Nr. 2/2022

Mit Mini-Organen dem Doping auf der Spur

Das Organ-On-A-Chip-Verfahren könnte die Anti-Doping-Forschung nachhaltig verändern. Auf einen ungefähr kreditkartengroßen Träger werden 3D-Mini-Organe eingesetzt und mit Hilfe von Druck und Wärme in einem miniaturisierten Nährstoffkreislauf kultiviert, um eine dem menschlichen Organismus möglichst ähnliche Umgebung zu simulieren. Die Ausscheidungen dieser Organe könnten Forscher*innen helfen, neuartige (potentiell) leistungssteigernde Substanzen schneller nachweisen zu können. In einer Pilotstudie haben Forscher*innen der Deutschen Sporthochschule Köln das Verfahren erstmals im Bereich der Anti-Doping-Forschung mit anabolen Steroiden getestet: mit vielversprechenden Ergebnissen.

Wenn Sportler*innen auf der Suche sind nach dem Hauch mehr an Leistung, scheint für manche der Griff zu Medikamenten eine logische Konsequenz. Medikamente können die Muskeln schneller wachsen lassen oder die Lunge besser belüften. Andere helfen dabei, das harte Training wegzustecken oder vor dem Wettkampf die Ruhe zu bewahren. Weil sie einen unerlaubten Vorteil verschaffen, sind diese Medikamente im Sport verboten. Viele solcher leistungssteigernden Substanzen sind bekannt. Sie sind sogar bis ins kleinste Detail analysiert. Forscher*innen wissen, wie sie im Körper verstoffwechselt werden und kennen ihre Abbauprodukte. Erst, wenn man einen Stoff so genau kennt, kann er standardmäßig in Urin- oder in Blutproben nachgewiesen werden.

Schwierig wird es, wenn Athlet*innen den Analyselaboren einen Schritt voraus sind. Wenn sie zu Substanzen greifen, die bisher nicht auf dem Markt und nicht klinisch zugelassen sind, ist der Nachweis fast unmöglich. Es fehlen die nötigen Studien. Erst wenn konkrete Stoffwechselmarker bekannt sind, können die Substanzen mit den hochsensiblen Massenspektrometern im Analyselabor erkannt werden. „Es geht hier vor allen Dingen um Metabolismus-Forschung. Laufend beginnen klinische Studien zu neuen Substanzen und Substanzklassen. Bereits in frühen Phasen dieser klinischen Studien finden sich zum Beispiel im Netz entsprechende Schwarzmarktprodukte dopingrelevanter Verbindungen. Zu diesen neuen Substanzen haben wir im Labor aber erstmal ganz wenige Informationen“, erläutert Dr. Christian Görgens, Chemiker am Institut für Biochemie und Projektmitarbeiter der Pilotstudie.

Die Helfer: Mini-Organe in der Analytik

An dieser Stelle kommt eine Technologie ins Spiel, die den Stoffwechsel des menschlichen Körpers simulieren kann: das sogenannte Organ-On-A-Chip-Verfahren. Auf einen ungefähr kreditkartengroßen Träger, den Chip, werden 3D-Mini-Organe eingesetzt und mit Hilfe von Druck und Wärme in einem miniaturisierten Nährstoffkreislauf kultiviert, um eine dem menschlichen Organismus möglichst ähnliche Umgebung zu schaffen. Ob eine Mini-Leber, -Niere, -Haut, -Bauchspeicheldrüse oder sogar ein Mini-Herz: In die Chips können verschiedenste Zellkulturen eingesetzt werden. Sogar die Kombination mehrerer Mini-Organe auf einem Chip ist möglich. Wenn man Mini-Leber und Mini-Niere kombiniert – zwei zentrale Organe für den Abbau von Medikamenten – dann sondert die Mini-Niere sogar eine urinähnliche Flüssigkeit ab, die im Dopingkontrolllabor analysiert werden könnte.

Ganz so weit ist die Technologie im Bereich der Dopinganalytik allerdings noch nicht. Bisher kommt die Organ-On-A-Chip-Technologie im Pharmabereich oder in der Forschung zur Lebensmittelsicherheit zum Einsatz. Ihr Prinzip scheint jedoch vielversprechend für die Dopinganalytik. Ob sich das Verfahren auch für den komplexen Nachweis geringster Mengen an potentiell leistungssteigernden Substanzen eignet, haben Wissenschaftler*innen des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in einem interdisziplinären Pilotprojekt zusammen mit dem Berliner Chip-Hersteller „TissUse“ untersucht. Sollte es sich eignen, müssten die Mini-Organe ähnliche Stoffwechselprodukte produzieren, wie der menschliche Körper.

Das Ziel: Neue Substanzen schneller nachweisen können

Ziel des Pilotprojektes war es also, die Ausscheidungen der Mini-Organe auf dem Chip mit denen eines Menschen zu vergleichen. Dafür wurden die Mini-Organe – erstmals überhaupt – mit anabolen Steroiden „gedopt“. Weil es zum Zeitpunkt der Pilotstudie noch keine eigene Zellkultur und kein Organ-On-A-Chip-System an der Sporthochschule gab, bekamen die Kölner Forscher*innen Unterstützung aus Berlin. Mitarbeitende der Firma „TissUse“ züchteten für das Experiment sogenannte Leber-Sphäroide. Das sind Mini-Leber-Organe, einhunderttausendfach kleiner als eine echte Leber, jedes Einzelne bestehend aus circa 3.000 Zellen. 316 dieser Mini-Organe, auch Organoide bezeichnet, wurden über 14 Tage mit dem Organ-On-A-Chip-Verfahren versorgt. Das bedeutet, sie wurden auf 37 Grad erwärmt, mit Schläuchen an ein Pumpsystem angeschlossen und zu bestimmten Zeiten wurde eine Nährstofflösung zugegeben. „Zwei Faktoren machen das System besonders: einmal die 3D-Organstruktur, die aus parenchymalen und nonparenchymalen Zellen hergestellt wird. Das ist einmal eine Leberzelllinie, die die Funktion des Organs simuliert, und hepatische Sternzellen, die die Regeneration und Stabilisierung des Organoids unterstützen. Besonders ist auch, dass durch die Kreisläufe, in denen immer gepumpt wird und ein bestimmter Sauerstoffaustausch herrscht, eine eher physiologische Situation entsteht, die dem Blutkreislauf im Körper ähnelt“, erläutert Projektmitarbeiterin und Biologin Dr. Nana Naumann. „Das bedeutet auch, dass ein gewisser Stress für die Zellen entsteht, wenn sie diesem Druck ausgesetzt sind. Das ist physiologischer als eine statische Kultur, die sich in einer Schicht auf die Wand oder auf den Boden des Gefäßes setzt“, ergänzt ihr Kollege Dr. Christian Görgens.

Am dritten, fünften und siebten Tag des Experiments wurden die Organoide einer Nährstofflösung ausgesetzt, der eine geringe Menge des dopingrelevanten anabolen Steroids Stanozolol oder des anabolen Steroids Oral-Turinabol beigemischt war. Beides sind Medikamente, die unter anderem Muskeln schneller wachsen lassen und deshalb im Sport verboten sind. „Stanozolol ist die am häufigsten missbrauchte Substanz im Sport. Wir haben sehr viele Studien mit Stanozolol durchgeführt, uns liegen viele positive Athleten-Urine und viele Daten zu Stoffwechselwegen vor. Deshalb haben wir uns in der Pilotstudie für diese Substanz entschieden“, so Görgens. Eine, drei und sechs Stunden nach der Applikation der Dopingsubstanz und zu mehreren Zeitpunkten im Verlauf des Experiments wurden die Ausscheidungen der Organoide aus dem Organ-On-A-Chip-System entnommen und zur weiteren Analyse nach Köln geschickt. Im Kölner Labor erfolgte die Analyse auf dopingrelevante Marker. Dr. Christian Görgens und seine Kolleg*innen untersuchten die Proben mit ihren Massenspektrometern, die auch standardmäßig in der Dopinganalytik eingesetzt werden, um Substanzen im Urin oder Blut nachzuweisen. Mit Hilfe geeigneter Extraktionsverfahren können die hochpräzisen Geräte selbst kleinste Bestandteile sichtbar machen.

Das Ergebnis: ähnliche Ausscheidungen wie beim Humanmodell

Das überraschende Ergebnis: Das Chip-Experiment zeigte bei beiden Substanzen ein qualitativ ähnliches metabolisches Profil wie im Urin von Menschen. In den Ausscheidungen der Mini-Organe konnten die beiden anabolen Steroide mit den identischen Stoffwechselmarkern, auch Metaboliten genannt, nachgewiesen werden. „Typischerweise gibt es immer ein spezifisches Metabolismus-Muster, wenn Stanozolol verabreicht wurde. Dieses Muster kennen wir aus Urinproben. Wir konnten zeigen, dass die Zellen auf dem Chip genau diese bekannten Metaboliten produzieren. Jeder Peak in der Grafik (Anm. der Redaktion, siehe Grafik) steht für einen Metaboliten. Man sieht, dass die Zellen auf dem Chip genau diese Metaboliten machen. Zwar in einem etwas anderen Verhältnis, aber im Prinzip finden wir alles, was wir im Urin finden, auch in den Chips. Damit hatte ich ehrlich gesagt gar nicht gerechnet, weil anabole Steroide sehr intensiv verstoffwechselt werden“, erläutert Görgens.

Für die Doping-Analytik könnten die Ergebnisse der Pilotstudie einen Fortschritt bedeuten. Bestätigt sich auch in weiteren Studien, dass die Ausscheidungen der Mini-Organe denen von Proband*innen gleichen, könnte das Verfahren bisherige In vitro-Untersuchungen (Untersuchungen außerhalb eines lebenden Organismus), Tierversuche und langfristig sogar Studien am Menschen ersetzen. Weil sich Alternativverfahren oftmals nicht gut auf den Menschen übertragen lassen, müssen Studien zu neuen Medikamenten bisher schon früh am Menschen durchgeführt werden – mit den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken.

Die vielversprechenden Ergebnisse der Pilotstudie haben die Forschenden des Instituts für Biochemie mittlerweile dazu veranlasst, sich ein eigenes Organ-On-A-Chip-System anzuschaffen. Das Kölner Institut ist das erste von der Welt-Anti-Doping Agentur (WADA) akkreditierte Anti-Doping-Labor, in dem ein solches System genutzt wird. Im vierten Stock des naturwissenschaftlich-medizinischen Institutsgebäudes der Sporthochschule arbeitet vor allem Biologin Dr. Nana Naumann mit dem neuen Verfahren. Sie setzt mittlerweile auch am Kölner Institut eigene Zellkulturen und Mini-Organe an. Zusätzlich zu den beiden getesteten anabolen Steroiden sollen auch weitere dopingrelevante Substanzen untersucht und verglichen werden. Das Ziel der Forscher*innen ist es, bald auch komplexere Organ-On-A-Chip-Modelle am Institut einzusetzen, die dem Stoffwechsel des Menschen noch ein Stück näherkommen. Denkbar wäre ein kombiniertes Haut-Leber- oder ein Leber-Niere-Modell. Den Urin der Mini-Niere können die Wissenschaftler*innen des Instituts dann vermutlich noch besser für ihre Analysen nutzen, um so den Stoffwechselprodukten neuer Substanzen schneller auf die Spur zu kommen.

Text: Marilena Werth

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