Nr. 5/2020

Sicher Schwimmen – ein neuer Fertigkeitstest für Schulkinder

Erst Seepferdchen, dann Bronze, Silber und am Ende Gold. Das sind die Qualifikationsstufen des deutschen Schwimmabzeichens. Aber wann kann ein Kind sicher schwimmen? Wenn es Brust schwimmt, mit Kopf über Wasser! So die landläufige Meinung. Wenn es die Disziplinen des Schwimmabzeichens in Bronze (Freischwimmer) erfüllt, sagt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG). Laut einer Studie der DLRG von 2019 schaffen nur noch 40 Prozent aller Kinder das Bronze-Schwimmabzeichen bis zum Ende der vierten Klasse. In den 1980er-Jahren waren es noch mehr als 90 Prozent. Die Beurteilung, wann ein Kind die Voraussetzungen für ein sicheres Schwimmen erfüllt, ist nicht immer einfach. Wissenschaftler*innen der Deutschen Sporthochschule haben deshalb einen Test entwickelt, der Eltern, Lehrer*innen und Trainer*innen dabei unterstützen soll, die Schwimmfähigkeit von Kindern zuverlässiger einschätzen zu können. Die Ergebnisse der Studie von Jun.-Prof. Dr. Tobias Vogt und Ilka Staub vom Institut für Vermittlungskompetenz in den Sportarten wurden im Journal of Physical Education and Sport veröffentlicht.

Die Gründe dafür, dass immer weniger Kinder sicher schwimmen können, sind vielfältig. Geschlossene Bäder, zu seltener Schwimmunterricht und fehlende Wassergewöhnung können dazu beitragen, dass sich viele Kinder zwar über Wasser halten können, aber nicht sicher schwimmen und ihnen damit der Bewegungsraum Wasser mit seinen vielfältigen Möglichkeiten verschlossen bleibt. Wichtiger als eine korrekte Schwimmtechnik sind dabei die sogenannten schwimmerischen Grundfertigkeiten. Sie sind der Schwerpunkt des neu entwickelten Tests der Forscher*innen der Sporthochschule.

Damit ein Kind sicher schwimmen lernt, sollte es im Idealfall eine umfassende schwimmerische Grundbildung von vier Stufen durchlaufen. Zunächst ist es wichtig, mit dem Element Wasser vertraut zu werden (1). Nach dieser Gewöhnungsphase werden die grundlegenden Grundfertigkeiten vermittelt (2). Dazu gehört zum Beispiel, dass Kinder lernen, vollständig mit dem Körper in das Wasser einzutauchen, dass sie während des Schwimmens auch gegen den Druck des Wassers rhythmisch und gleichmäßig atmen oder mit Hilfe des Wasserauftriebs in Bauch- und Rückenlage durch das Wasser gleiten können. Erst danach lernen sie elementare Formen der Fortbewegung (3) und anschließend die olympischen Schwimmtechniken wie Kraulen oder Brustschwimmen (4).

„Es ist durchaus möglich, eine Schwimmtechnik, ohne schwimmerische Grundfertigkeiten zu erlernen. Das schränkt aber vor allem die Sicherheit im Wasser ein“, sagt Projektkoordinatorin Ilka Staub. „Um Ertrinkungsunfällen vorzubeugen, ist ein möglichst breites Spektrum an verschiedenen motorischen und kognitiven Fähigkeiten im Wasser wichtig. Können sich Kinder erstmal im Wasser fortbewegen, kann man ihre Leistung unterschiedlich quantifizieren. Zum Beispiel, indem man die Zeit oder die zurückgelegte Strecke misst“, so die 35-jährige Wissenschaftlerin. Um aber – einen Schritt vorher – bereits die grundlegenden Fähigkeiten richtig einschätzen zu können, braucht es viel Erfahrung. „Die Einschätzung, ob ein Kind sich ganz grundlegend sicher im Wasser bewegen kann, beruht oft auf der Erfahrung der Lehrer*innen oder Trainer*innen – wenn nicht gar auf ihrem Bauchgefühl“, so Ilka Staub. Der neu entwickelte Test soll ein einfach anzuwendendes Beurteilungsinstrument liefern, das in der Praxis – vor allem im Schwimmunterricht – dabei unterstützt, die schwimmerischen Grundfertigkeiten der Kinder nicht aus dem Bauchgefühl heraus zu bewerten, sondern anhand fester Kriterien.

Der Test besteht aus 19 kindgerechten Aufgaben, die in ihrer Komplexität zunehmen und in fünf Kompetenzstufen untergliedert sind: (1) Eintauchen durch Anhalten des Atems, (2) Eintauchen mit angepasster Ausatmung, (3) Schweben mit einer zusätzlichen Fertigkeit, wie zum Beispiel untertauchen, (4) Schweben mit zwei zusätzlichen Fertigkeiten und (5) Springen ins Wasser. Jede der 19 Aufgaben kann einer oder mehreren Kompetenzstufen zugeordnet und mit Hilfe von vordefinierten Bewertungskriterien als bestanden oder nicht bestanden bewertet werden. Dass eine Einzelaufgabe gelingt, ist keine Voraussetzung dafür, dass ein Kind eine weitere Aufgabe durchführen kann. Je sicherer sich ein Kind im Wasser fortbewegt, desto mehr Aufgaben kann es ohne Einschränkungen erfüllen.

Um zu überprüfen, ob sich der Test für das Setting des Schwimmenlernens eignet, wurden Kinder im Vorschulalter (n=22; 6,95 ± 1,03 Jahre; männlich n=12, weiblich n=10) – alle Nichtschwimmer*innen – dabei gefilmt, wie sie die Testaufgaben im Schwimmzentrum der Sporthochschule durchführten. Um im Anschluss an die Testung eine möglichst aussagekräftigte Beurteilung zum Schwimmvermögen der Kinder zu ermöglichen, wurden die Nichtschwimmer*innen beim Durchlaufen der Tests aus zwei Perspektiven gefilmt. Einmal von vorne (über und unter der Wasseroberfläche) und einmal von der Seite. 

Die Schwimmfähigkeit der Kinder beurteilten anschließend 809 Trainer*innen, Lehrer*innen, Studierende und Eltern per Online-Befragung. Sie sollten sich die Videos der Kinder anschauen und ihre Fertigkeiten mit Hilfe von standardisierten Kriterien bewerten. „Wir haben diese Personengruppen für unsere Studie ausgesucht, weil sie alle einen direkten oder indirekten Einfluss darauf haben, wie ein Schwimmenlernen oder der Schwimmunterricht gestaltet werden und schließlich auch darauf, wie gut Kinder später schwimmen können. Bei der Rekrutierung jeder dieser Personengruppen haben wir das Niveau der Schwimmlehrausbildung und die Schwimmlehrerfahrung als wichtige Faktoren berücksichtigt“, erklärt Institutsleiter Jun.-Prof. Dr. Tobias Vogt. Der Hintergrund: Ob Laie oder Profi, der neue Test sollte so konzipiert sein, dass die spätere Beurteilung – ob eine Aufgabe bestanden oder nicht bestanden wurde – auch ohne fachspezifisches Hintergrundwissen möglich ist. Auf dieser Grundlage kann anschließend eine fachkompetente Vermittlung passgenau anknüpfen.

An der Befragung beteiligten sich Trainer*innen unterschiedlicher Erfahrungsstufen – vom Niveau des Anfänger*innen-Schwimmunterrichts bis hin zu Trainer*innen von Olympia-Athlet*innen. Die befragten Lehrer*innen unterrichteten aktuell oder in der Vergangenheit an deutschen Grundschulen Schwimmunterricht, die Lehramtstudierenden waren im Fach Sport eingeschrieben. Alle befragten Eltern begleiteten aktuell oder in der Vergangenheit mindestens eines ihrer Kinder beim Schwimmenlernen.

Mit ihrer Auswertung wollten die Wissenschaftler*innen den Test vor allem darauf überprüfen, ob sich Einigkeit in der Bewertung der Schwimmleistung innerhalb der verschiedenen Personengruppen zeigen. In der Forschung wird das als Interrater-Reliabilität bezeichnet. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es der Test auch Personen mit unterschiedlichen Ausbildungs- und Erfahrungshintergründen ermöglicht, die schwimmerischen Grundfertigkeiten unter Gleichaltrigen zuverlässig zu bewerten“, sagt Vogt.

Für die Praxis bedeutet das: Der neue Test ist ein einfach anzuwendendes Tool, das gerade im Schwimmunterricht dabei unterstützen kann, die Schwimmfähigkeit von Kindern umfänglich einzuschätzen. Der Test kann neben Trainer*innen und Lehrkräften auch Eltern einen Anhaltspunkt liefern, die Fähigkeiten ihrer Kinder zu beurteilen. Beurteilen sie die Schwimmfähigkeit ihrer Kinder frühzeitig richtig, unterstützt das die sichere Fortbewegung im Wasser nachhaltig und kann dazu führen, vermeidbare Ertrinkungsunfälle zu verhindern.

Die Studie wurde durch einen Zuschuss des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund (dsj; 0023V-7226-0009) sowie durch eine interne Forschungsförderung der Deutschen Sporthochschule Köln unterstützt.

Text: Lena Overbeck/Marilena Werth
Fotos: Michael Siegmund