Nr. 3/2018

Gehirn und Gehen – alles in Bewegung

Dr. Kristel Knaepen hat sich in ihrer noch jungen wissenschaftlichen Karriere schon mit zahlreichen Forschungsfeldern beschäftigt: mit Mensch-Roboter-Interaktion, Gangtherapie mit Roboterunterstützung, so genannten Exoskeletten, bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung sowie körperlichem und geistigem Training bei Älteren. Jetzt arbeitet die 35-jährige Belgierin seit knapp zwei Jahren im Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln und hat damit die perfekte Kombination ihrer Forschungsinteressen gefunden: Bewegung und Gehirn. Knaepen ist Projektmitarbeiterin der groß angelegten Studie AgeGain, die sich mit der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter befasst.

Was wird bei AgeGain genau erforscht?

Man weiß heute, dass mit zunehmendem Alter die geistige Leistungsfähigkeit abnimmt. Viele Studien zeigen aber auch, dass körperliches und geistiges Training im Alter einen positiven Einfluss auf kognitive Funktionen hat. AgeGain geht jetzt noch einen Schritt weiter und nimmt die geistigen Transferleistungen in den Blick.

Was heißt das genau?

Ältere Menschen sind nicht mehr so gut darin, Erlerntes in dem einen kognitiven Bereich in einen anderen kognitiven Bereich zu übertragen. Die Fähigkeit ist jedoch wichtig, um den Alltag leichter bewältigen zu können. Ein Beispiel: Wenn man bewusst das Merken von Zahlenreihen übt, dann kann man sich vielleicht auch besser daran erinnern, wo man das Auto geparkt hat. Wir wollen schauen, ob sich diese Transferfähigkeit durch geistiges und körperliches Training positiv beeinflussen lässt, und wir vermuten, dass bestimmte strukturelle und funktionelle Voraussetzungen im Gehirn für die Transferrate verantwortlich sind.

Welche Probandinnen und Probanden nehmen teil, und wie ist die Studie aufgebaut?

An drei Standorten, Mainz, Rostock und Köln, untersucht AgeGain insgesamt über 200 Probandinnen und Probanden. Bei uns in Köln sind es 97 gesunde Ältere über 60. Das Besondere an unserem Beitrag zu der Studie ist die Bewegungsintervention. Die geistigen Trainings werden an allen Standorten durchgeführt, das körperliche Training aber nur an der Sporthochschule. Die Studie läuft nun seit eineinhalb Jahren, im Herbst sind die ersten Ergebnisse zu erwarten, Projektabschluss ist Ende 2019.

Wie sieht das körperliche und geistige Training aus?

Die Probandinnen und Probanden trainieren drei- bis viermal pro Woche in erster Linie ihre Grundlagenausdauer, auch Intervall- und Koordinationseinheiten gibt es. Die Gruppen sind recht heterogen, es gibt Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Sporterfahrung und solche, die bei null anfangen. Im Anschluss an das fünfmonatige Ausdauertraining folgt ein vierwöchiges geistiges Training, bei dem dreimal pro Woche kognitive Tests am PC durchgeführt werden, zum Beispiel zum logischen Denken, zu Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Das ist sehr individuell eingestellt, denn bei jeder Einheit werden die Aufgaben an die Ergebnisse aus der vorherigen Einheit angepasst, so dass die Probanden vor immer neue Herausforderungen gestellt sind.

Welche weiteren Methoden nutzt AgeGain?

Es finden zudem drei neuropsychologische Testungen und jeweils drei bildgebende Untersuchungen des Gehirns mittels Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) statt. Im Gehirn konzentrieren wir uns auf die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften. Anhand bildgebender Verfahren kann man feststellen, ob etwa die Dichte der Neuronenverbindungen reduziert ist. Das MRT-Bild gibt auch Aufschluss über die Funktion einzelner Gehirnregionen, zum Beispiel ob die beiden Hirnhälften zusammenarbeiten oder nicht.

Letzterem widmet sich auch ein anderes Projekt, für das Sie kürzlich eine hochschulinterne Forschungsförderung in Höhe von 70.000 Euro erhalten haben. Was möchten Sie bei dem Projekt ‚The Impact of Aerobic and Coordination Training on Bihemispheric Cooperation and Brain Structure in Healthy Older Adults‘ untersuchen?

Übersetzt heißt das, dass ich die Effekte von Ausdauer- und Koordinationstraining auf bestimmte Gehirnstrukturen untersuche, genauer gesagt auf die so genannte weiße Substanz, die die Gehirnhälften miteinander verknüpft, das corpus callosum. Darüber hinaus untersuche ich mittels Elektroenzephalografie (EEG), wie effizient die beiden Hirnhemisphären zusammenarbeiten, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Dabei werden  Hirnströme über eine Kappe auf dem Kopf gemessen. Man weiß bereits, dass die weiße Substanz im Alter abnimmt, dass die Axone nicht mehr so dick sind, und man vermutet, dass genau diese Reduktion dafür sorgt, dass bihemisphärische Prozesse nicht mehr so effizient ablaufen. Jetzt möchte ich untersuchen, ob körperliches Training Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und die Wechselwirkung beider Hirnhälften hat.

Zu Beginn Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn haben Sie sich mit der Mensch-Roboter-Interaktion und Exoskeletten beschäftigt. Was hat das mit Ihrem jetzigen neurowissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt zu tun?

Mit dem Forschungsgebiet Mensch-Roboter-Interaktion habe ich an der Uni Brüssel angefangen und dazu meine Doktorarbeit geschrieben. Generell beschäftigt sich das Fachgebiet mit der Dynamik zwischen Mensch und Roboter und wie man diese verbessern kann. Mein Interessensschwerpunkt lag auf der Gangunterstützung für Querschnittsgelähmte. Dieser Zusammenhang rührt aus meinem Physiotherapiestudium. Exoskelette sind im Prinzip Roboter, die man anziehen kann und die das menschliche Skelett ersetzen und unterstützen können, zum Beispiel mit denen Querschnittsgelähmte oder Schlaganfallpatienten wieder laufen lernen können. Exoskelette werden aber auch als Hilfsmittel eingesetzt, etwa damit Soldaten beim Tragen ihrer schweren Ausrüstung unterstützt werden. Der rote Faden, der sich bis in das heutige AgeGain-Projekt durchzieht, ist die Methode des EEG im Zusammenhang mit Bewegung.

In Ihrem Dissertationsprojekt haben Sie etwas versucht, das sich ein bisschen nach Science Fiction anhört…

Die Idee war, dass das Gehirn des querschnittsgelähmten Patienten mit dem Gangroboter kommuniziert, damit das Exoskelett dann genau so geht, wie es der Patient gerne möchte. Dafür muss man aber wiederum wissen, was im Gehirn überhaupt passiert, wenn man geht. Wie kann man die Hirnströme nutzen, um das Exoskelett anzusteuern?

Das klingt unheimlich… Funktioniert es denn?

(Lacht) Ja und nein, beziehungsweise noch nicht, würde ich sagen. Das große Problem besteht darin, etwas sauber zu messen, wenn man geht. Das ist grundsätzlich bei allen bildgebenden Verfahren schwierig, weil es sehr viele Bewegungsartefakte gibt, also Nebenprodukte, die nichts mit den Gehirnströmen zu tun haben. Ich konnte zwar ermitteln, wie die Gehirnströme beim Gehen aussehen und welche Gehirnregionen arbeiten, aber das jetzt live mit einem Roboter zu verknüpfen, das ist nochmal eine andere Nummer. Bei Armbewegungen hat man das schon mal geschafft: Eine querschnittsgelähmte Frau konnte mittels ihrer Gehirnaktivität einen Roboterarm ansteuern, der ihr beim Trinken half. Exoskelette interessieren mich nach wie vor, auch wenn ich in der aktuellen Forschung gerade nicht dazu komme, aber ich halte mich auf dem Laufenden, was neue Erkenntnisse betrifft.

Welche Pläne haben Sie für Ihre weitere wissenschaftliche Zukunft?

Ich habe mittlerweile viel Erfahrung gesammelt  in  dem Forschungsgebiet ‚Neurowissenschaft und Bewegung‘. Das ist mein Schwerpunkt, von dem ich ungerne weg möchte, gerade auch deshalb, weil es eine große Herausforderung ist, hier Methoden weiterzuentwickeln. Gehirnaktivität in Bewegung zu erfassen und klare Datensätze herauszufinden, ist eben noch sehr schwierig.

Interview: Julia Neuburg

Am Projekt AgeGain sind neben dem Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln auch die Universitätsklinik Köln, die Universitätsmedizin Mainz und die Universitätsmedizin Rostock beteiligt. Das Projekt wird für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund einer Million Euro gefördert.