„Die gegenwärtige Situation ist für zahlreiche Athleten und Spieler unbefriedigend.“

Prof. Dr. Jürgen Mittag

Als Prof. Dr. Jürgen Mittag und seine Mitstreiter vom Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung begannen, gemeinsam mit dem Forum Sportpolitik das „8. Symposium  Sportpolitik“ unter  dem Titel „Arbeitsbeziehungen und Repräsentationen im Sport“ zu organisieren, ahnten sie noch gar nicht, wie nah sie mit ihrem Thema an das Zeitgeschehen herankommen würden. Gerade wurde mit der Gewerkschaft „Athleten Deutschland“ eine neue Interessensvertretung für Sportlerinnen und Sportler gegründet, die dänischen Fußballerinnen erstreikten sich erhöhte Ausgleichszahlungen und der amerikanische Footballer Colin Kaepernick wehrt sich gegen Repressionen nach seinem Protest gegen die Politik Donald Trumps. Im Interview blickt Mittag auf das Symposium zurück, das am 1. Und 2. Dezember an der Deutschen Sporthochschule Köln stattfand.

Herr Mittag, das Symposium Sportpolitik behandelte einige der drängendsten sportpolitischen Fragen dieser Zeit. Sind Sie zufrieden mit den Diskussionen und Vorträgen?

Jürgen Mittag: Ja, wir blicken nach meinem Dafürhalten auf eine spannende Veranstaltung zurück. Unser zentrales Anliegen bestand darin, soziale Beziehungen und Arbeitsbeziehungen im Sport systematischer zu behandeln und zu verorten.  Die aktuellen Beispiele um die dänischen Fußballerinnen, Colin Kaepernick, oder auch die kollektiv bestraften russischen Wintersportlerinnen und -sportler zeigen, wie sehr Fragen nach der Situation von Sportlern im Spannungsverhältnis von arbeitsrechtlichen Kriterien und darüber hinausgehenden  Formen der Interessenrepräsentation unter den Nägeln brennen. Es gibt auf diesem Feld bislang nur begrenzte wissenschaftliche Erkenntnisse. Deswegen war das großes Ansinnen dieser Tagung, eine Art Bestandsaufnahme vorzunehmen und zu schauen: Was passiert da eigentlich?

Betroffen sind von dieser Fragestellung vor allem die Sportler selbst. Nehmen Athletinnen und Athleten solche Veranstaltungen wahr?

Wir hatten schon Betroffene dabei, zum Beispiel die ehemalige Hockeynationalspielerin Marion Rodewald oder den ehemaligen Basketballnationalspieler Johannes Herber. Aber es ist in der Tat bemerkenswert, dass Sportler in zunehmendem Maße während ihrer aktiven Karriere zwar daran interessiert sind, sich besser, professioneller, auch stärker interessengeleitet vertreten zu lassen, in ihrem sehr dichten professionellen Leben aber kaum Optionen finden, selber aktiv zu werden. Das Engagement der Sportler kommt oft erst zum Ende oder nach der Karriere. Außerdem gibt es Grenzen, die von Verbandsseite gesetzt werden. Um es mit dem ehemaligen Fifa-Präsident Sepp Blatter zu sagen: „Keep it in the family.“ Die Verbände wollen die Hoheit in der Sportfamilie halten und versuchen zu verhindern, dass es breitere, plurale und damit auch divergente Interessenvertretungen gibt. Arbeitsbeziehungen klassischer Natur sind nicht erwünscht, die gegenwärtige Situation ist infolgedessen für zahlreiche Athleten und Spieler unbefriedigend.

Welche Vorträge oder welche Erkenntnisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Der Höhepunkt war für mich weniger ein einzelner Beitrag oder ein spezifisches Thema, sondern vielmehr die Bandbreite und die Vielschichtigkeit des Problemfeldes. Die Beiträge haben eindrucksvoll das Spannungsverhältnis zwischen dem Sportler als Athleten und als Arbeitnehmer untermauert und gezeigt, wie vielschichtig, wie vielfältig, wie divergent, aber auch disparat sich die komplexen Prozesse der Interessenvertretungen darstellen.

In Deutschland wurde zum Beispiel jüngst die Gewerkschaft „Athleten Deutschland“ gegründet, gibt es einen Grund dafür, dass sich gerade jetzt immer mehr Aktivisten für eine bessere Lage einsetzen?

Man kann grundsätzlich sagen, dass der Verbandsmonopolismus, die Verbandseinheit erodiert und dass wir ein zunehmend größeres Interesse von unterschiedlichen Akteuren an einer eigenständigen Interessenrepräsentation im Sport haben. Und je stärker die kommerzielle Komponente des Sports zunimmt, desto häufiger kommt es auch zu finanziell induzierten, interessengeleiteten Auseinandersetzungen.

Sehen Sie eine Konfliktlinie zwischen den Sportlern und den Verbänden, die sich verhärtet?

Das ist in der Tat eine spannende Frage. Ich würde hier nicht ein allgemeines Konfliktmuster für den gesamten Sport identifizieren, sondern eher ein Kontinuum von unterschiedlichen Interaktionsmustern. Genau darüber wurde auf der Tagung intensiv diskutiert: Gilt für den Fußball das gleiche wie für andere Mannschaftssportarten? Gilt Ähnliches für Individualsportarten? Lassen sich populäre Fernsehsportarten und  Randsportarten vergleichen? Gilt für den Profisport das gleiche wie für den Amateursport?

Welche Antworten haben Sie gefunden?

Zumindest eines ist sicher: Es gibt ganz unterschiedliche Erklärungsansätze und ganz unterschiedliche Spannungsverhältnisse, die höchst differenziert zu betrachten sind. Und deshalb wird es immer sehr unterschiedliche Interessenvertretungen geben. Weit verbreitet ist ja zum Beispiel die Vorstellung, dass Fußballprofis reich sind und oft schnell ausgesorgt haben. Aber die internationale Spielergewerkschaft FIFPro hat 2016 eine Umfrage jenseits der großen Nationen Deutschland, England und Spanien durchgeführt, aus der hervorgeht, dass die Dinge mitnichten so glorios sind. Ein hoher Prozentsatz der Spieler verdient nur 1000 bis 2500 Dollar im Monat und hat bereits Erfahrungen mit verspäteten Gehaltszahlungen, mit Drohungen oder auch dem Ausschluss im allgemeinen Trainingsbetrieb gemacht. Aus anderen Sportarten werden ähnliche Tendenzen gemeldet. Deswegen muss man fast fragen, ob nicht eher das prekäre Leben als Sportler der Normalfall ist.

Es gibt, wenn es um Arbeitsbeziehungen, Honorare, Preisgelder und Löhne geht, ganz unterschiedliche Akteure: Verbände, Vereine, Sponsoren, Veranstalter, Sportlerinnen und Sportler, auch Staaten, die alle eigene Interessen verfolgen.  Worin besteht der Hauptbeitrag, den die Wissenschaft in diesem komplexen Umfeld leisten kann?

Zunächst erstmal geht es darum, die Akteure zu identifizieren, ihre Interessen zu veranschaulichen, die Strukturen und die Organisationsformen, in denen Interessenvertretung stattfindet zu beleuchten, aber auch Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Akteuren und Problemfällen zu veranschaulichen. Es ist Aufgabe von Studien zur Sportpolitik, zu erklären, warum welche Konstellationen und Interessen zu welchen Entscheidungen und Ergebnissen geführt haben. Fragen der Interessenrepräsentation im Sport stellen für das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung ein wichtiges Arbeitsfeld dar. Verbunden mit den Aspekten Arbeitsbeziehungen und Rechten im Sport, nicht zuletzt im Hinblick auf eine anhaltende Debatte über Menschenrecht im Sport, ist damit ein wichtiger Bereich künftiger wissenschaftlicher Forschung benannt. Infolgedessen ist die Vermessung und kritische Beleuchtung des Themenfeldes ein erster wichtiger Schritt. 

Interview: Daniel Theweleit