untersucht haben. Inwieweit die durch das Treatment erworbene diagnostische Kompetenz sich auf die Darstellung der Bewegung in Zeitlupe beschränkt oder sich auf die reale Unterrichtssituation transferieren lässt, können wir mit unserer Untersuchung nicht einschätzen. Zusätzlich ist anzumerken, dass auf Grund der geringen Anzahl der Versuchspersonen in der Vergleichsgruppe die Teststärke recht gering ist, so dass es sein kann, dass Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bestehen, die wir in unserer Untersuchung nicht nachweisen konnten.

Das vorgelegte Ausbildungskonzept wird durch den Einsatz der iPads® und der App Coach’s Eye® organisatorisch und technisch wesentlich erleichtert. Die Qualität der diagnostischen Kompetenz kann durch eine weitere Verbesserung der Verbalisierungsfähigkeit gesteigert werden. Diese wurde in der vorgelegten Studie nur bezüglich der Anwendung des Fachwissens, des Gebrauchs der Fachsprache und verständlicher Formulierungen der Rückmeldungen ausgebildet. In der theoriegeleiteten Ausbildung oder in Seminaren könnten beispielsweise die motivationale Komponente und die inhaltlich-formale Komponente der Rückmeldung noch wesentlich differenzierter ausgebildet und vertiefend geübt werden. Da sie für den angestrebten Lehrberuf von hoher Relevanz ist, sollte die Ausbildung in diesem Bereich weiterentwickelt und evaluiert werden. Die Möglichkeiten in diesem Design daran zu arbeiten, scheinen vielversprechend zu sein.

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DOI

DOI: 10.25847/zsls.2018.012

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