Besuch aus dem Herzen der Fußballmacht

Am Ende des Besuchs des prominenten Fußballfunktionärs Michel D’Hooghe im Hörsaal 3 der Deutschen Sporthochschule Köln war Prof. Dr. Jürgen Mittag etwas überrascht. „Ich hätte gedacht, dass kritischer nachgefragt wird“, sagte der Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, schließlich gehört D’Hooghe seit 1988 jenem Zirkel an, der zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung über viele Jahre zu den korruptesten Gremien des Weltsports zählte: dem Fifa-Exekutiv-Komitee, das in der Vergangenheit auf der Basis undurchschaubarer Kriterien darüber entschied, welches Land welche Fußball-Weltmeisterschaft austragen darf.

Doch die dubiosen Vorgänge um die WM-Vergaben nach Russland, Katar, aber auch nach Deutschland blieben ein Randthema. D’Hooghe, der zu den wenigen Exekutivmitgliedern der finsteren Fifa-Jahre zählt, die vom Korruptionsverdacht freigesprochen wurden, deutete lediglich an, wie froh er sei, vieles nicht mitbekommen zu haben. Außerdem betonte er, wie schwer der Schaden sei, den die Affären während der Präsidentschaft von Sepp Blatter angerichtet haben. „Das waren sehr harte Jahre, und ich bin sehr verärgert über diese wenigen Leute“, die die Fifa als eigentlich „positive Institution“ diskreditiert haben, sagte D’Hooghe. Als er auf Blatters Nachfolger Gianni Infantino angesprochen wurde, dem vorgeworfen wird, die alten Strukturen nur halbherzig zu bekämpfen, erwiderte er, dass man dem neuen Präsidenten „Zeit geben“ müsse, bevor ein eindeutiges Urteil über seine Arbeit möglich sei. Das große Thema von D’Hooghe ist ohnehin ein anderes.

Nach einem unterhaltsamen Streifzug durch die Sport- und Fußballgeschichte mit einigen Abstechern in die Soziologie sprach der Belgier über seine Arbeit als Chef der medizinischen Kommission der Fifa. Er ist Arzt und hat auf dieser Ebene viel bewegt. In seine Zeit fällt die Einführung der Schienbeinschonerpflicht, außerdem wurde mit Hilfe des Belgiers durchgesetzt, dass Fouls von hinten in die Beine des Gegners und Ellenbogenstöße ins Gesicht zwingend mit roten Karten bestraft werden. Neuerdings dürfen Ärzte auch ohne Erlaubnis des Schiedsrichters den Platz betreten, wenn ein Spieler kollabiert ist und reanimiert werden muss. Und D’Hooghe ist verantwortlich für den Umgang der Fifa mit dem Thema Doping, der oft kritisiert wird, weil die Welt-Anti-Doping-Agentur nur eingeschränkten Zugang etwa bei Fußball-Weltmeisterschaften hat. Der mächtige Verband kontrolliert seinen Sport weitgehend selbst.

Wie viele Sportfunktionäre versuchte D’Hooghe diese Art der Skepsis, die in vielen Fragen aus dem gut gefüllten Auditorium mitschwang, mit dem alten Argument von den vielen Tests zu bekämpfen, die durchgeführt werden. Er verfolge eine „Null Toleranz“-Strategie, versicherte er, kein Verband führe mehr Kontrollen durch. Und nicht zuletzt seien im Fußball früher als in vielen anderen Sportarten so genannte biologische Pässe eingeführt worden. Das Problem im Fußball sei nicht Doping, sondern die flächendeckende „Nutzung von Schmerzmitteln“, die schwere Langzeitschäden am den Organen nach sich ziehen kann. Der ehemalige Präsident des belgischen Fußballverbandes vertrat konsequent die offizielle Fifa-Haltung.

Überzeugender argumentierte er bei anderen Themen, dem Umgang mit Kopfverletzungen beispielsweise. Es gibt ja Hinweise darauf, dass die vielen Zusammenstöße und die zahllosen Kopfbälle, die ein Fußballer während seiner Karriere verkraften muss, das Risiko demenzieller Erkrankungen im Alter erhöhen. Maßnahmen, wie das Verbot von Kopfbällen im Jugendfußball, das in den USA gilt, hält D’Hooghe für falsch, weil so die Nackenmuskulatur nicht ausreichend trainiert werde, um dann später stabil genug köpfen zu können. Auch das berge Risiken. Stattdessen plädierte er dafür, „seriös zu kontrollieren“, dass Kinder mit leichteren Bällen spielen und trainieren. Und bei Kopfverletzungen im professionellen Fußball habe er die Vorschrift durchgesetzt, dass die Partien immer für drei Minuten unterbrochen werden sollen, bevor der Schiedsrichter dann den behandelnden Mannschaftsarzt (und nur diesen) befragt, ob der betroffene Spieler weiter machen kann. Diese Themen waren dem Fifa-Urgestein merklich angenehmer, als die Fragen nach Korruption und Doping, die er geschickt und eloquent meisterte, ohne die großen Geheimnisse Preis zu geben.