Nr. 1/2024

Sexismus im Sport

2017 trendete #metoo und wurde ein Werkzeug, um gegen Missbrauch, sexuelle Gewalt und Diskriminierung vor allem gegen Frauen aufmerksam zu machen. Eine weltweite Debatte entfachte und offenbarte ein strukturelles Gesellschaftsproblem: Betroffene berichteten von Übergriffen am Arbeitsplatz, Machtmissbrauch in der Filmbranche und sexuelle Gewalt durch Führungskräfte oder Kollegen. Eine, die den Diskurs mitprägt und immer wieder den Finger in die Wunde legt, ist Sportsoziologin Gitta Axmann. Schon in ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit der Prävention sexueller Gewalterfahrungen und ist seitdem zu einer der führenden Expertinnen auf dem Gebiet geworden.

Gitta Axmann arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie und Genderforschung in der Abteilung Diversitätsforschung. Sie ist selbstständige Fachberaterin für nationale und internationale Breitensportentwicklung, unter anderem mit den Schwerpunkten Chancengleichheit/Diversity, Sporträume und Prävention sexualisierter Gewalt. Seit Beginn ihrer Karriere setzt sie sich mit den verschiedenen Formen von sexualisierter Gewalt, sowohl theoretisch als auch praktisch, auseinander. Sie befasste sich also schon lange vor #metoo mit einem Problem, das in vielen Gesellschaftsbereichen verbreitet ist – auch im Sport.

Große öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das Thema sexualisierte Gewalt im Sport vor allem mit der wissenschaftlichen Studie „Safe Sport“ aus dem Jahre 2016, in der erstmals Zahlen aus dem Leistungssport erhoben wurden: 37% der Befragten gaben an, eine Form von sexualisierter Gewalt erlebt zu haben (bei den Frauen 48%, bei Männern 24 %). Den Fokus auf den Breitensport legte die Studie „SicherimSport“ aus dem Jahr 2021. Diese zeigt, dass 70% der befragten Breitensportler*innen in ihrem Verein Gewalt, Grenzverletzungen oder Belästigung erlebt haben. Frauen und Mädchen sind mehr als dreimal so häufig von sexualisierter Gewalt mit Körperkontakt betroffen als Männer. Für mehr als 50% der Betroffenen hatten die Taten persönliche Folgen. Besonders Vereinssportler*innen mit einem hohen Leistungsniveau sind von Gewalt betroffen.

Aus der Wissenschaft in die Praxis und zurück

Neben der Wissenschaft widmet Gitta Axmann auch ihre praktische Tätigkeit dem Schutz von Frauen und Minderheiten. Sie arbeitete für den Hochschulsport in Hannover, die Jugend der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und beim damaligen Nationalen Olympischen Komitee (NOK), mit dem Ziel, Frauen und Mädchen Zugang zu und Teilhabe am Sport zu ermöglichen, aber auch Frauen in Spitzenpositionen zu fördern. „Durch diese Tätigkeiten habe ich viele Einblicke in die Welt des organisierten Sports bekommen und gelernt, wie dessen Institutionen funktionieren und wie die Strukturen sind. Diese Erfahrungen helfen mir vor allem bei der Verzahnung von Wissenschaft und Praxis, weil ich beide Welten kenne.“ Damit meint sie den Wissenstransfer, das heiß, wissenschaftliche Erkenntnisse und Untersuchungen in die gesellschaftliche Mitte zu tragen oder - in ihrem Fall - in die Sportwelt. Warum das so wichtig ist? Axmann erklärt: „Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nur dann wirkungsvoll, wenn sie in der Praxis Anschluss finden. Hierzu möchte ich einen Beitrag leisten.“

Dass das Interesse und Bewusstsein für sexualisierte Gewalt immer stärker werden, stellt Axmann durch vermehrte Anfragen und eine größere Eigeninitiative der Vereine, Organisationen und Institutionen fest. Diese wenden sich an die wissenschaftliche Mitarbeiterin, um sich für das Thema zu sensibilisieren, Schutzkonzepte zu etablieren, Veränderungsbedarfe zu erkennen und Handlungssicherheiten zu erlangen. „Wichtig ist, dass es sich bei diesem Thema um einen stetigen Prozess handelt, der immer wieder angepasst, fortgeführt und evaluiert werden muss“, betont sie. So herrsche mittlerweile Konsens darüber, dass es nicht ausreiche, wenn nur Einzelpersonen als Ansprechpartner*innen für Betroffene zur Verfügung stünden. Ein breiterer Ansatz müsse verfolgt werden. Studien belegen, dass alle Sportler*innen eines Vereins dafür sensibilisiert werden müssen, was sexualisierte Gewalt überhaupt ist und welche Art von Übergriffen dazu zählen, um im Einzelfall angemessen reagieren zu können.

Sexismus, Victim-Blaming und sexualisierte Gewalt

Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung sind also gefragt. „Unter Sexismus verstehen wir, wenn eine Person oder Gruppe aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, abgewertet, verletzt oder unterdrückt wird“, erläutert Axmann. Vom Victim-Blaming ist die Rede, wenn die Verantwortung für einen Übergriff bei der betroffenen Person gesucht wird. Und sexualisierte Gewalt bezeichnet die Ausübung von Macht mit Hilfe von sexuellen Handlungen. Gitta Axmann skizziert, dass es hier drei Ebenen gibt: „Sexuelle Grenzverletzungen sind beispielsweise unerwünschte Umarmungen und Berührungen. Mit sexualisierter Gewalt ohne Körperkontakt sind zum Beispiel anzügliche Sprüche oder auch Bilder mit sexuellem Inhalt gemeint. Und sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt umfasst sexuelle Berührungen bis hin zur Vergewaltigung.“

Zur Aufklärungsarbeit haben die Studien des Instituts für Soziologie und Genderforschung rund um die Professorinnen Ilse Hartmann-Tews und Bettina Rulofs beigetragen und bewirkt, dass auch die Politik tätig wird: Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) hat das Thema nicht nur auf die politische Agenda und in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern fördert es auch finanziell. Unter anderem wurde die unabhängige Ansprechstelle ‚Safe Sport‘ gegründet, an die sich Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt aus dem Leistungssport und der Breite des Sports wenden können.

Forderung nach einem Mentalitätswandel

Um einen umfassenden Wandel zu vollziehen, bedürfe es allerdings nicht nur Veränderungen auf der politischen und individuellen Ebene. Auch die Kultur innerhalb der Vereine müsse sich verändern, sagt Gitta Axmann. Noch immer könne das Anzeigen von Übergriffen Konsequenzen für die persönliche Karriere bedeuten oder soziale Nachteile innerhalb der Vereinsstruktur begünstigen, z.B. weil nach einem Übergriff ein Trainerwechsel stattfindet und andere Vereinsmitglieder das nicht akzeptieren wollen. „In manchen Vereinen gibt es immer noch Leute, die sagen, dass es den Sport kaputt mache, wenn wir diese Dinge ansprechen und auf sie aufmerksam machen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch Forschung, Schulungen und Sensibilisierung wird der Sport sicherer. Denn: Dinge, die nicht gut laufen, können verbessert werden“, sagt Axmann. Außerdem wisse sie aus Studien, „dass der Nährboden für Übergriffe zum Beispiel Umgebungen sind, in denen Blicke, Sprüche und Bemerkungen überhaupt möglich sind“.

Daher sind unabhängige Ansprechpartner*innen und Hilfestellen für Betroffene wichtig. Die unabhängige Anlaufstelle „Anlauf gegen Gewalt“, die vom Verein Athleten Deutschland eingerichtet wurde, können Betroffene (auch anonym) und Hinweisgebende aus dem Spitzensport kontaktieren. Das Angebot ist unabhängig und vertraulich, wird aber von extern wissenschaftlich begleitet. Gitta Axmann gehört zu dem kleinen Ansprechteam, das im Sinne der Betroffenen agiert. Die Notwendigkeit eines solchen Angebots werde in Zahlen deutlich, denn „seit der Eröffnung vor fast zwei Jahren haben sich rund 220 Personen gemeldet“.

Handlungssicherheit, Wissen, Schlüsselkompetenzen

Um Veränderungen nachhaltig zu verankern und das Thema zukunftsfähig zu machen, sei die Lehre essenziell. So ermögliche die Arbeit mit Studierenden neue Blickwinkel, sagt Gitta Axmann. „Wo brauchen sie Handlungssicherheit? Welches Wissen über sexualisierte Gewalt ist nötig? Wo bedarf es Medienkompetenz oder anderer Schlüsselkompetenzen, die ich in der Lehre vermitteln kann?“. In ihren Lehrveranstaltungen erarbeiten die Studierenden Schutzkonzepte und Verhaltensregeln, bekommen aber auch Handlungsgrundlagen bei möglichem Fehlverhalten an die Hand. „In der Arbeit mit den Studierenden versuche ich auch, sie bei ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen, zum Beispiel, das Selbstbewusstsein zu stärken, um auftreten zu können, eigene Privilegien zu erkennen, Hemmschwellen abzubauen. Das sind Kompetenzen, die nicht nur beim Umgang mit sexualisierter Gewalt wichtig sind, sondern auch beim Thema Diversität“, sagt Axmann.

In dem Zusammenhang verzahnt sie Selbstständigkeit und Lehre miteinander und nutzt die Möglichkeit, ihre Studierenden an neue Orte in der Stadt zu führen. So hat sie sie in das Bürgerzentrum Ehrenfeld eingeladen, in dem unter anderem die Arbeit mit älteren Menschen im Vordergrund steht. Auch, um zu zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, Menschen in Bewegung zu bringen und dass man sich ebenso in Institutionen jenseits der großen Verbände und Vereine engagieren kann. Und die aktuellen Studierendengenerationen scheinen Gefallen an ihren Themen zu finden: Gitta Axmann bekommt mehr und mehr Anfragen zur Betreuung von Bachelor- und Masterarbeiten, was zeigt: Auch wenn schon ganz viel passiert ist, um dem Thema sexualisierte Gewalt Gehör zu verschaffen, bleibt auch in Zukunft noch viel zu tun. Und Gitta Axmann wird das natürlich begleiten.

Text: Theresa Templin

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