Faszination des Sports von Menschen mit Behinderungen

Das Interesse am Sport von Menschen mit Behinderungen ist riesig, das Thema Inklusion derzeit in aller Munde. Doch: Befinden sich mittlerweile alle Menschen im Sport auf Augenhöhe? Und ist die weit verbreitete Debatte überhaupt gewünscht bzw. zielführend?  

Diese und weitere Fragen wird ZDF-Sportmoderator Wolf-Dieter Poschmann  im Rahmen des 9. Wissenschaftsabends der Deutschen Sporthochschule Köln mit seinen Podiumsgästen diskutieren. Titel: „Mitleid war gestern!? Faszination des Sports von Menschen mit Behinderungen“. Dabei sprechen die Gäste u.a. über die Entwicklung, die der Behindertensport in den vergangenen Jahren vollzogen hat sowie über die Faszination, die vom ihm ausgeht. Profitieren beispielsweise alle Wettkampfformen vom gegenwärtigen Boom oder lassen sich manche Wettkampfklassen nicht vermarkten? Thematisiert werden darüber hinaus auch die dem Behindertensport innewohnenden Ängste, Fallstricke und Grenzen. Die Diskussionsrunde setzt sich zusammen aus:

  • Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel (Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, Inhaber der Professur „Paralympischer Sport“),
  • Dr. Volker Anneken (Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport),
  • Verena Bentele (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen),
  • Gregor Doepke (Leiter Kommunikation Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung),
  • Monika Dziuba (Studentin Deutsche Sporthochschule Köln),
  • Steffi Nerius (Trainerin des TSV Bayer Leverkusen),
  • Markus Rehm (Paralympischer Athlet des TSV Bayer Leverkusen). 

Ein Grußwort wird Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), als einer der Initiatoren der Professur „Paralympischer Sport“ sprechen. Gleichzeitig weisen wir auf den Fachaustausch „Aus der Praxis für die Praxis – Mein Beitrag zu einer inklusiven Sportlandschaft“ des DBS hin, der am 17. September 2015 von 11 bis 17 Uhr im RheinEnergieStadion in Köln durchgeführt wird.

Statements der PodiumsteilnehmerInnen:

  • Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel:

Inklusion ist – vielleicht – in aller Munde, aber wir hatten noch zu wenig Chancen und zu wenig Zeit, dass es auch in allen Köpfen und Herzen ankommt. Ein respektvolles Miteinander von unterschiedlichen Menschen ist für unsere Gesellschaft ein wirklich hohes Gut. Inklusion heißt jedoch sicher nicht, dass jeder zu jeder Zeit und an jedem Ort das Gleiche machen darf oder sogar machen muss. Ich denke, dieses Missverständnis erschwert die Diskussion gegenwärtig erheblich.

  • Dr. Volker Anneken:

Der Paralympische Sport ist Teil des gesamten Sportsystems – mit seinen eigenen Regeln und Gesetzen. Er bietet einer bestimmten Zielgruppe die Möglichkeit, sich zu messen. Dies wird auch in Zukunft unterstützt. Die Frage ist vielmehr: Wird es eigentlich ausreichend unterstützt? Die meisten Sportfachverbände halten sich in dieser Frage ziemlich bedeckt, wenn es darum geht, ihre Sportart dem Behindertensport ohne Vorbehalte zu öffnen.

  • Verena Bentele:

Manche Sportarten sind aufgrund ihrer komplexen Regeln oder der unterschiedlichen Startklassen schwieriger zu vermarkten als andere. Wenn beispielsweise Prothesenträger beim 100-Meter-Lauf an den Start gehen, dann gewinnt derjenige, der als erster die Ziellinie überquert. Es gibt aber auch Sportarten, die komplizierte Regeln oder ein kompliziertes Startsystem haben und daher schwer verständlich und im Sinne der Vermarktung nicht so attraktiv sind. Die Beliebtheit und mediale Präsenz des Paralympischen Sports wird sich nur dann steigern lassen, wenn alle Seiten sich darum bemühen, spannende Wettkämpfe zu präsentieren. Und wenn es gelingt die Biographien von Sportlerpersönlichkeiten professionell und ohne Mitleid zu erzählen

  • Gregor Doepke:

Der Begründer der Paralympischen Spiele, Sir Ludwig Guttmann, der auch die gesetzliche Unfallversicherung in Rehabilitationsfragen beraten hat, wollte Kriegsversehrten mit Rückenmarksverletzungen die Möglichkeit geben, ihre sportlichen Fähigkeiten zu präsentieren. Seine Absicht war es, Wettkämpfe von Menschen mit und ohne Behinderung zu verbinden. Daher begann der erste paralympische Wettkampf 1948 gleichzeitig zu den Olympischen Spielen in London. Heute finden die Paralympics direkt im Anschluss an die Olympischen Spiele am selben Austragungsort statt. Auch dies setzt ein Zeichen für das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Sport unter Menschen mit und ohne Behinderung aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern schaffen kann. 

  • Monika Dziuba:

Ich persönlich bin kein „Fan“ von Mitleid und habe dieses auch nie gewollt. In meinem sozialen Umkreis habe ich aber auch nie das Gefühl gehabt, dass jemand Mitleid mit mir hat bzw. dieses zeigen will. Das hätte ich auch eher negativ aufgefasst. Natürlich gibt es Situationen, zum Beispiel in Geschäften oder anderen Einrichtungen, in denen ich Hilfe benötige. Mitleid kommt aber auch hier sehr selten vor. Im Sport habe ich bis jetzt gar keinen Ausdruck von Mitleid erfahren, und das finde ich auch gut so.

  • Steffi Nerius:

Olympische und Paralympische Spiele zusammenzuführen, das will eigentlich keiner. Der Paralympische Sport muss so bleiben wie er ist, sonst haben wir nur fünf AthletInnen, die mitmachen können. Alle anderen würden das Niveau nicht erreichen. Daher ist es wichtig, dass es die Paralympischen Spiele gibt, weil dort die Leistungen vergleichbar sind. Eines von vielen Beispielen für Inklusion ist für mich, wenn ein Athlet wie Markus Rehm bei den Deutschen Meisterschaften mitspringen darf – mit separater Wertung! Das gilt aber auch für andere Wettkämpfe von Nichtbehinderten. Inklusion ist für mich auch ein Trainingsalltag in Leverkusen: das unbeschwerte Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten im Leistungssport; alle trainieren in einer Halle und man geht ganz normal und unkompliziert miteinander um.

  • Markus Rehm:

Sicherlich ist es dem Nichtbehindertensport lieber, wenn paralympische AthletInnen nicht die besseren Leistungen zeigen – die Vergleichbarkeit der Leistungen einmal außen vor gelassen. Aber ist es nicht höchst bedenklich, wenn ein paralympischer Athlet keine Ausnahmeleistung bringen darf? Ist ein Ausnahmeathlet im Paralympischen Sport nicht denkbar? Auch hier gibt es viele Ausnahmeathleten, aber leider nur wenige, die sich aufgrund ihrer Behinderung mit nicht gehandicapten Athleten messen können.

 

Medienvertreterinnen und Medienvertreter haben während und nach der Podiumsdiskussion die Möglichkeit, Fragen an die Podiumsgäste zu stellen und Interviews zu führen. Bei Interesse an Einzelinterviews bitten wir um eine kurze Anmeldung an presse@­dshs-koeln.de.