Nr. 6/2019

Sportverein, Motor der Integration?

Wohl alle Menschen in Deutschland erinnern sich an den Herbst 2015, als rund eine Million Flüchtende ins Land kamen. Auf allen Ebenen der Gesellschaft wurde diskutiert, zunächst über die Unterbringung so vieler Frauen, Männer und Kinder. Im Jahr 2016 gingen 745.545 Asylanträge bei den Behörden ein. Mit einer Anerkennungsquote von 50 Prozent standen und stehen Regierung, Kommunen, aber vor allem die Zivilgesellschaft vor einer großen Aufgabe: All diese Menschen müssen integriert werden, das heißt, einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Den Sportvereinen (kam und) kommt dabei eine besondere Rolle zu. Eine Studie des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement hat untersucht, worauf es bei der Integration von Geflüchteten in Sportvereinen ankommt.

In den ersten Monaten stellten die Sportvereine ihre Einrichtungen als Notunterkünfte zur Verfügung. Doch im nächsten Schritt sollten sie als Motor für die Eingliederung der Geflüchteten dienen. Der Gedanke ist einfach: Wer sich einem Sportverein anschließt, erlebt Gemeinschaftsgefühl und Chancengleichheit, lernt die Sprache und die Gepflogenheiten des Landes, kann Selbstvertrauen aufbauen – und nicht zuletzt die Sorgen des Alltags vergessen. Gerade für traumatisierte Menschen sind das wichtige Erfahrungen. Dies ist jedenfalls die Überzeugung vieler Regierungen weltweit, die versuchen, Sportvereine zu Inklusionsbemühungen zu bewegen.

Im Rahmen des Sportentwicklungsberichts unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Breuer vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement untersuchte er zusammen mit Tobias Nowy und Svenja Feiler, ausgehend von den im Jahr 2015 erhobenen Daten, das Engagement der Sportvereine für Geflüchtete in Deutschland.

Die Fragestellung lautete: Welche organisatorischen und externen Faktoren bringen Sportvereine dazu, sich für die Integration von Geflüchteten zu engagieren? Zwei Komponenten sah das Team hierbei als zentral an:

  1. Die institutionellen Logiken (idealtypische Werte, Ziele, Normen, Einstellungen und Handlungsempfehlungen im Organisationsalltag, z.B. besonderer Fokus auf (leistungs-) sportliche, gesellige und/oder integrative Ziele).
  2. Die organisatorische Kapazität (die Fähigkeit, finanzielle, personelle und strukturelle Ressourcen zur Erreichung der Organisationsziele zu nutzen).

Dabei wurde die Integration von Geflüchteten in das soziale System der Sportvereine in drei Phasen betrachtet: der Anfangs-, Umsetzungs- und Konsolidierungsphase.

Die Daten einer repräsentativen Stichprobe von n = 5.170 Sportvereinen in Deutschland, erhoben im Rahmen der Online-Umfrage der sechsten Welle des Sportentwicklungsberichts, zeigten folgende Ergebnisse: 28% der Sportvereine in Deutschland sahen sich an der Integration von Flüchtlingen beteiligt. Allerdings hatten nur 14% konkrete Maßnahmen ergriffen, wie z.B. sportliche Angebote, spezielle Mannschaften für Geflüchtete, reduzierte Mitgliedsbeiträge oder Kooperationen mit anderen Sportorganisationen (z.B. Fachverbänden oder Landes- bzw. Kreisportbünden) oder der Stadt bzw. Gemeinde oder Kommune. Es scheint, dass die Integrationsbemühungen der Sportvereine in Deutschland (zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Herbst 2015) vergleichsweise unspezifisch waren und sich vor allem in der Anfangsphase befanden. Der Übergang in die spezifischere Umsetzungsphase war noch nicht abgeschlossen.

Die Regressionsmodelle zeigen, dass verschiedene organisationale Kapazitäten und institutionelle Logiken einen Einfluss auf das Engagement der Vereine im Bereich der Integration von Flüchtlingen haben. So ist das Engagement für Flüchtlinge u.a. in Vereinen besonders groß ausgeprägt, die nach Selbstaussage vor allem integrativ ausgerichtet sind. Zudem sind sowohl strukturelle Kapazitäten der Vereine, wie z.B. eine langfristige Planung, aber auch personelle Kapazitäten, insbesondere durch ein hohes freiwilliges Engagement, für den Integrationsprozess entscheidend. Das bedeutet, je mehr freiwillige Arbeitszeit durch die Ehrenamtlichen in den Vereinen investiert wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Engagements des Vereins für Flüchtlinge. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit eines Engagements für Flüchtlinge in kleineren Vereinen mit bis zu 100 Mitgliedern höher als in Vereinen mit mehr als 100 Mitgliedern und Vereine, die Migranten unter den Mitgliedern haben, engagieren sich tendenziell auch eher für Flüchtlinge als Vereine ohne Mitglieder mit Migrationshintergrund.

Darüber hinaus zeigten sich Effekte bei den angebotenen Sportarten: Vereine, die Fußball anbieten, engagieren sich eher für die Integration von Flüchtlingen als Sportvereine ohne Fußballangebot. In Fußballvereinen scheint die Eintrittshürde demnach besonders gering zu sein. Auch gibt es geografische Unterschiede: Das Engagement der Sportvereine für Flüchtlinge fällt in den neuen Bundesländern geringer aus als in den alten. Letztlich zeigt sich, dass finanzielle Ressourcen, insbesondere im Vergleich zu personellen Ressourcen, nur eine untergeordnete Rolle im Rahmen der Integrationsbemühungen der Vereine spielen. Zwar können Vereine, die höhere Zuschüsse erhalten, eher Reduktionen des Mitgliedsbeitrags für Flüchtlinge gewähren, allerdings ist der Effekt kleiner als bei einem höheren Einsatz freiwilliger Arbeitszeit. Integration kann also eher durch mehr ehrenamtliche Arbeit als durch mehr Geld vorangetrieben werden. Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung der ehrenamtlich Engagierten in den Sportvereinen in Deutschland. Im Rahmen der integrativen Bemühungen um Flüchtlinge erscheint es besonders notwendig, dass Sportvereine den Spagat zwischen professionellem Vereinsmanagement und intensiver Freiwilligenarbeit sorgfältig meistern.

Mit Hilfe moderner statistischer Modelle trägt die Studie zur evidenzbasierten Sportpolitik bei und unterstreicht, wie bedeutsam es ist, die institutionellen Logiken und Ressourcen von Sportvereinen zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass ein Sportverein nicht dem anderen gleicht, sondern dass es durchaus Unterschiede in der Ausrichtung der Vereine gibt, die auch in der öffentlichen Bezuschussung berücksichtigt werden könnten. Die Erkenntnis, dass das Engagement im Integrationsprozess von Flüchtlingen eher durch einen größeren zeitlichen Einsatz von ehrenamtlich Engagierten als durch mehr Geld realisiert wurde, hat wichtige Auswirkungen auf die beteiligten Akteure. So sollte der ehrenamtlichen Arbeit mehr Anerkennung gezollt werden, beispielsweise durch höhere steuerliche Vergünstigungen und Bürokratieabbau.

Text: Anna Papathanasiou