Nr. 6/2018

Forschung in extremen Umgebungen

Dr. Vera Abeln (36) ist Wissenschaftlerin am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft. Die Forschung bringt sie regelmäßig in extreme Umgebungen. Auf der Forschungsstation Concordia, im tiefsten Packeis der Antarktis, bei Außentemperaturen von bis zu -86 Grad, hat die promovierte Sportwissenschaftlerin die Crew auf Experimente einer Isolationsstudie vorbereitet. Regelmäßig ist sie bei Parabelflügen mit an Bord, die Experimente in Schwerelosigkeit ermöglichen. Hinter allem verbirgt sich die Frage, welchen Effekt mangelnde oder vermehrte körperliche Betätigung auf das Gehirn und begleitende psychophysische Prozesse im menschlichen Körper hat.

Weite Reisen im Dienste der Wissenschaft sind für Sie keine Seltenheit. Sie waren in Australien, in Kanada, in Moskau und sogar in der Antarktis, auf der Forschungsstation Concordia. Alleine die Anreise war ein Abenteuer …

Ja, in der Tat. Die Abreise war eigentlich für vor Weihnachten geplant und wurde dann immer weiter nach hinten verschoben, weil vor der antarktischen Küste so viel Packeis war, dass die Boote immer wieder stecken geblieben sind. Nach langem hin und her bin ich dann am 7. Januar mit dem französischen Eisbrecher L´Astrolabe losgefahren. Die Schiffsreise war super aufregend, aber auch sehr mühsam. Der Dieselgeruch, den man die ganze Zeit in der Nase hatte und das permanente Schaukeln des Schiffes – das war unfassbar. Und dann, je näher man der Antarktis kommt, wird es auf einmal totenstill. Man sieht den ersten Eisberg und denkt, der ist aber klein, und dann ist neben einem und plötzlich so hoch wie ein Wolkenkratzer. Wir haben auch für mehre Tage im Eis festgesteckt und saßen dann an der Küste fest, weil der Hubschrauber aufgrund schlechter Wetterlage nicht fliegen konnte. Insgesamt hat es zwei Wochen gedauert, bis ich dann da war. Aber die Strapazen haben sich gelohnt.

Sie haben im Rahmen des Forschungsprojektes Brains on Ice die dreizehnköpfige Crew auf verschiedene Experimente vorbereitet. Was waren das für Experimente?

Das waren Experimente aus ganz Europa, die sich unter der ESA zusammengeschlossen haben. Es wurden Humanexperimente mit verschiedenen Blickwinkeln durchgeführt, unter anderem Immun-, Schlaf- und psychologische Experimente, die untersucht haben, wie sich die Isolation, also das Leben in diesen Extrembedingungen, auswirkt. Unser Fokus lag auf dem Einfluss von sportlicher Betätigung auf die Befindlichkeit, die kognitive Leistungsfähigkeit und die Gehirnaktivität. Die Ergebnisse sind auch für die Menschen auf der Erde von Bedeutung, die zunehmend unter Bewegungsmangel und psychischen Erkrankungen leiden.

Nach gut einem Monat vor Ort haben Sie die Forschungsstation wieder verlassen. Die Crew war zwischen neun und vierzehn Monaten im ewigen Eis, 950 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Wie hält man so etwas aus?

Die Crew, dreizehn Forscher aus Frankreich und Italien, hat sich viel einfallen lassen. Sie haben zum Beispiel regelmäßig Events in ihren Alltag eingebaut oder spezielle Themenabende durchgeführt, um sich bei Laune zu halten. Seit dem Sommer 2012 gibt es auf der Concordia eine ständige Internetverbindung, das macht vermutlich auch einiges leichter. Vorher stand nur ein Satellitentelefon für sehr begrenzte Zeit zur Verfügung. Ich glaube, das funktioniert nur, wenn man sich innerhalb der Crew gut versteht und sich regelmäßig im Fitnessraum bewegt und auspowert. Unsere Studien konnten zeigen, dass sich Sport positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, wohingegen Sportmuffel deutliche Verschlechterungen ihres Wohlbefindens zeigten.

Sie waren schon an dem  Projekt Mars500 beteiligt, dem bisher längsten Isolationsexperiment in der Geschichte der Menschheit. Auch dort ging es um die Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf das körperliche und psychische Wohlbefinden während einer Langzeitisolation. Was sind die Erkenntnisse?

Wir konnten sehen, dass es insgesamt chronisch eine Abnahme der Gehirnaktivität in der Isolation gegeben hat. Was vermutlich damit zusammenhängt, dass das Gehirn wenigen Anforderungen, wenigen Reizen ausgesetzt ist. Wir gehen also davon aus, dass die Abnahme zunächst ganz normal ist und sich das Gehirn den wenigen Anforderungen anpasst. Sport war akut in der Lage, die Gehirnaktivität wieder hoch zusetzen und die Befindlichkeit zu verbessern.

Weitere Experimente bringen Sie regelmäßig in die Schwerelosigkeit. Wie viele Parabelflüge haben Sie mittlerweile absolviert und sind Sie überhaupt noch angespannt?

Ich habe nicht mitgezählt, aber ich schätze so zwischen zwanzig bis dreißig. Aufgeregt bin ich immer noch. Jeder Flug ist anders. Und wenn man als Experimentator mit an Bord ist, dann verläuft auch das Experiment jedes Mal anders. Man weiß vorher nicht, wie die Probanden reagieren, ob technisch alles funktioniert und wie die eigene Tagesform ist – mal verträgt man die Parabeln besser und mal schlechter. Ein Kribbeln ist immer dabei.

Aktuell bereiten Sie die Ausschreibung für zwei Projekte im Rahmen der HERA-Mission der NASA vor. Worum geht es da?

Es findet erneut eine Isolationsstudie in Moskau statt, dieses Mal über vier Monate, bei der wir dabei sind. Hier wollen wir unsere Studie, die wir im Rahmen von Mars500 gemacht haben, auf die nächste Stufe bringen. Wir möchten zwei verschiedene Trainingsprotokolle miteinander vergleichen und schauen, welches sich besser eignet um jemanden körperlich, aber vor allem auch mental und kognitiv fit zu halten. Das andere Projekt ist eine Bettruhestudie hier in Köln beim DLR im envihab  bei der wir schauen möchten, wie sich Bettruhe, analog zur Weltraumfahrt, auf verschiedene psychophysische Paramater auswirkt. Als Besonderheit haben wir dieses Mal nicht Sport als Countermeasure sondern künstliche Gravitation. Eine Probandengruppe wird täglich auf einer Kurzarmzentrifuge fahren. Wir möchten herausfinden, ob sich künstliche Gravitation im All eignen würde, um die Degenerationsprozesse, die ohne Gravitation stattfinden, positiv zu beeinflussen. Uns geht es weniger um die körperlichen Aspekte, also den Erhalt der Muskulatur und die Stabilisierung des Herz-Kreislauf-System,  sondern vielmehr darum, ob es überhaupt verträglich ist und wie sich die künstliche Gravitation mental und kognitiv auswirkt. Oftmals erleben die Probanden einen Schwindel und fühlen sich ´dissy´ und dann stellt sich die berechtigte Frage, ob das wirklich Sinn macht.

Sie sind vor zehn Monaten zum zweiten Mal Mutter geworden. Wie bekommen Sie Familie und Beruf unter einen Hut?

Seit meine beiden Kinder da sind reise ich tatsächlich nicht mehr so viel. Aber ich denke, dass es nach einer gewissen Zeit auch wieder mehr möglich ist. Natürlich ist es total spannend, wenn man die Möglichkeit erhält, sich von solchen extremen Settings und den Probanden live vor Ort ein Bild machen zu können. Ich glaube aber auch, dass es für die Einschätzung der Forschungsergebnisse von Vorteil ist und man diese besser bewerten kann.

Wohin verreisen Sie mit Ihrer Familie?

Wir fahren im Sommer wieder nach Frankreich. Ich weiß nicht, ob die Liebe für das Land bei den Parabelflügen gelegt wurde, die von Bordeaux aus starten (lacht).

Interview: Lena Overbeck