Nr. 3/2018

Rückwärts laufen, vorwärts Denken

Jonna Löffler hat sich in ihrem Dissertationsprojekt mit der Frage befasst, wie sich das Vorwärts- und Rückwärtsgehen auf das Denken auswirken. Die Doktorandin des Psychologischen Instituts gelangt dabei zu überraschenden Erkenntnissen.

Der Begriff „Timing“ ist fest etabliert im Sportalltag, TrainerInnen verwenden ihn während der Übungseinheiten ebenso wie Athletinnen und Athleten, aber auch Zuschauer und Reporter nutzen den Anglizismus, um ihre Beobachtungen zu beschreiben. In Wahrheit fehlen diesem Wort aber ein paar zentrale Aspekte, denn beim richtigen oder falschen „Timing“ geht es im Sport längst nicht nur um Zeit. Entscheidend für ein gutes „Timing“ ist ein passendes Zusammenspiel von Bewegung, Raum und Zeit. Nicht zu vergessen, die Rolle der kognitiven Verarbeitungsmechanismen, die einerseits die Bewegungen in Raum und Zeit beeinflussen und andererseits selbst von der Bewegung beeinflusst werden. „Embodied Cognition“ lautet der Fachbegriff für diese Annahme eines  „verkörperlichten Denkens“. Embodied Cognition hat in den vergangenen Jahren zu vielen neuen Forschungsansätzen in unterschiedlichsten Gebieten, wie zum Beispiel der Psychologie oder Robotik geführt, erzählt Jonna Löffler vom Institut für Sportspychologie.

Aus der „Embodied Cognition“-Perspektive sind sensomotorische Prozesse essentiell für die Entwicklung kognitiver Repräsentationen. Vor diesem Hintergrund ist Jonna Löffler in ihrem Dissertationsprojekt mit dem Titel „With the past behind and the future ahead – How forward and backward movement impact temporal and spatial representations“ der Frage nachgegangen, wie Bewegung das zeitliche Denken verändert. „Die Idee war, aus einer sportpsychologischen Perspektive zu untersuchen, ob reale Bewegungen auch abstrakte Konzepte beeinflussen“, sagt Jonna Löffler. In unterschiedlichen Studien hat sie untersucht, inwiefern sich das Vorwärtsgehen und das Rückwärtsgehen auf kognitive Prozesse auswirken, die mit Zeit in Verbindung stehen.

Im Englischen bedeutet der zweideutige Ausspruch „A meeting has been moved forward“, dass eine Sitzung verschoben wurde, ohne Hinweis darauf, ob nach vorne oder nach hinten. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Leute, die sich geistig rückwärts bewegen, die beispielsweise rückwärts zählen, den englischen Satz eher als Verlegung auf einen früheren Zeitpunkt begreifen. Passend dazu gehen Probanden, die vorwärts zählen, von einer Verlegung in die Zukunft aus. Nun ist Jonna Löffler in einem Experiment der Vermutung nachgegangen, dass sich ähnliche Unterschiede zeigen, wenn Leute sich real entweder nach vorne oder nach hinten bewegen. Diese in der „Embodied-Cognition“-Forschung zuvor weit verbreitete Hypothese konnte sie überraschenderweise widerlegen.

In einem zweiten Experiment wurden Probanden spezifische Assoziationen vermittelt: Der Begriff „Banane“ wurde beispielsweise mit Zukunft verbunden, der Begriff „Apfel“ mit Vergangenheit. „Dann sind die Probanden auf ein Laufband gegangen, das entweder vorwärts oder rückwärts lief oder stand“, berichtet Jonna Löffler. Probanden, die rückwärts liefen, haben auf die mit der Vergangenheit verbundenen Begriffe schneller reagiert, als auf die mit der Zukunft verbundenen Begriffe. Bei den Probanden, die vorwärts gingen, war hingegen kein Unterschied nachweisbar. Daraus ergeben sich erstaunliche Annahmen für den Alltag: Wenn man beispielsweise rückwärts mit dem Zug fährt, ist man wahrscheinlich nicht so gut darin, über  Zukunftspläne nachzudenken.

Um solche Erkenntnisse nun ganz konkret im Sport nutzbar zu machen, werden Jonna Löffler und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nun in einem Anschlussprojekt den umgekehrten Weg gehen und  untersuchen, wie räumliche und zeitliche Konzepte Bewegung beeinflussen. Während eines Forschungsaufenthaltes in Kanada hat sie bereits ein erstes Experiment durchgeführt, in dem ProbandInnen über eine Virtual-Reality-Brille den Eindruck vermittelt bekamen, pro Schritt eine viel größere oder kleinere Strecke zurückzulegen, als sie real zurückgelegt hatten. Erste Ergebnisse zeigen, dass man später, wenn man einzelne Bewegungskomponenten der ProbandInnen analysiert, anhand der Bewegungen voraussagen kann, welche Geschwindigkeit sie in Virtual Reality ‚vorgegaukelt’ bekamen. „Hier ging es darum herauszufinden, wie räumliche Wahrnehmung Bewegungen beeinflusst“, sagt Löffler, die solche Überlegungen für relevant hält, wenn etwa neue Trainingsmethoden in Virtual-Reality-Umgebungen entwickelt werden. Denkbar sind zum Beispiel Übungstools für TennisspielerInnen, die den Ball zur richtigen Zeit am richtigen Ort treffen wollen oder für TorhüterInnen in Spielsportarten.

Zunächst werden die Forschungsergebnisse aber auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) vom 10. bis zum 12. Mai 2018 an der Deutschen Sporthochschule Köln vorgestellt und diskutiert werden.  Und Jonna Löffler stellt sich schon eine ganz neue Frage:  Wie entwickeln sich Repräsentationen von Raum und Zeit über längere Zeitspannen? „Da wir annehmen, dass der Körper einen Einfluss auf die Bildung von Konzepten hat, wäre es spannend, die Zeiträume zu betrachten, in denen der Körper sich am stärksten verändert: in der Jugend und im Alter.“

Text: Daniel Theweleit