„Das war eine richtig gute Zeit“

Dr. Wolfgang Ritzdorf wie er leibt und lebt: als Organisator des Kölner Hochsprungmeetings mit Musik (links, Foto: Julian Meusel) und als Prüfer beim Hochsprung im Rahmen des Eignungstests (rechts, Foto: Deutsche Sporthochschule Köln).

Lässig in den Stuhl gefläzt, die langen Beine leger übereinandergeschlagen, die Brille aufs ergraute Haar gesetzt, das Kinn locker in die Hand gestützt, rauchige Stimme, leicht amüsierter Blick – so bleibt Dr. Wolfgang Ritzdorf in Erinnerung. Am 30. November ist sein letzter Arbeitstag als Leichtathletikdozent; die Hochsprunginstitution der Sporthochschule geht in den Ruhestand. Ein etwas anderer Abschiedsbrief...

Viele Teilnehmer*innen des Eignungstests haben ihn vielleicht als strengen Prüfer in Erinnerung, der einen nicht ausreichenden Versuch beim Kugelstoßen kommentiert: „Reicht nicht!“. Als ich an der Spoho studierte, habe ich Wolfgang Ritzdorf selbst als Dozent erlebt. Ein bisschen furchteinflößend kommt er im ersten Moment schon daher. Aber nach wenigen Momenten des Kennenlernens ist klar, dass er das Herz am richtigen Fleck hat. „Manchmal blaffe ich vielleicht jemanden im ersten Moment an“, sagt er selbst über seinen Umgang mit den Studierenden. „Letztlich habe ich aber noch Jedem geholfen, der sich ernsthaft bemüht hat. Das ist mein Credo. Wenn da jemand allerdings auf die allerletzte Minute kommt und nichts getan hat, bin ich schon eher unflexibel“, erzählt er und lacht dabei dröhnend.

Nachdem ich bei Wolfgang, wie ich ihn mittlerweile nennen darf, studiert habe, erlebte ich ihn in den letzten Jahren auf beruflicher Ebene. Mehrfach führten wir Interviews, z.B. für den KURIER, oder trafen uns im Rahmen von Hochschulveranstaltungen wie dem Kölner Hochsprungmeeting mit Musik oder der Pole Vault and High Jump Konferenz, die er seit vielen Jahren an der Spoho organisiert. Bei der für November 2020 geplanten neunten Auflage hätte er sich gerne offiziell verabschiedet. Aber 2020 ist bekanntlich alles anders, und so ist auch die Konferenz auf 2021 verschoben. Weiterer Höhepunkt seiner Karriere als internationaler Hochsprungtrainer hätten in diesem Sommer die Olympischen Spiele in Tokio sein sollen. Die beiden Springer Luis Castro und Edgar Rivera wollte er zu den Spielen bringen und dort betreuen. Mit der Verlegung auf Sommer 2021 verlängert sich auch die Betreuung der beiden Athleten.

Aus seiner langen Karriere als Trainer und aus 40 Jahren Sporthochschule hat Wolfgang Ritzdorf viel zu erzählen. Schwierig, sich als Autorin auf wenige Highlights zu konzentrieren, vor allem dann, wenn man selbst absoluter Leichtathletikfan ist. Spannend finde ich zum Beispiel seine Trainerphilosophie: „In 15 Jahren habe ich rund 15 Springer aus vielen verschiedenen Ländern betreut. Da gibt es nicht ‚ein Coach sein‘, weder was das Training selbst angeht noch was das gesamte Betreuungspaket angeht. Der eine braucht klare Ansagen und Vorgaben, der andere eher sanftes Mentoring. Genau das ist eine der größten Herausforderungen als Trainer: herauszufinden, wie man mit jedem einzelnen Athleten umgehen muss, damit der die beste Leistung abrufen kann.“ Genau an der Stelle hake ich nach, denn mich fasziniert die Frage, wie man das Beste aus jedem herausholen kann, vor allem im Hochsprung, wo es viele unterschiedliche Technikvarianten gibt. Wolfgang erklärt mir: „Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten hoch zu springen. Jeder Athlet bringt andere Voraussetzungen und Eigenschaften mit; das Training wird dann an diese angepasst.“ Kannst du ein Beispiel nennen, bitte ich ihn.

Als Ritzdorf 2005 anfing, eine internationale Trainingsgruppe in Köln – das so genannte World High Jump Centre – aufzubauen, kam ein Springer aus Botswana zu ihm: Kabelo Kgosiemang, „eine Ausgeburt an Hochsprungeleganz“, erinnert er sich. „Bei Kabelo hatte man das Gefühl, dass Newton ihn vergessen hatte, als er die Schwerkraft verteilte. Hier lag meine Hauptaufgabe darin, möglichst wenig von dem kaputt zu machen, was er natürlicherweise mitbrachte.“ Ganz andere Stärken brachte Fernand Djoumessi aus Kamerun mit: „Fernand schien seine Technik aus dem Straddle der Sechziger Jahre zu haben; er sprang fast aus dem Stand. Er sprang im Schersprung 2,15m und im Flop 2,16m. Normalerweise beträgt die Differenz dieser beiden Techniken circa 30cm“, erinnert sich der Coach. „Da muss ich eben schauen, wie ich diese Voraussetzungen weiterentwickeln kann. Und mit dieser Taktik sind wir gut gefahren. Kabelo verbesserte seine Bestleistung von 2,15m auf 2,34m und Fernand von 2,16m auf 2,28m“, erzählt Ritzdorf.

Als sich herumsprach, dass Kabelo Kgosiemang ziemlich schnell große Fortschritte machte, wurde das Projekt mit dem internationalen Leichtathletikverband offiziell gemacht, inklusive einer professionellen Infrastruktur mit Co-Trainer und finanzieller Ausstattung. Seitdem sind mehr als 15 Jahre vergangen, in denen auch der Coach viel gelernt hat. Zum Beispiel: „Ich denke, dass wir teilweise die Bedeutung von Training überbewerten. Wenn die Life Balance nicht stimmt, wenn sich die Athleten nicht wohl fühlen, dann kannst du trainieren wie du willst, es bringt dich nicht weiter. Ob du Kniebeugen mit 220 oder 240 Kilogramm Gewicht machst, ist dann völlig unerheblich. Die Athleten müssen mit sich und ihrer Lebenssituation im Reinen sein.“ Sein Interesse an dieser Thematik rührt vermutlich noch aus der Anfangszeit seines Studiums in Bonn: Psychologie und Sport. Nach dem Vordiplom wechselte er an die Spoho, wollte sein Psychologiestudium zunächst abschließen. „Über eine Hilfskraftstelle an der Spoho und die Möglichkeit zur Promotion habe ich das dann aber aus den Augen verloren“, erzählt er.

Auf dem Spoho-Campus sieht man Wolfgang Ritzdorf häufig mit Zigarette. Außerdem liebt er Kaffee, nutzt eher den Aufzug als die Treppe im NawiMedi. Ich frage mich, wie es um seine eigene körperliche Fitness bestellt ist. Man könnte sagen, da ist noch Luft nach oben. Man könnte aber auch – seine Worte – sagen „grottenschlecht“. Das war mal anders, erinnert er sich. „Ich bin als Kind im Westerwald groß geworden und bin dort viel draußen an der frischen Luft gelaufen.“ Dann reizte ihn der Hochsprung, hier konnte er eine persönliche Bestleistung von 2,08m verbuchen. Was macht für ihn die Faszination Hochsprung aus, frage ich. „Zum einen fasziniert mich die Kombination aus der Kraft, die im Absprung herrscht, und der Leichtigkeit und Eleganz des Fliegens und des über die Latte Schwebens. Zum anderen faszinieren mich die Möglichkeiten, mit Athleten auf höchstem Leistungsniveau zu arbeiten und sie immer noch ein kleines Stückchen besser zu machen, indem man an den winzigen Details schraubt.“

Das ist keine Besonderheit des Hochsprungs, sagt er, dieser Aspekt würde ihn in anderen Disziplinen oder Sportarten genauso begeistern. Zum Beispiel beim Golf. Ich weiß, dass Wolfgang als Dozent auch Golf unterrichtet hat. Somit bin ich eh davon ausgegangen, dass er golft. Aber: „Früher hatte ich alle Vorurteile gegen Golf, die es gibt. Dann, in einem Frankreich-Urlaub vor 25 Jahren, habe ich es ausprobiert und war direkt angefixt“, berichtet er. Das habe ich schon öfter gehört, muss also etwas dran sein an der Leidenschaft für Golf. Aktuell spielt er ein- bis zweimal pro Woche eine 9-Loch-Runde. Sein Handicap von 9,8 ist schon länger her. „Ich spiele nach wie vor sehr gerne und werde das sicherlich wieder ein bisschen intensivieren“, kündigt er an, vielleicht sogar als Lehrbeauftragter für Golf an der Spoho.

Seine Bilanz zu 40 Jahren Spoho fällt durchweg positiv aus: „Das war eine richtig gute Zeit, ich habe sehr gerne hier gearbeitet, vor allem auch, weil mir die Arbeit stets den Freiraum für meine Tätigkeit im High Jump Centre ermöglich hat“. Ich, die noch 30 Berufsjahre vor sich hat, stelle es mir schwierig vor, im Ruhestand die Spoho einfach Spoho sein zu lassen. Wolfgang sagt: „Ich werde vermutlich nicht jeden Tag den Pressespiegel lesen, aber ich werde das Geschehen schon als Beobachter verfolgen, aber nicht kommentieren oder bewerten. Ich hatte eine gute Zeit hier, aber dann ist es auch irgendwann vorbei und es geht woanders weiter.“ Vermissen werde er vor allem seine „engsten Kollegen hier auf dem Flur“. Sein Büro im IG NawiMedi, welches ihm stets den Blick auf den Haupteingang der Spoho bietet, wird er zunächst behalten. „Ich bin immer noch ein bisschen da, weil ich mein Forschungsprojekt mit den Hochspringern zu Ende bringen darf. Für diesen Soft-Ausstieg bin ich sehr dankbar - und meine Frau bestimmt auch", witzelt Wolfgang Ritzdorf. Wir wünschen ihm alles Gute!