Zeit zum Entspannen!

Egal, ob alt oder jung - Stress hat jede*r. Wenn der Stress aber überhand nimmt und bereits in der Grundschule anfängt, sollte man etwas dagegen unternehmen. Unsere Referentin Dr. Anja Steinbacher gibt hier im Interview einen Einblick, wie unter anderem Lehrer*innen Kindern beim Entspannen helfen können.

UW: Wie kamen Sie dazu, Entspannungstrainerin zu werden?

Anja Steinbacher: Ich habe irgendwann gemerkt, mir würde es auch guttun, wenn ich entsprechende Techniken kenne und bei mir anwenden kann. Damit ich letztlich auch selbst mit den stressigen Belastungen aus dem Alltag und der Arbeit gut umgehen kann. Dann macht es natürlich aber auch Sinn, mich damit zu beschäftigen, weil ich das in der sportpsychologischen Beratung auch nutze.

Um jetzt den Bogen zu unserer Weiterbildung zu spannen: Worin unterscheidet sich Psychologisches Training für Athlet*innen und Entspannungstraining für Kinder?

Natürlich muss man die Entwicklung der Kinder berücksichtigen, dass wenn sie noch jünger sind, natürlich kognitiv noch nicht so ins Vorstellungstraining gehen können. Andererseits besitzen sie natürlich eine ausgeprägte Fantasie. Aber da müssen die Tools beim Autogentraining oder bei der progressiven Muskelrelaxation einfach auf die kindliche Entwicklung angepasst werden. Sei es, dass man viel mit Bildern arbeitet, mit Geschichten arbeitet, wo die Entspannungstechniken kindgerecht verankert sind. Die Atemübungen werden auch immer mehr in Geschichten verpackt.

Und was ist das Ziel? Bei Athlet*innen ganz klassisch - mehr Leistung (nachhaltig) generieren und bei Kindern, wo liegt da der Fokus?

Ja, also bei den Athlet*innen geht es unter anderem um die Leistungsoptimierung, aber auch um das Thema psychische Gesundheit. Bei den Kindern geht es darum, einfach mal zur Ruhe zu kommen und diese auch zu genießen. Kinder haben auch ihre Termine und eine Vielfalt an Stressoren. Auch wenn es vielleicht nur Freizeitstress ist, hat es letztlich auch Auswirkungen. Die Fortbildung richtet sich ja an alle Interessierten - an Eltern, Lehrkräfte, Erzieher*innen oder auch an Trainer*innen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Bei der Weiterbildung kriegen sie Werkzeuge an die Hand, um Entspannungstechniken anzuwenden. Aber die Zielgruppe soll natürlich auch Eigenerfahrung haben. Darum geht es auch unter anderem in der Fortbildung, dass viel ausprobiert wird und selber gespürt wird - was macht diese Übung mit mir und wie kann ich sie auf entsprechende Altersstufen anpassen.

Kann man sagen: Das ist eine gute Fantasiereise und das eine schlechte?

Eine genaue Einteilung gibt es nicht, aber bei Fantasiereisen sollten alle Sinne angesprochen werden, weil natürlich jede*r unterschiedlich empfänglich ist über die Sinneskanäle. Fantasiereisen sollen ein Anfang und ein Ende haben. Sie müssen natürlich gut zu den Kindern passen. Wenn ich jetzt Kinder aus einem sozial schwachen Bereich habe, dann sollte ich überlegen, ob eine Urlaubsreise im Rahmen einer Fantasiereise sinnvoll ist in ein teures Land, wo die Kinder noch gar nicht waren. Oder wahrscheinlich gar keine Vorstellung haben, wie es da sein könnte. Das muss natürlich so ein bisschen auch zur Realität passen. Man kann ja auch schöne Orte in Parks nehmen oder am See. In Fantasiereisen soll keine Angst eingeflößt werden. Wenn eine Tauchreise gemacht wird und jemand aber gar nicht gerne ins Wasser geht oder schlechte Erlebnisse gemacht hat, dann passt das natürlich nicht. Da sollte man einfach ein bisschen sensibel sein. Fantasiereisen können aber auch selbst geschrieben werden. Das können Kinder auch übernehmen. Ein Realitätsbezug muss es aber trotzdem nicht unbedingt sein. Es kann auch eine ganz tolle Fantasiegeschichte sein, in einem Wald mit Feen und Co.

Durch so einen durchgetakteten Alltag und durch die Digitalisierung, wie sehr haben sich die Techniken verändert?

Also natürlich können die digitalen Medien genutzt werden, weil es entsprechende Apps gibt. Im Jugend- und Erwachsenenalter können diese auch gerne genutzt werden. Im Kindesalter glaube ich nicht, dass die Medienkompetenz schon ausreichend da ist. So oder so - es ist eine qualitative Zeit und wichtig ist, dass auch wirklich dann nur die Entspannungsübung jetzt dran ist und nicht irgendwie doch noch Social Media oder andere Kanäle bedient werden. Kindern würde ich tatsächlich immer über eine anleitende Person gehen, weil das die Beziehung stärkt. Wenn man Zeit hat, sollte vor und nach der Übung noch eine kreative Verarbeitung folgen. Es ist nicht nur einfach die Übung und dann geht man wieder den Alltag über. Man kann vielleicht eine Bewegungsübung rund um dieses Thema gestalten, bevor man dann irgendwann die Übung macht. Und hinterher kommt immer nochmal die Reflexion und da ist man im Austausch.

Wie entscheidend ist es, dass die anleitenden Personen die Entspannungsverfahren auch selbst nutzen oder daran glauben?

Ich sage immer, man muss Eigenerfahrung haben, weil eine Entspannungsübung, egal welche es ist, zu unterschiedlichen Reaktionen führen kann. Die einen finden die Entspannungsübungen mega und können sich voll darauf einlassen und spüren die entsprechenden Effekte. Aber es gibt auch Personen, die können damit nichts anfangen und das ist auch okay. Ich muss mich fragen: Wie werden die Pausen gesetzt? Wie viel Raum und Zeit braucht die Person, sich Bilder auch vorzustellen im Kopf? Wie ist die Stimmlage? Passt das? Arbeite ich mit Musik, arbeite ich ohne Musik? Auch das sind so ganz wichtige Parameter. Da muss man selbst erstmal selber wissen, was mag ich eigentlich? Als anleitende Person ist es auch wichtig, dass sie entspannt ist bei der Übung.

Wann eignen sich Fantasiereisen und wann eher physische Entspannungsverfahren?

Zeit spielt immer eine Rolle. Habe ich eine Dreiviertelstunde oder zwei Stunden Zeit für die Entspannung? Dann baue ich die Stunde natürlich ganz anders auf. Und wenn dann die räumlichen Bedingungen auch nicht gegeben sind, dass wir uns bequem hinlegen oder hinsetzen können, dann mache ich eine Übung im Stehen. Das können dann aber auch Atemübungen sein. Also die räumlichen und zeitlichen Bedingungen spielen eine große Rolle. Auch die Gruppenkonstellation ist entscheidend. Sind die Personen schon erfahren oder fangen sie erst neu mit dem Thema an? Entsprechend muss ich da natürlich langsamer die Techniken aufbauen.

Starten Sie mit Anfänger*innen eher mit Fantasiereisen oder physischen Entspannungsverfahren?

Physische Entspannungstechniken ist der PMR-Ansatz, also progressive Muskelrelaxation, wo ich über die Muskelspannung und -entspannung arbeite. Das können aber auch leichte Yoga-Übungen sein. Wenn ich mit kognitiven Verfahren arbeiten möchte, dann bin ich beim autogenen Training oder bei der Fantasiereise. Auch die Meditation kann man einbauen. Mit Kindern würde ich immer mit einer Fantasiereise anfangen, weil es ein leichterer Zugang ist und sie es vielleicht auch schon kennen. Mit Athleten, selbst wenn die keine Erfahrung haben in Entspannungsübungen, stelle ich denen immer erstmal das autogene Training vor. Da kommt aber einfach meine persönliche Präferenz durch.

 

Kann man prinzipiell sagen: Bei diesem Stressor nutze ich das und bei diesem das andere?

Entspannungstechniken setzen ja eigentlich bei der Stressreaktion an. Was sind das für Stressoren? Kann ich sie verändern, dass gar keine Stressreaktion auftritt? Kann ich sie verändern, sei es, indem ich mein Zeitmanagement optimiere, sei es, dass ich mich besser vorbereite, meine Abläufe verändere oder mir Unterstützung dazu hole. Und die Entspannungsübungen sind grundsätzlich erstmal da, um allgemein Wohlbefinden und Gelassenheit mit reinzubringen. Aber man kann nicht per se sagen - wenn Stressor A, dann genau diese Technik. Das hat dann auch was mit Vorlieben zu tun. In der Literatur wird manchmal so unterschieden, wenn ich körperliche Stresssymptome habe, dann sollte ich versuchen, mit kognitiven Entspannungsmethoden zu arbeiten. Und wenn ich viele Sorgen und Zweifel habe, vielleicht eher körperlich. Aber letztlich ist das nicht in Stein gemeißelt. Und viel wichtiger ist, ich mache das, was mir guttut. Gerade weil die Symptome immer sehr vielfältig sind. Vielleicht merke ich es eher körperlich, aber auch kognitiv habe ich Symptome.

Wie ist die Weiterbildung denn generell aufgebaut?

Wir reden immer erstmal über Stress – also die Stressoren, Stressverstärker und die dazugehörigen Stressreaktionen. Und wo kann ich dann ansetzen? Welche Übungen gibt es? Ich finde die Atmung, der Einsatz der Atmung sehr sinnvoll und sehr schnell wirksam. Atmung haben wir also immer dabei. Dann thematisieren wir auf jeden Fall nochmal die Fantasiereisen, das autogene Training und die progressive Muskelrelaxation und wie ich es auch kindgerecht vermitteln kann. Wir reden aber auch darüber, wie Entspannungsstunden aufgebaut werden.

Inwieweit kann Entspannungstraining helfen und wann muss man sagen, dass das allein nicht mehr reicht?

Entspannungstraining setzt ja eigentlich bei der Entspannungsreaktion an. Ich würde im Vorfeld die Stressoren reduzieren. Wenn es zu viel ist, zu viele Freizeitaktivitäten sind, dann muss was geändert werden. Kinder brauchen Zeit zum Spielen. Und Zeit für Langeweile. Entspannungstraining ist aber nicht das Allheilmittel. Wenn jetzt traumatische Erlebnisse oder kritische Lebensereignisse eingetreten sind, dann kann es ein punktueller Beitrag dazu sein, die Stressreaktion zu mildern. Aber vielleicht muss da dann auch ein therapeutischer Ansatz gewählt werden. Da gibt es Grenzen. Wobei das Thema Entspannung auch in der Therapie immer mit drin ist. Entspannungstraining hilft immer - diese Aussage mag ich nicht unterstützen. Sagen wir so: Entspannungstraining ist immer sinnvoll. Es heilt aber nicht alle Wunden. Und der Ansatz bei den Stressoren oder vielleicht auch bei Stressverstärkern ist auch durchaus sinnvoll, um die Stressreaktion zu mildern. Entspannungstraining ist dabei immer eine qualitative Zeit mit mir selbst. Da tue ich mir was Gutes in diesem Moment. Und das ist nie verkehrt, sich diese Zeit zu nehmen.

Kann man sagen, ob bei Kindern Entspannungstraining noch einfacher umzusetzen ist als bei Erwachsenen?

Einfacher? Nein. Es ist ein kreativerer Ansatz. Kinder brauchen noch mal eine andere Ansprache, die Übungen sind verkürzt und müssen natürlich auch vielleicht ein bisschen mehr motiviert werden. Gerade wenn man mit Metaphern, Geschichten und Bildern arbeitet. Bei der progressiven Muskelrelaxation motiviere ich sie noch mal anders. Bei Erwachsenen würde ich sagen, bilde eine Faust und drücke sie zusammen so sehr, wie es geht. Und bei Kindern würde ich sagen, stell dir vor, du hast einen Stein in der Hand und den drückst du zusammen, ganz kräftig, den willst du nie wieder loslassen. Vielleicht kannst du sogar noch mehr drücken. Da arbeite ich eher mit solchen Bildern. Das würde ich bei Erwachsenen eher weglassen und es technischer erklären. Aber egal, ob Erwachsene oder Kinder – es kommt immer auf die Gruppe und die Beziehung an, die man zu den Teilnehmenden hat.  

Die Weiterbildung "Entspannungsverfahren für Kinder" lädt alle Interessierten herzlich ein - ob Lehrer*innen, Erzieher*innen oder Eltern!