Nr. 4/2017

Pionierarbeit zu Sportsystemen europäischer Länder

Ninja Putzmann vom Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung hat sich auf Analysen zu den Sportsystemen unterschiedlicher europäischer Länder spezialisiert. In ihrer Promotion betrachtete sie das spanische Sportsystem, auch die Strukturen der deutschen und britischen Sportorganisation hat sie bereits untersucht.  Unterstützt durch eine hochschulinterne Anschubfinanzierung für junge PostDocs (Förderlinie 3) wird sie nun weitere Länder ins Auge fassen. Es ist eine Pionierarbeit, denn bislang gibt es in Deutschland nur eine rudimentäre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Sportsystemen unterschiedlicher Länder.

Seit dem zurückliegenden Wintersemester gibt es den neuen M.A. International Sport Development and Politics an der Deutschen Sporthochschule Köln, nun wird Ihre Forschungsarbeit zu den europäischen Sportsystemen gefördert. Entdeckt die Sportwissenschaft hier gerade ein neues Forschungsgebiet?

Das hängt von der Perspektive ab. Die Engländer untersuchten die Sportpolitik schon in den 1980er Jahren, im deutschen Raum begann eine vergleichbare wissenschaftliche Arbeit in den 1990er Jahren. Grundlegende theoretische Ansätze wurden um die Jahrtausendwende erkennbar, aber die steckt immer noch in den Kinderschuhen. Wenn wir heute über Theorien reden, sind das meist Konzepte, Modelle oder Typologien, die man in der Politikwissenschaft behandelt. Man spricht über Begrifflichkeiten, wie „Macht“, „Interessen“, das „Verhältnis zwischen Sport und Politik“, „Intervention durch den Staat“ oder die „Autonomie des Sports“. Das sind Schlagworte, die man versucht zu konzeptualisieren, um die Kernbotschaft von Sport und Politik zu erfassen.

Die deutsche Sportadministration hat jahrzehntelang mit großer Deutlichkeit ihre Unabhängigkeit von allen anderen Systemen hervorgehoben. Ging es da auch darum, einfach in Ruhe gelassen zu werden?

Diese Idee, dass der Sport viel selber steuert, sei es Doping, sei es Korruption, ist in Deutschland tatsächlich tief verankert. Diese Haltung entstand als Gegenreaktion auf das Dritte Reich, wo der Sport politisch stark instrumentalisiert wurde. Der Dopingskandal im Radsport war dann ein starker Einschnitt, ebenso wie die Wettskandale im Fußball und die Korruptionsfälle in der Fifa. Danach haben sich Politiker mehr und mehr dazu genötigt gefühlt zu intervenieren, eine Folge dieser Entwicklung sind das Anti-Doping-Gesetz und das neue Gesetz gegen Sportwettbetrug.

In Ihrem Projekt geht es aber vor allen Dingen um den Vergleich der Sportsysteme verschiedener europäischer Länder. Gibt es da deutliche Unterschiede?

Ja. In Deutschland sind beispielsweise nur Teile des Leistungssports national organisiert, der Freizeit- und Breitensport wird auf regionaler Ebene gelenkt. In Spanien ist das anders, da steuert und kontrolliert der Staat den Breiten- und den Leistungssport. Nach der 40-jährigen Diktatur, die um 1978 endete, übernahm die Administration die Finanzierung von Sportartenverbänden und damit des Leistungssports und schuf ein großes Infrastrukturprojekt, das flächendeckend Sportstätten und Sportanlagen finanzierte. Dieses Projekt hat dann noch einmal einen Schub bekommen durch die Olympischen Spiele 1992, die 1986 nach Barcelona vergeben wurden.

Es gab eine Zeit, da wurde aus Deutschland mit einem Gefühl des Neids nach Spanien geblickt, weil es gemessen an der Bevölkerungszahl überraschend viele Weltklassesportler gibt. Worin besteht das Geheimnis dieses Erfolges?

Man erkennt diese Weltklasseleistungen in Ballsportarten und in Individualsportarten, die olympisch sind. Diese Stoßrichtung ist seit den 1980er Jahren deutlich zu erkennen, als man sich überlegt hat, welche Sportarten zuvorderst gefördert werden sollen, jedoch nicht nur mit der Konzentration darauf, viele Medaillen zu gewinnen, sondern auch mit dem Blick in die Breite. Allerdings gab es eine frühzeitige Entscheidung, nicht-olympische Sportarten von der Unterstützung durch Fördergelder weitgehend auszuschließen.

Ihr Dissertationsprojekt drehte sich um das spanische Sportsystem. Fördermittel von der Deutschen Sporthochschule bekommen Sie nun für ein Forschungsprojekt zu ganz Europa. Welche Fragen stehen dort im Zentrum?

Wir fragen uns, wie man staatliche Interventionen bemessen kann, wobei es gar nicht so stark um Effekte geht. Kausalitäten lassen sich gerade im Leistungssport angesichts der Leistungsdichte oft nur schwer bestimmen. Relevanter ist, unterschiedliche Formen von Interventionen herauszustellen. Bei den Finanzierungsstrategien werden sich wahrscheinlich die stärksten Differenzen zeigen, aber es gibt auch programmatische Anreize, die gesetzt werden. Beispielsweise durch Förderprogramme, die sich speziell an Leistungssportler wenden, wie in Spanien. Und es gibt extreme Formen, wie in Russland, wo der Staat komplett in den Sport involviert ist.

Möglichst große internationale Erfolge und eine gute Platzierung im Medaillenspiegel sind bekannte Ziele von Regierungen. Welche anderen Intentionen können der Gestaltung eines Sportsystems zu Grunde liegen?

Der zweite klassische Ansatz ist die Idee, eine Sportbevölkerung mobil und möglichst gesund zu halten. Nationen, die so agieren, haben dann eine bewegtere Gesellschaft, mehr soziale Kohäsion und mehr soziale Teilhabe. Solche Konzepte sind in den skandinavischen Ländern stark ausgeprägt.

Welche Nationen wollen Sie im Rahmen des Projektes konkret unter die Lupe nehmen?

Spannend bleiben Länder wie Deutschland, Frankreich, Spanien und England, weil die alle ihre Eigenheiten haben. Frankreich mit viel Staat, Deutschland mit viel Sportautonomie, Spanien als Mix und Großbritannien mit viel Wirtschaftsunterstützung. Dazu wäre ein skandinavisches Land sehr interessant mit Blick auf die dortige Sportautonomie und auf die Selbstorganisation auf der lokalen Ebene. Außerdem sollte ein osteuropäisches Land nicht fehlen. Über diese Nationen wissen wir relativ wenig, hier könnte sich Polen anbieten.

Steckt hinter dem ganzen Projekt eher wissenschaftliche Neugier oder ist absehbar, dass die Ergebnisse in irgendeiner Form nutzbar sein werden?

Ich fände es sehr gut, wenn man es schaffen könnte, dass die Daten, die wir generieren, in einer Datenmaske so verarbeitet werden, dass sie dann auch zugänglich für Verbände und Sportverwaltungen oder Ministerien sind. Dann könnten die Entscheider klar sehen, was andere Länder tun. Aber wir betreten hier wirklich Neuland, weil es diese Forschung so bisher nicht gab.

Interview: Daniel Theweleit

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