Nr. 1/2021

Kleines Land, großer Sport - Sportpolitik in Botswana

Ein Land, zwei unterschiedliche Medaillenziele für die Olympischen Spiele. Botswana gilt als afrikanisches Musterland, das über ein vielfältiges, komplexes Sportsystem verfügt – mit der Botswana National Sport Commission (BNSC) und dem Botswana National Olympic Committee (BNOC). Es gibt jedoch ein Problem: Die beiden Verbände arbeiten nicht Hand in Hand. Was historisch über die Jahre gewachsen ist, wird heute durch politische Machtkämpfe weiter fortgeführt. In seinem Paper liefert Louis Moustakas, Mitarbeiter im Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, einen aktuellen Überblick über die Sportpolitik in Botswana.

In Botswana leben rund von 2,2 Millionen Menschen - 25 Prozent davon in den großen städtischen Zentren Gaborone und Francistown. Der Rest verteilt sich auf einer Landmasse von über 582.000 Quadratkilometern. „Mit seiner starken demokratischen Tradition, freien Presse, fortschrittlichen Sozialpolitik und hohen Kapitalinvestitionen zählt Botswana heute zu einem der stabilsten und wohlhabendsten Länder Afrikas“, erläutert Louis Moustakas (34) und ergänzt: „Trotz der relativ geringen Bevölkerungszahl ist das Sportsystem vielfältig und komplex. Es gibt eine eigene Sport-Kommission, die BNSC, und ein nationales Olympischen Komitee, das BNOC.“ Statt miteinander zu arbeiten, üben sich die Verbände jedoch in Machtdemonstration. Beide trennt eine historisch gewachsene Spaltung. „Trotz der Komplexität des Sportsystems und der Vorbildfunktion Botswanas wird der Politik und den Strukturen, die dem Sport in Botswana zugrunde liegen, in der akademischen Literatur nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt“, erläutert Moustakas sein Forschungsinteresse. Der Wissenschaftler war selbst mehrere Jahre vor Ort und hat unter anderem bei der Organisation der African Youth Games 2014 mitgewirkt und für das BNOC gearbeitet.

Vor dem Aufkommen des Kolonialismus im späten 19. Jahrhundert haben die Batswana – wie die Einwohner*innen des Landes genannt werden – verschiedene indigene oder traditionelle Spiele für eine Vielzahl von Zwecken betrieben: zur Bewahrung der Kultur, Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung sowie für allgemeine Erziehungszwecke und Bewegungserziehung von Kindern. „Zu den beliebtesten traditionellen Spielen gehörten Morabaraba und Koi. Morabaraba ist ein Brettspiel, das verwendet wurde, um Mathematik und insbesondere Grundrechenarten zu lehren. Koi, das dem heutigen Seilspringen ähnelt, diente zur Schulung der Koordination und der kardiovaskulären Fitness“, erklärt Moustakas.

Die westlichen Einflüsse während der Kolonialzeit führten zu einem neuen Verständnis von Sport und dessen Steuerung. Dennoch gab es bis in die frühen 1960er Jahre weder eine Fußballnationalmannschaft noch war die Regierung an der Entwicklung des Sports beteiligt. Nichtsdestotrotz wurden organisierte Sportarten wie Fußball immer beliebter und schließlich wurden 1965 der Botswana National Sports Council (BNSC) und der Bechuanaland National Sport Appeal Fund (BENSAF) gegründet. Der BNSC hatte die Botswana National Football Association (BNFA) als einziges Mitglied und war auf private Geldgeber, einschließlich des BENSAF, angewiesen. Die Hauptaufgabe des BENSAF war es, Gelder für den Bau von Sportanlagen und die Beschaffung von  Ausrüstung aufzutreiben.

In den frühen Phasen der Unabhängigkeit Botswanas waren Sport und Sportentwicklung jedoch kein Hauptaugenmerk des Staates. Der Fokus auf den Sport begann Mitte der 70er Jahre zu wachsen, als die BNSC 1975 offiziell das Mandat erhielt, alle Sportvereine, Verbände und Vereinigungen unter seinem Dach zusammenzufassen. Die Regierung brachte sich erst 1997 verstärkt in den botswanischen Sport ein. In diesem Jahr schuf sie eine eigene Abteilung, das Department of Sport and Recreation (DSR), um die Entwicklung und direkte Koordination des Sports im Land zu leiten.

Die Mitte der 90er Jahre war nicht nur für die verstärkte Rolle der Regierung im Management des Sports bemerkenswert, sondern auch für ihre erhöhten finanziellen Investitionen. „Die Regierung war dazu in der Lage, da in den 1980er Jahren Diamanten entdeckt wurden – ein wirtschaftlicher Glücksfall“, erklärt Moustakas.

Heute liegt die Gesamtverantwortung für den Sport in Botswana nominell beim Ministerium für Jugendförderung, Sport und kulturelle Entwicklung (MYSC) und speziell bei dessen Abteilung für Sport und Freizeit (DSR). Das MYSC legt die nationale Sportpolitik fest, überwacht sie und stellt Finanzmittel für Sportorganisationen bereit. Sein Minister ist befugt, der Botswana National Sports Commission (BNSC) Richtlinien zu erteilen und ihren Vorsitzenden zu ernennen.

„Trotz dieser offiziellen Befugnisse werden die alltäglichen Aktivitäten und die strategische Ausrichtung von der BNSC geleitet, die sich selbst als oberste Hüterin des Sports in Botswana bezeichnet und weitreichende Befugnisse über das botswanische Sportsystem hat“, erläutert Sporthochschul-Mitarbeiter Louis Moustakas und nennt ein Beispiel: „Sie ist befugt, die Teilnahme von Nationalmannschaften an internationalen Wettbewerben zu genehmigen.“

Die Teilnahme botswanischer Mannschaften an den Olympischen Spielen und Commonwealth-Veranstaltungen hingegen, wird durch das BNOC abgewickelt. Das BNOC hat den exklusiven Anspruch auf das Olympische Logo und die Olympische Marke. Es kann auf Olympische Solidaritätsgelder zugreifen und so Trainings- und Ausbildungsmöglichkeiten für Athlet*innen, Trainer*innen, Sportadministrator*innen und Akademiker*innen unterstützen. Obwohl das BNOC einen Großteil seiner Finanzierung durch die Regierung erhält, ist es gemäß der Olympischen Charta eine eigenständige Organisation außerhalb der Regierung. „Diese nominelle Unabhängigkeit, die Verbindung zur Olympischen Marke und das Engagement im Spitzensport zeigen, dass das BNOC nicht nur eine bedeutende Rolle im botswanischen Sport spielt, sondern ein weiteres Hauptzentrum der Macht im botswanischen Sportsystem bildet“, erläutert Moustakas.

Obwohl in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, um die Rollen der verschiedenen Akteure im botswanischen Sport zu klären und voneinander abzugrenzen, gibt es nach wie vor erhebliche Überschneidungen und Widersprüche innerhalb der Sportpolitik und der Sportprogramme des Landes. „Beide Verbände haben sogar unterschiedliche Medaillenziele für die Olympischen Spiele festgelegt“, erläutert Moustakas.

Der Autor des Papers bilanziert: „Die unzureichende Zusammenarbeit und Koordination wirkt sich negativ auf die nationale Sportentwicklung im Land aus. Eine verbesserte strategische Koordination und Abstimmung würde es dem Sportsektor ermöglichen, Doppelarbeit, Widersprüche und Konflikte zu minimieren und übergreifende Probleme des Sportsektors anzugehen.“ Maßnahmen sollten sich, so Moustakas, auch auf die Entwicklung nachhaltiger Einnahmequellen außerhalb der Regierung konzentrieren. Der Sport in Botswana sei derzeit stark von der staatlichen Finanzierung und den Launen internationaler Gremien abhängig, was es für das Sportsystem unmöglich mache, eine langfristige Verwaltungs- und Entwicklungsinfrastruktur zu entwickeln.

Weitere Veröffentlichungen von Louis Moustakas zum Thema Sport in Botswana sowie die Lang-Version des Papers mit Angaben zu Finanzierung, Mittelverteilung und Sponsoring finden Sie über die Links in der rechten Spalte.

Text: Lena Overbeck