Nr. 3/2020

Pommes, Zahnpasta, Doping: Lebensmittelsicherheit betrifft alle

Er ist Biochemiker, Endokrinologe, Berater für Lebensmittelsicherheit, Dozent für Ausdauersportarten und Professor am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin:  Prof. Dr. Dr. Patrick Rene Diel, 56 Jahre alt, ist ein Tausendsassa. Wer ihm zuhört, erkennt: Alle seine Forschungsfelder hängen zusammen, ergänzen sich und bauen aufeinander auf.

Nach dem Studium der Biochemie und seiner Promotion ließ Diel die akademische Welt erst einmal hinter sich. „Ich wollte weg von den befristeten Verträgen“, erklärt er. Er ging zum Pharmaunternehmen Schering, das später von Bayer übernommen wurde, und tauchte dort tief in das Gebiet der Endokrinologie ein, befasste sich also mit Hormonen und dem Stoffwechsel. Dann zog es ihn doch wieder zurück in die Wissenschaft, er habilitierte sich und folgte 1995 seinem Professor an die Deutsche Sporthochschule Köln. „Professor Horst Michna brauchte einen Endokrinologen für die Laboruntersuchungen. Ich dachte, es ginge um die Kölner Uni. Als ich plötzlich zwischen all den Sportanlagen stand, war ich zumindest überrascht“, erinnert sich Diel.

Seit fast einem Vierteljahrhundert ist er nun Dozent an der Sporthochschule, seine Habilitation in molekularer Endokrinologie reichte er 2002 an der TU Dresden ein. 2015 ernannte ihn schließlich die Deutsche Sporthochschule zum Apl.-Professor. Und nicht nur das. „Das Klima an der Spoho war ansteckend. Ich habe mit dem Laufen angefangen, bis hin zum Marathon und Triathlon, olympische Distanz. Inzwischen bin ich sogar Praxisdozent für Ausdauersportarten“, sagt er, immer noch ein wenig amüsiert über die Umwege des Schicksals.

Das neue Team um Professor Michna richtete das erste Gentechnik-Labor an der Sporthochschule ein und brachte die tierexperimentelle Forschung voran. Es gelang Diel und seinen Mitarbeiter*innen, bis heute sieben Projekte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einzuwerben; in einem der wichtigsten ging es um Hormone, die über die Umwelt aufgenommen werden, so genannte endokrine Disruptoren. 2009 waren aus diesen Projekten so viele Publikationen hervorgegangen, dass der Leiter der Ständigen Senatskommission zur gesundheitlichen Bewertung von Lebensmitteln (SKLM) auf Diel aufmerksam wurde. Die Kommission berät den Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die Regierung von Bund und Ländern, Parlamente und Behörden zu Fragen der Lebensmittelsicherheit. Und hier ist die Brücke zwischen Diels Arbeit am Institut der Spoho und seiner Tätigkeit als Politikberater: Hormonaktive Inhaltsstoffe finden sich in Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln. Je nach Konzentration stellen sie ein Gesundheitsrisiko für die Menschen dar, die sie zu sich nehmen. Die SKLM fungiert als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Politik. Andere Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind Lebensmitteltoxikologie, Botanicals (Pflanzenextrakte, die kosmetischen oder medizinischen Produkten zugesetzt werden) und auch Dopingprävention.

Doch wie muss man sich diese Arbeit für die Senatskommission vorstellen? Diel wählt ein praktisches Beispiel: „Chips sind fettig und salzig, also ungesund. Weiß jeder. Das ist aber nicht unser Thema. Lebensmittelsicherheit ist etwas anderes als gesunde Ernährung. Die SKLM hat wissenschaftliche Daten zusammengetragen und herausgefunden, dass beim Frittieren der Chips Acrylamide entstehen.“ Hohe Temperaturen ab 150 Grad Celsius lassen Lebensmittel beim Backen, Braten und Frittieren bräunen. Dabei entstehen erwünschte Aromen und Geschmacksstoffe - aber auch Acrylamid, das sich ab Temperaturen von 170 bis 180 Grad Celsius sogar sprunghaft ansteigend bildet. „Wir fragen uns: Wie bewerten wir die Tatsache, dass eine solche Substanz in Chips enthalten ist? Wie viel davon ist giftig? Brauchen wir Grenzwerte?“. Diel und seine Kolleg*innen stehen also am Anfang eines Prozesses, der am Ende ein Gesetz hervorbringen kann. Sie identifizieren ein Thema, analysieren den Forschungsbedarf, geben das Thema an die Wissenschaft weiter und wenden sich schließlich mit Handlungsempfehlungen an die Politik. „Die Risikobewertung ist nicht unser Thema“, betont Diel. Das nämlich ist Aufgabe des Bundesinstituts für Risikobewertung, das dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft untergeordnet ist. „Übrigens“, ergänzt er, „vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Die Pommes, die man in Fastfood-Restaurants bekommt, sind heller und weicher als früher. Viele regen sich auf, weil sie ihnen nicht knusprig genug sind. Das ist das Ergebnis einer Vorgabe der Europäischen Union. Um den Gehalt an Acrylamid gering zu halten, dürfen die Kartoffeln nicht so lange frittiert werden. Der Bräunungsgrad ist also niedriger. Da sieht man die Arbeit der Lebensmittelsicherheit.“ Wenn die Kommission und die Forschung sich einig sind und ihre Empfehlungen abgeben, heißt das aber noch nicht, dass es sofort zur gesetzlichen Umsetzung kommt. „Industrie und Entscheidungsträger müssen abwägen. Beim Aufwärmen des Babybreis entstehen möglicherweise toxische Substanzen, die sich aber beim Umrühren und Abkühlen größtenteils verflüchtigen. Die Alternative ist nicht erwärmen, was wiederum Keime am Leben lässt, die dem Baby schaden können.“

Ein anderes Beispiel aus der Ernährung ist Soja. Diel und seine Kolleg*innen untersuchen, ob es Unterschiede zwischen der Hülsenfrucht als Nahrungsmittel und einem Nahrungsergänzungsmittel gibt, das auf Sojabasis hergestellt wurde. Letzteres wird vielfach Frauen in der postmenopausalen Phase angeraten, weil es dem abfallenden Östrogenspiegel entgegenwirken soll. Zu viel Östrogen birgt aber ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Das Forscher*innenteam hat bislang herausgefunden, dass es ungefährlich ist, Soja über die Nahrung aufzunehmen, weil der Grenzwert erst nach einer sehr großen Menge erreicht wird. „Aber“, schränkt Diel ein, „als wir mit der Forschung begannen, konnten wir den Trend zum veganen Leben nicht voraussehen. Inzwischen gibt es vielleicht wirklich Menschen, die drei Liter Sojamilch am Tag trinken.“ Außerdem wirke sich Soja auf unterschiedliche Gruppen unterschiedlich aus. In China nähmen bereits die Ungeborenen Soja über die Plazenta auf, später über die Muttermilch und dann ihr ganzes Leben lang. Ein höheres Krebsrisiko ist bei dieser Gruppe nicht auszumachen, weil sich der Organismus schon früh an Soja gewöhnt hat. Anders verhält es sich bei einer europäischen Frau, die erst ab 50 Jahren Soja bekommt. Auch gibt es klare Hinweise darauf, dass sich körperliche Aktivität auf die Verstoffwechselung auswirkt. „Da haben wir hier an der Spoho natürlich viel Expertise“, sagt Diel und deutet damit die Nähe zu den Kolleg*innen an, die sich in seinem und anderen Instituten mit dem Zusammenhang von Bewegung und Gesundheit befassen, von der molekularen Ebene bis hin zu rehabilitativen Maßnahmen. Das Forschungsgebiet ist also komplex und die Antwort auf die Frage, ob Soja gesund ist oder nicht, genauso.

Ein weiteres Forschungsgebiet des studierten Biochemikers Diel ist das der unerlaubten Leistungssteigerung bei Sportler*innen, kurz: Doping. Als Mitglied am Zentrum für präventive Dopingforschung (ZePräDo) an der Deutschen Sporthochschule analysiert und erforscht er Medikamente und Substanzen, um letztlich deren Missbrauch zu verhindern. In einer neuen Studie überprüft das Universitätsklinikum Ulm den Effekt von Asthmamedikamenten auf die physiologische und muskuläre Leistungsfähigkeit von Athlet*innen. Die WADA (Welt Anti-Doping Agentur) fördert das Projekt finanziell mit 315 000 Dollar. Die Deutsche Sporthochschule Köln ist Kooperationspartner der Ulmer Forscher*innen, Diel der Ansprechpartner auf Seiten der Spoho. Das Ergebnis soll am Ende Athlet*innen schützen und der WADA helfen, die Wirksamkeit von Asthmamedikamenten im Spitzensport neu einzuschätzen und zu bewerten.

Für die SKLM hat Diel, zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen, gerade das Ergebnis einer Untersuchung zur Toxizität von Fluorid veröffentlicht. Der Inhaltsstoff, der Vielen ein Begriff ist, weil er in Zahnpasta und oft im Trinkwasser vorkommt, hat einen umstrittenen Ruf. Für das eine Lager ist er lebensnotwendig, das andere hält ihn für hochgiftig. Epidemiologische Studien hatten auf eine Einbuße der Intelligenz nach Fluorideinnahme hingedeutet. Die Öffentlichkeit war alarmiert. Und wie so oft kann nur die nüchterne Wissenschaft mit ihren evidenzbasierten Daten für Klarheit sorgen, in dem Fall: die Expert*innen für Lebensmittelsicherheit. Das SKLM-Team erforschte die Frage nach der Toxizität auf Grundlage von epidemiologischen Studien, Tierversuchen und In-Vitro-Analysen, also solchen im Reagenzglas. In dem Review-Artikel heißt es: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vorliegende Bericht auf der Grundlage der Gesamtheit der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme nicht unterstützt, dass Fluorid bei den derzeitigen Expositionswerten in Europa als Neurotoxikum für die menschliche Entwicklung bewertet werden sollte." Aus der Sprache der Wissenschaft übersetzt heißt das also: Fluorid ist innerhalb der Grenzwerte nicht schädlich für den Menschen.

Diels Arbeit hat immer einen praktischen Bezug; schließlich geht es um das, was Menschen ihrem Körper zuführen und ist damit für eine breite Masse von Interesse. Soja in der Nahrung, Asthmaspray als Dopingmittel, Fluorid auf der Zahnpasta – das Forschungsfeld der Lebensmittelsicherheit betrifft Kranke genau wie Gesunde, Spitzensportler*innen wie Fastfood-Liebhaber, Kinder wie Erwachsene. Dass jedoch Menschen wie Patrick Diel schon lange vor einem Gesetzerlass ihre Arbeit getan haben, wissen wohl die Wenigsten.

Es ist dem Wissenschaftler anzumerken, wie sehr er sich mit der Spoho identifiziert, in die er vor 25 Jahren beinahe hineingestolpert ist. „Ich kenne es aus den USA, dass sich das gesellschaftliche Leben der Universitäten an den Sportstätten abspielt. In Deutschland ist das nicht so – außer an der Spoho." Wie viele seiner Kolleg*innen schätzt er die kurzen Wege, den engen Austausch und das persönliche Miteinander, das es an großen Hochschulen gar nicht geben kann. „Außerdem hat mich von Anfang an der Gedanke fasziniert, Bewegung als Medizin zu betrachten und anzuwenden", sagt er noch. Manchmal kann er selber kaum glauben, wie lange er schon hier arbeitet. "Ich war Anfang 30 als ich herkam. Heute sehe ich manche Profs, die ich schon geprüft habe, als sie noch Studenten waren. Da merke ich, dass ich jetzt einer von den alten Hasen bin."

Text: Anna Papathanasiou