Nr. 4/2020

Gesundheitskosten: Sparmodell Sport

Wissenschaftler*innen der Sporthochschule zeigen mit Hilfe der Daten von 94.267 Befragten im Alter von 50+ aus 16 europäischen Ländern, dass sich die eigenen Ausgaben für Gesundheitsleistungen durch körperliche Aktivität senken lassen.

Manchmal reichen Argumente wie „Sport tut Ihnen gut“ oder „Durch Sport können Sie Krankheiten vorbeugen“ nicht, um bei Menschen zu einem Umdenken zu führen. Schließlich treibt eine eingefleischte Couch-Potato nichts so schnell vom Sofa wie die Lust nach einer Tüte Kartoffelchips. Welche Folgeschäden in Kombination mit fehlender Bewegung in ferner Zukunft auftreten können, ist in dem Moment zweitrangig. Wenn man derselben Person aber zeigt, dass sie mit Sport nicht nur etwas für die eigene Gesundheit tun, sondern gleichzeitig Geld sparen kann, könnte das zusätzlich motivieren.

Sören Dallmeyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement, beschäftigt sich mit der Frage, wieso körperliche Aktivität stärker staatlich gefördert werden sollte und wie das am besten gelingen kann. Ihn interessiert, wie durch Sportförderung eine sogenannte „Return-on-investment-Rechnung“ gelingen kann. Konkret heißt das: Inwiefern zahlen sich die Ausgaben, die für Sportfördermaßnahmen eingesetzt werden, für die Bevölkerung und für das gesamte Gesundheitssystem aus?

„In der bisherigen Forschung wurde bereits ein positiver Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheitskosten festgestellt. Das heißt, wer körperlich aktiv ist, verursacht geringere Kosten für das Gesundheitssystem. Allerdings konnte nicht gezeigt werden, wie genau die Individuen von den Gesundheitskosten betroffen sind. Das habe ich als Anlass genommen, um einen europaweiten Datensatz zu analysieren, der Informationen über die ‚Out-of pocket health care costs‘ liefert“, erklärt Sören Dallmeyer.

Die sogenannten „Out-of pocket health care costs“ (OOPC) sind Kosten, die Bürger*innen selbst ohne Rückerstattungen von Krankenkassen für Gesundheitsleistungen tragen. Dazu zählen zum Beispiel Ausgaben für bestimmte Medikamente, physiotherapeutische Maßnahmen und zum Teil auch ambulante oder stationäre Behandlungen. Im internationalen Vergleich sind diese Kosten in Deutschland – dank der gesetzlichen Krankenversicherung – gering. Der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zufolge fielen 2016 in Deutschland nur 12 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben auf OOPC zurück. In anderen Ländern sieht dies jedoch anders aus: in Portugal oder Griechenland wächst der Anteil auf bis zu 33 Prozent und in Ländern wie den USA, in denen nur ein Bruchteil der Bevölkerung krankenversichert ist, können die Kosten noch um ein Vielfaches höher sein.  

Vor allem für Menschen, die hohe Kosten zu tragen haben, kann die Vorstellung, durch Sport einen gewissen Prozentsatz dieser Ausgaben zu sparen, relevant sein. Sie kann motivieren. Und das macht die ökonomische Betrachtungsweise für Sören Dallmeyer interessant. „Die Einsparungen an Gesundheitskosten können über verschiedene Programme als Anreize genutzt werden. Zusätzlich erlaubt die ökonomische Perspektive auch eine Quantifizierung der Belastung der Haushalte und des Gesundheitssystems“, sagt er.

Um zu untersuchen, ob Sport zu Einsparungen im Bereich der OOPC führen kann, führte er gemeinsam mit Prof. Dr. Pamela Wicker und Prof. Dr. Christoph Breuer eine umfangreiche statistische Analyse des Datensatzes der europäischen SHARE-Studie durch. Der Datensatz liefert Informationen zu Gesundheit, Alter und Pensionierung der über 50-jährigen Bevölkerung aus 16 europäischen Ländern. Dass ältere Menschen tendenziell höhere Gesundheitskosten verursachen, bewegte Dallmeyer dazu, sich in seiner Studie auf die ältere Bevölkerung zu beschränken. „Gerade im Kontext einer alternden Bevölkerung ist es wichtig, dass die Regierung ein Verständnis dafür hat, dass körperliche Aktivität helfen kann, möglicherweise größere finanzielle Belastungen für unser Gesundheitssystem abzudämpfen“, sagt Dallmeyer. In seine Analyse flossen die Daten von 94.267 Befragten ein.

Dallmeyer setzte die sozio-demografischen Angaben wie Alter, Herkunft oder Haushaltsgröße mit Angaben zur körperlichen Aktivität und den Ausgaben für Gesundheitsleistungen innerhalb des letzten Jahres über statistische Auswertungen miteinander in Verbindung. Gleichzeitig bezog er Störgrößen wie den subjektiven Gesundheitszustand oder die Art der Krankenversicherung (privat/gesetzlich) mit ein. „Gesundheitskosten weisen eine sehr spezielle Struktur auf. Es gibt viele Menschen, die gar keine eigenen Kosten haben. Deshalb muss man erstmal die Wahrscheinlichkeit modellieren, ob man überhaupt Kosten hat, oder nicht, und dann im zweiten Schritt die Höhe der Kosten einbeziehen“, so Dallmeyer. Das mit einem so großen Datensatz durchzuführen, war zeitaufwändig, erzählt er. Die eigentliche Herausforderung aber war weniger die Datenmenge, sondern die Störgrößen statistisch möglichst genau benennen und kontrollieren zu können. „Im Zusammenhang mit Gesundheitskosten spielt die Gesundheit des Individuums eine wichtige Rolle. Gesundheit beeinflusst sowohl die Gesundheitskosten als auch die körperliche Aktivität. Daher war es wichtig, dass wir Parameter in unserer Studie haben, die für den Gesundheitszustand kontrollieren. So konnten wir einen verdeckten Einfluss des Gesundheitszustands, der möglicherweise die Ergebnisse verzerrt hätte, gering halten“, erklärt Dallmeyer.

Seine Auswertung des Datensatzes zeigt: Private Gesundheitskosten entstehen bei der überwiegenden Mehrheit der Befragten und die Zahl körperlich aktiver Älterer bietet Potenzial. 70,7 Prozent der Befragten gaben an, im vergangenen Jahre privat Gesundheitskosten bezahlt zu haben. Im Durchschnitt aller 16 Länder beliefen sich die Kosten pro Person auf 211,88 Euro. In regelmäßiger Form körperlich aktiv, also mehr als einmal pro Woche, waren nur 38,2 Prozent der Befragten. „Couch-Potatoes“ gab es ungefähr genauso viele, denn 37,5 Prozent der Befragten gaben an, sich nie oder fast nie zu bewegen (Rest: 15,2 % = einmal pro Woche körperlich aktiv, 9,2 % = ein- bis zweimal pro Monat körperlich aktiv).

Durch seine statistische Analyse der OOPC konnte Dallmeyer zeigen, dass jegliche körperliche Aktivität einen signifikanten Einfluss auf die Höhe der privaten Gesundheitskosten hat. Am meisten profitieren können laut seiner Analyse diejenigen Älteren, die sich einmal in der Woche bewegen. Sie konnten durch körperliche Aktivität maximal 17,7 Prozent der jährlichen OOPC sparen. Konkret bedeutet das – auf den europäischen Kontext angewendet – eine Ersparnis zwischen 26 und 37 Euro. „Das mag erstmal nicht sonderlich viel klingen; wenn man sich aber anschaut, dass die prozentuale Ersparnis zwischen 12,7 Prozent und 17,7 Prozent der gesamten OOPCs liegt, dann ist das schon eine Menge“, sagt Dallmeyer. „Die Daten zeigen: Erstmal ist es wichtig, nicht körperlich inaktiv zu werden. Wenn man es schafft, den Status der körperlichen Inaktivität zu verlassen, ist der Sprung des Ersparten sehr groß. Das heißt nicht, dass es nicht gesundheitlich sinnvoll sein kann, sich mehr zu bewegen; das weitere finanzielle Sparpotenzial ist dann nur etwas geringer“, ergänzt er.

Dass körperlich sehr aktive Ältere seiner Analyse nach finanziell weniger zu profitieren scheinen, hat Dallmeyer zunächst überrascht. Bei weiterer Recherche konnte er aber herausfinden, dass diese Tendenz bereits in vorherigen Studien gezeigt werden konnte. Und auch ein anderer Effekt könnte als Ursache denkbar sein: Da es sich bei den Befragten um Ältere handelt, könnte vermehrte körperliche Aktivität – zumindest teilweise – zu Überlastung geführt und so zusätzliche Gesundheitskosten ausgelöst haben.

In Zukunft möchte Sören Dallmeyer noch genauer erforschen, welche Personen in finanzieller Hinsicht besonders gut von körperlicher Aktivität profitieren können. Dafür will er weitere sozio-demografische Unterschiede im Zusammenhang mit OOPC untersuchen. Ein weiterer wichtiger Schritt, sagt Dallmeyer, wäre, die einzelnen Daten auch auf Landesebene zu betrachten. So können die länderspezifischen Gegebenheiten stärker berücksichtigt werden. Seine Untersuchungen, so hofft er, liefern einen Beitrag zu mehr Bewusstsein dafür, wie wichtig körperliche Aktivität als präventiver Faktor im gesamten Gesundheits-Kontext ist. „In der allgemeinen Bevölkerung ist es sicherlich so, dass zu viele Menschen körperlich inaktiv sind. Viele Menschen sind nicht darüber informiert, welche Vorteile sich durch körperliche Aktivität im Gesundheits-Kontext ergeben. Ich hoffe, dass die Regierung das im Blick hat. Ganz speziell für die ältere Bevölkerung designte Daten – so wie die unserer Studie – könnten genutzt werden, um Informationskampagnen zu schalten und um ältere Menschen zu körperlicher Aktivität zu motivieren.“

Text: Marilena Werth