Was ist denn bitte fair?
Regeln sind für Kinder meist sowieso schon langweilig – und dann sollen sie auch noch darüber philosophieren! Aber was ist Philosophie eigentlich und wie sieht sowas im Sportunterricht aus? Professor Doktor Michael Segets vom Institut für Pädagogik und Philosophie der Deutschen Sporthochschule Köln gibt als Leiter einen ersten Einblick in die neue Weiterbildung und warum Kinder automatisch zu philosophieren beginnen.
UW: Bevor wir konkret ins Thema einsteigen - Was bedeutet Sport und Philosophie denn für Sie? Und warum ist es wichtig, dass Kinder im Kontext von Bewegung philosophieren?
Michael Segets: In meiner Jugend war ich sportbegeistert, habe Tischtennis gespielt und dann auch Sport studiert. Philosophie kam dann noch parallel im Studium dazu. Diese Verbindung, zwischen dem, was ich tue und dem, über was ich nachdenke, hat mich immer interessiert. Auf den ersten Blick sieht es vielleicht so aus, dass Sport und Philosophie wenig miteinander zu tun haben. Sport ist Machen, Philosophie ist Denken. In der Philosophiedidaktik geht man aber davon aus, dass Philosophie nicht unbedingt schwer sein muss, sondern bereits Kinder philosophische Fragen im Sport haben, die zum Nachdenken anregen und die man dann eben auch klären kann.
Welche philosophischen Fragen hören Sie bei den Kindern schon?
Die philosophischen Fragen beginnen eigentlich in einer Situation, die als Problem erfasst wird. Und im Schulsport treten natürlich ganz häufig Fragen auf im Kontext von Fairness. Aber prinzipiell fragen Schüler*innen ja nicht, was ist fair, sondern sagen, diese Situation ist unfair. Und wenn man dann eben weiterfragt, dann kommt man ins Philosophieren.
Kurze Zwischenfrage: Was ist denn für Sie Fairness?
Für die meisten bedeutet Fairness, dass man Regeln einhalten und lieb zu den anderen sein muss. Meine Fairness-Vorstellung ist - aus meiner Position innerhalb der Sportethik -, dass Fairness erstmal nur das funktionale Prinzip des Sports ist, weil Sport ohne Regeln nicht geht. Das muss auch nicht darüber hinaus generalisiert werden. Ich muss nicht lieb sein zu meinen Gegnern oder Mitspielern. Man muss gewinnen wollen und die Grenzen dafür setzen die Regeln. Wenn ich aber diese Regeln nicht einhalte, dann kann ich auch nicht richtig spielen. Und der philosophische Aspekt ist dabei, sich der Regeln bewusst zu sein, sich seiner selbst bewusst zu sein und das irgendwie miteinander auf Augenhöhe zu bringen.
Warum macht es Sinn, theoretische Einheiten zu planen, obwohl Kinder heute sowieso schon wenig Bewegung haben?
Als Sportlehrer und Ausbilder im ZfsL (Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung) muss man das natürlich immer ein wenig mit der Bewegungszeit abwägen. Aber wir wollen die Schüler*innen auch zu reflektierten Sportler*innen erziehen und in einer Situation weiter zu fragen. Warum ist das unfair? Welchen Begriff habe ich überhaupt von Fairness? Gibt es überhaupt so etwas wie faire Fouls? Und den Sport generell kritisch zu hinterfragen - sei es unser Verhältnis zur Umwelt, zu deren Sportnutzung, gerade im Hinblick auf das Skifahren. Kinder dazu anzuleiten, kritisch durch die Welt zu gehen und eben nicht einfach alles hinzunehmen - das ist ein zentraler Auftrag der Schule, aber auch des Sportunterrichts.
Wie gehen Sie an das Thema heran, um die Kinder an das Thema heranzuführen?
Der erste Schritt ist erstmal die Wahrnehmung der Situation. Was ist hier eventuell ein Problem? Wenn beispielsweise kein vernünftiges Spiel zustande kommt, weil manche nicht mitspielen oder sich nicht an die Regeln halten. Der zweite Schritt beschäftigt sich mit der Klärung des Verständnisses. Nicht, wie nehme ich diese Situation wahr, sondern wie verstehe ich sie? Was für Erfahrungen habe ich? Dann käme ein analytischer Schritt. Also gibt es sowas wie ein faires Foul? Gibt es ein körperloses Spiel mit Körperkontakt? Und der vierte Schritt, dass man guckt, gibt es zu meiner eigenen Position auch noch andere Positionen, die gerechtfertigt sind. Und letzten Endes ist der fünfte und abschließende Schritt dann zu fragen: Was mache ich mit all den Informationen jetzt? Und ich muss im Sportunterricht entscheiden, wann ich dann doch nochmal eingreife. Philosophie setzt auf Einsicht. Und wenn die dann nicht umgesetzt wird, wird nochmal unterbrochen. Und dass es schwer ist, immer seinen eigenen Einsichten zu folgen, dem zu folgen, was richtig ist oder was man als richtig empfindet, das ist auch ein Teil des Menschseins.
Ab welcher Klasse würden Sie empfehlen, mit solchen Einheiten zu starten oder gilt: am besten so früh wie möglich?
Von der ersten Klasse an. Es ist ja dann immer die Frage, wie bereite ich das methodisch auf. Wichtig ist aber, dass es eine Anbindung an die erlebte Situation von den Schülerinnen gibt. Und deshalb ist eben der Ansatz der Philosophie im Leben, dass man merkt: das ist jetzt eine Frage, die es lohnt, weiter zu bearbeiten. In der Oberstufe müssen dann natürlich auch theoretische Anteile der Sportphilosophie als wissenschaftliche Disziplin miteingeschlossen werden. Dann wird auch das Aufspüren und Zulassen von Gegenpositionen oder besonderen Positionen relevant.
Inwiefern unterschieden sich denn die Einheiten von der 5. Klasse zur Oberstufe?
In der fünften Klasse ist ganz häufig das Interesse am Spiel noch größer. Aber auch das Ausbrechen aus dem Spiel findet dort schneller statt. Also da läuft noch mehr auf dieser unmittelbar zwischenmenschlichen Ebene ab. Aber der Blick geht auch schon über sich selbst hinaus und die eigene Gefühlslage. In der Oberstufe ist es häufiger so, dass sie die Argumente rational nachvollziehen können und sich auch entsprechend danach richten, beispielsweise nach den Regeln. Allerdings nicht unbedingt aus Einsicht, sondern aus anderen sozialen Gesichtspunkten, weil sie wissen, dass der Lehrer oder die Lehrkraft zuguckt
Was tun Sie, wenn Kinder gar nicht offen für die Gespräche sind?
Dadurch, dass man eben in einer unterrichtlichen Situation ist, wird den Schülern gar nicht so bewusst, dass sie philosophieren. Es wird ein Nachdenken angestoßen, dass zum philosophischen Problem wird, weil man von der eigenen Perspektive in eine allgemeine Perspektive übergeht. Es hat mit Einsicht zu tun und es gibt auch Kinder, die nicht einsichtig sind. Dann werden eben erzieherische Maßnahmen notwendig und das Kind muss sich kurz mal auf die Bank setzen. Wenn man nicht an der sozialen Praxis des Schulsports regelkonform teilnehmen kann, dann kann man auch am Spiel und dem Sport nicht teilnehmen.
Gibt es Bewegungsformen, Sportarten, Spiele, die sich besser zum Philosophieren eignen?
Am naheliegendsten sind die, wo Konflikte auftreten. Weil diese Konflikte auf ein Problem hindeuten und diese Probleme deuten wiederum auf philosophische Fragen hin, wenn man sie weiterdenkt. Meines Erachtens ist das im Schulsport der zentrale Bereich. Letzten Endes ist aber jedes Bewegungsfeld geeignet, um weiterzufragen. Bei Körperwahrnehmung oder der generellen Wahrnehmungsfähigkeit sind natürlich auch viele philosophische Fragen möglich. Im Prinzip kann alles ein philosophisches Problem sein.
Als Fazit: Worum geht es primär in der Philosophie und welche Rolle spielt es im Sport?
Philosophie lebt durch den Austausch, das heißt durch andere Sichtweisen und durch den argumentativen Austausch. Die Schüler sollen nachdenken, ihre eigenen Lösungsansätze finden und mit den der anderen abgleichen und dabei ihr eigenes Urteil bilden. Der Austausch und die besseren Argumente, darauf kommt es ja letzten Endes an und auch ich habe nicht immer die besten. Das erkennen die Kinder auch manchmal. In der Philosophie geht es letzten Endes um Mündigkeit, sich selbst in Verhältnis zu setzen, zu der eigenen Person, aber auch zu der Umwelt und eben auch zu kulturellen Errungenschaften oder Phänomenen wie dem Sport. Jede Situation wird erst zu einem philosophischen Problem, wenn ich bereit bin darüber nachzudenken: Was ist das Allgemeine in dieser Situation. Philosophie ist aber auch eine Grundeinstellung. Durch den Prozess des Philosophierens kommt man eventuell zu einer besseren Deutung und einer besseren Einsicht in das, was man tut oder was man tun sollte. Sport hingegen ist ein Ausdruck von Freiheit. Mit der Philosophie verknüpfend ist es dabei aber wichtig, nicht nur bewusst seine Freiheit auszuleben, sondern auch verantwortungsvoll zu handeln und mit den anderen Mitspieler*innen, die den Sport ja genauso freiwillig ausüben, im Einklang zu sein.
Das Online-Seminar "Philosophieren im Sportunterricht - Fairness, Regeln, Werte" findet zum ersten Mal am 18. September 2025 statt und alle (angehenden) Lehrer*innen und Interessierte sind herzlich eingeladen! Zur Anmeldung kommen Sie hier.