Nr. 6/2019

Ein Pionier des Frauenfußballs und der Fußball-Forschung

Im kommenden Jahr ist Dr. Hans-Jürgen Tritschoks 33 Jahre an der Sporthochschule. Er hat Deutschlands einzige reine Sportuniversität kennengelernt, als Fußball auf dem SpoHo-Gelände noch auf Asche gespielt wurde und die Studierenden beim Mittagessen in der Mensa an den Tischen bedient wurden. Als Spieler des 1. FC Köln hat er abenteuerliche Trainingsmethoden miterlebt und als Wissenschaftler an der Sporthochschule daran mitgewirkt, das damalige Fußball-Training aus sportwissenschaftlicher und medizinischer Perspektive positiv zu verändern. Wir haben mit Dr. Hans-Jürgen Tritschoks über seine Forschungsarbeit an der Sporthochschule, seine Beziehung zum Frauenfußball und darüber, wieso beides eng miteinander in Verbindung steht, gesprochen.

Herr Tritschoks, Sie unterrichten an der Sporthochschule vor allem im Bereich Fußball. Stimmt es, dass sie eigentlich Arzt sind?

Ja, ich bin Mediziner. Ich habe aber keine Facharztausbildung gemacht. Ich habe zuerst Diplom-Sport und nach dem Studium an der SpoHo auch noch Medizin studiert. Währenddessen habe ich die ganze Zeit an der Sporthochschule gearbeitet. Zuerst als studentische, dann als wissenschaftliche Hilfskraft. Schon während des Studiums habe ich am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin angefangen, Leistungssportler zu untersuchen. Insgesamt habe ich über 20 Jahre lang in der Routine mitgearbeitet. Irgendwann war das zeitlich aber nicht mehr stemmbar, und dann habe ich aufgehört.

In welchem Bereich haben Sie damals geforscht?

Bei meiner damaligen Stelle am Institut habe ich an leistungsdiagnostischen Untersuchungen im Fußball-Männerbereich mitgewirkt. Zum Beispiel waren wir in Mönchengladbach, haben den VfB Stuttgart besucht und auch mit dem 1. FC Köln zusammengearbeitet. Und dann sagte mein damaliger Kollege, ich sollte mich doch auch um die Frauen-Ausbildung kümmern. Meine ersten eigenen sportmedizinischen Untersuchungen habe ich dann mit Grün-Weiß Brauweiler gemacht, weil ich den Trainer dort kannte.

Was genau haben Sie im Frauen-Fußball untersucht?

Wir haben angefangen, das Anforderungsprofil im Frauen-Fußball zu analysieren, um daraus Konsequenzen für das Training zu ziehen. Im Zuge dessen haben wir zum Beispiel verschiedene Spielformen untersucht und uns die Frage gestellt, wie intensiv diese sind. Wir haben die Belastung auf das Herz-Kreislauf-System und auf den Stoffwechsel analysiert. Wir haben damals festgestellt, dass die Herzfrequenz bei Spielformen ein schlechter Steuerungsparameter ist. Eine lohnende Pause bei Puls 120 zu verbringen, ist vielleicht bei dauerhaften Belastungen sinnvoll, aber bei Intervall-Belastungen wie im Fußball ist das sehr schwierig. Damals hat man Spielformen durchgeführt, wo man heute sagen würde: Das geht überhaupt nicht mehr. Zum Beispiel haben wir noch Schnelligkeitstraining gemacht, indem wir 60-Meter-, 70-Meter- und 80-Meter-Sprints durchgeführt haben. Mit unserer Forschungsarbeit hatten wir die Intention, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Wir wollten nicht nur wissenschaftlich arbeiten und diese Ergebnisse an die Praxis geben, sondern genau analysieren, welche Fragen in der Praxis relevant sind und wie wir da sportmedizinisch weiterhelfen können, um den Trainer zu unterstützen.                        

Aber das blieb nicht der einzige Kontakt in den Frauenfußball, richtig?

Stimmt! Im April 1996, als ich gerade mit einer Studentengruppe auf Mallorca bei einer lehrgangspädagogischen Sportfreizeit war, bekam ich einen Anruf aus Brauweiler. Ich saß da gerade mit einem Kollegen zusammen und habe im Kicker die damals noch zweigeteilte Frauen-Bundesliga angeschaut, wo Brauweiler Tabellenführer war. Brauweiler fragte per Telefon an, ob ich mir vorstellen könnte, die Mannschaft zu trainieren. Ich habe daraufhin mit meinem damaligen Chef gesprochen, und wir haben zusammen festgelegt, dass das eine gute Gelegenheit ist, unsere Forschungsergebnisse –  was Belastungsstrukturen angeht und was Training angeht – in die Sportpraxis zu überführen. Keine drei Wochen später war ich plötzlich Trainer einer Frauen-Bundesliga-Mannschaft. Ich hatte vorher nicht mit Frauen gearbeitet. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung.

War es eine gute Erfahrung?

Ich habe das jetzt insgesamt rund zwölf Jahre gemacht, und ich muss sagen, ich habe nicht einen Tag bereut. Auch nicht, nicht im Männerbereich gewesen zu sein. Zu meiner damaligen Zeit, 1996, waren die Olympischen Spiele in den USA und da war Frauenfußball zum ersten Mal olympisch. Wir waren die erste Sportart, die mit dreimal Training in der Woche zu den Olympischen Spielen gefahren ist. Das hat es vorher noch nie gegeben. Die anderen Sportler haben alle vier-, fünfmal oder mehr in der Woche trainiert. Wir sind mit dreimal in der Woche hingefahren und waren dementsprechend auch nicht gerade erfolgreich. In Brauweiler waren wir dann mit die Ersten, die statt dreimal viermal in der Woche trainiert haben. In dem ersten Jahr unter meiner Tätigkeit sind wir Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger geworden und haben den Super-Cup geholt: das Triple also. Für so einen kleinen Verein war das hervorragend.

Und wie ist es danach weitergegangen?

Danach waren wir nicht mehr erfolgreich, weil viele Spielerinnen in die USA gegangen sind. Zu dieser Zeit kam die Profi-Liga in den USA. Ich wollte als Trainer nicht nur Bundesliga spielen, um zu sehen, was dabei rauskommt. Und deshalb habe ich in Brauweiler aufgehört. Zu diesem Zeitpunkt waren für mich nur noch zwei Vereine in Deutschland interessant: der 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam. Das waren damals die dominierenden Vereine der Liga. Irgendwann hat meine Frau gesagt, dass ein Dietrich aus Frankfurt angerufen hätte. Wir haben daraufhin ein interessantes Gespräch geführt, und er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Trainer in Frankfurt zu werden. Ich kannte einige Spielerinnen aus Frankfurt, weil ich zu dieser Zeit die Frauen-Nationalmannschaft leistungsdiagnostisch betreut habe. Zum Beispiel Steffi Jones, Birgit Prinz oder Nia Künzer. Dadurch war der Kontakt nach Frankfurt gegeben, und ich habe zugesagt. Ich habe in der Zeit weiter an der Sporthochschule gearbeitet. Vormittags habe ich in Köln unterrichtet und bin am späten Nachmittag nach Frankfurt gefahren.

Embed from Getty Images
Embed from Getty Images

 

Konnten Sie auch in Frankfurt Ihre Erkenntnisse aus der Forschung umsetzen?

Ja. Wir haben zum Beispiel ein anderes Schnelligkeitstraining und ein propriozeptives Training gemacht. Vorher hatte die Mannschaft oft Probleme mit Verletzungen wie Kreuzbandrissen. Während meiner Zeit hatten wir nicht eine Kreuzbandverletzung und kaum eine Muskelverletzung. Ich führe das darauf zurück, dass wir präventives Training gemacht haben und dafür Erkenntnisse aus der Wissenschaft genutzt haben. Viele dieser Erkenntnisse haben wir dann auch an die Nationalmannschaft weitergegeben. Das hat den Trainingsprozess ziemlich verändert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zu meiner Zeit als Spieler beim 1. FC Köln wurde noch Schnelligkeits-Ausdauertraining gemacht. Das heißt, wir standen paarweise an einem Torpfosten, mussten bis zum gegenüberliegenden Torpfosten sprinten, abschlagen, zurücksprinten und das Ganze fünfmal hintereinander. Durch unsere sportwissenschaftlichen Analysen haben wir herausgefunden, dass das gar nicht die Schnelligkeits-Aktionen sind, die im Spiel auftreten. Mittlerweile wissen wir, dass Schnelligkeits-Aktionen zu 80 Prozent nur über 15 bis maximal 20 Meter andauern. Es gibt zwar auch längere Sprints, aber das ist sehr positionsspezifisch. In Frankfurt haben wir versucht, diese Erkenntnisse auf die Spielpositionen umzusetzen. Das heißt, wir haben in der Diagnostik einen Sprinttest gemacht und haben geguckt, welche Werte welche Spielerinnen erzielen. Die Außenbahnspielerinnen zum Beispiel müssen nicht unbedingt auf kurzer Strecke schnell sein, sondern eher über 30 Meter. Diese Erkenntnisse haben wir versucht, in ein differenziertes Schnelligkeitstraining umzusetzen. Außerdem haben wir unsere Erkenntnisse, was das Ausdauertraining und das Regenerationstraining angeht, in die Praxis überführt. Wenn wir sonntags ein Spiel hatten, dann war montags Regenerationstraining. Wir sind sehr gut damit gefahren. Wir wurden mehrmals Deutscher Meister, zweimal Champions League Sieger und Hallenpokalsieger.

Embed from Getty Images

 

Haben Sie eine Erinnerung aus dieser Zeit, die Sie besonders berührt hat?

Ich werde nie vergessen, als wir damals in meinem letzten Champions League Spiel in Frankfurt vor 28.000 Zuschauern gegen Umeå gespielt haben. Die Top-Spielerin bei Umeå war Marta. Die haben wir ausgeschaltet, weil unsere Spielerinnen so heiß waren zu gewinnen. Dass wir das tatsächlich geschafft haben, war wirklich überragend. Ich bin auf die Knie gefallen und habe die Hände in die Luft gerissen. Das war so ein emotionaler Moment, und es fällt so eine große Last von dir ab. Dann macht man auch mal sowas. Als wir 2008 dann das Triple geholt haben, also Deutscher Meister, Pokalsieger und Champions League Sieger wurden, war das für mich das Zeichen, aufzuhören.

Embed from Getty Images
Embed from Getty Images

 

Und wieder komplett an die Sporthochschule zurückzukehren?

Als ich 2008 aufgehört habe, dachte ich, ich atme erstmal durch. Und dann sagte meine Frau, dass da ein Frank Wormuth vom DFB angerufen hat. Wormuth war damals Leiter der Fußballlehrerausbildung des DFB und war auf der Suche nach einem Dozenten, der aus der Sportmedizin und aus der Praxis kommt. Da war ich für ihn die ideale Besetzung, und er fragte mich, ob ich nicht dort unterrichten möchte. Zusätzlich zu der Lehre, die ich an der Sporthochschule mache, bin ich seitdem als einer von drei SpoHo-Wissenschaftlern bis heute in die Fußballlehrerausbildung eingebunden.

Im Jahr 2021 werden Sie in den Ruhestand gehen. Dann hätten Sie wieder mehr Zeit für eine Trainertätigkeit. Würde Sie das nochmal reizen?

Nein. Wenn man jahrelang so sehr unter Strom steht, dann genießt man es einfach, ein bisschen Ruhe zu haben. Meine Frau hat mir jetzt über zwölf Jahre lang den Rücken freigehalten. Zusammen mit unseren zwei Hunden wollen wir jetzt die Zeit nutzen, um die Dinge zu machen, zu denen in den letzten Jahren keine Zeit war. Als erstes möchte ich an den Gardasee fahren und längere Zeit dortbleiben. Da war ich auch schon mal mit meiner Mannschaft, und es hat mir gut gefallen. Und ich will nach Sylt. Alles Weitere wird sich ergeben. Langeweile werde ich keine haben.

Herr Tritschoks, vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt

Seit dem 01.09.2021 ist Hans-Jürgen Tritschoks im Ruhestand