Nr. 9/2017

Gewalt gegen Einsatzkräfte

Ersthelfer wollen helfen. Das ist ihr Job. Soweit die Theorie ... in der Praxis sieht es häufig ganz anders aus. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg von Gewalthandlungen gegen Rettungskräfte. Im Schnitt werden  9 von 10 Ersthelfern verbal angegriffen, 60% sogar körperlich. Die Übergriffe werden von den Patienten selbst ausgeübt, von Angehörigen oder von Dritten. Studien lassen davon ausgehen, dass die Viktimisierung zukünftig eher zu- als abnimmt.

Um Rettungskräfte auf Übergriffe besser vorzubereiten, hat das Institut für Pädagogik und Philosophie ein neues Forschungsprojekt initiiert. „Wir konnten im Rahmen unserer Studie feststellen, dass den meisten Übergriffen eine längere Interaktion vorausgegangen ist. Das ermöglicht unterschiedliche Ansatzpunkte“, erklärt Projektleiter Dr. Dr. Mario Staller. „Natürlich macht es Sinn, die Rettungskräfte in Selbstverteidigung zu schulen, aber das ist nur das Ende. Wir möchten an den Anfang gehen und schauen, was kommunikativ oder durch taktisches Verhalten geleistet werden kann, damit es gar nicht erst zu Gewalthandlungen kommt“, so Univ.-Prof. Dr. Swen Körner, der das Projekt zusammen mit Mario Staller leitet.

Da die polizeiliche Kriminalstatistik nicht den Tathergang dokumentiert, sondern lediglich `Gewalt hat stattgefunden oder nicht`, haben die Wissenschaftler Interviews mit viktimisierten Einsatzkräften geführt. Außerdem wurde ein Einsatztagebuch entwickelt, in dem die Helfer derartige Vorkommnisse erfassen können. „In Bezug auf die Erklärung, wie solche Mechanismen funktionieren, wie wir Intervention gestalten können, sind die Ergebnisse von großem Wert“, sagt Mario Staller. Die Erkenntnisse fließen nun in Trainerbildungsmaßnahmen, die es bislang so noch nicht gibt. „Das Thema Gewaltprävention im Rettungsdienst wurde bislang eher stiefmütterlich behandelt. Es gibt keine regelmäßigen Schulungen für den Endanwender“, so Körner. Das soll sich jetzt ändern. In Rheinland-Pfalz sind bereits die ersten Gewaltpräventionstrainer für den Rettungsdienst ausgebildet worden. Die Multiplikatoren schulen künftig ihre Kolleginnen und Kollegen in den Organisationen. Inhalte der zehntägigen Ausbildung sind Deeskalationsstrategien, Selbstverteidigungsmaßnahmen, taktisches Bewegen an der Einsatzstelle und Kommunikationsstile zur Konfliktvermeidung.

In einem nächsten Schritt führen die Wissenschaftler erneut Interviews mit viktimisierten Ersthelfern, die bereits an einer Endanwenderschulung teilgenommen haben, und analysieren, ob sich die Einsätze anders dargestellt haben. „Was uns aus pädagogischer Perspektive zusätzlich interessiert, ist die Transferleistung der Trainerbildungsmaßnahme.  Denn dort scheint im Ausbildungsbereich bisher die Lücke zu sein. Vorangegangene Studien konnten zeigen, dass sich Gewalt auf der Straße anders darstellt als im Training.  Damit eine Transferleistung stattfinden kann, kommt es darauf an, dass Gewalthandlungen im Training so simuliert werden, wie sie im Echteinsatz stattfinden. Das ist alleine aus Sicherheitsgründen schwierig“, erklärt Staller.

Das Projekt ist auf zwei Jahre befristet.

Zur Person:
Dr. paed. Dr. phil. Mario Staller ist 35 Jahre alt. Der gebürtige Bad Kissinger lebt in Wiesbaden und war 16 Jahre lang Polizeivollzugsbeamter, 13 Jahre als Einsatztrainer für Deeskalation, Selbstverteidigung, Eingriffstechniken, Taktik und Schießen. Parallel hat er Sportwissenschaften, Psychologie und Pädagogik studiert. Er ist Lehrbeauftragter am Institut für Pädagogik und Philosophie, wo er derzeit habilitiert.

Text: Lena Overbeck