Katar Talks: Wie reden über die WM?

Zur anstehenden Fußball-WM in Katar hat wohl jede*r Sportinteressierte*r eine Meinung. Manche wollen die Spiele im Fernsehen bewusst nicht gucken, andere freuen sich auf das Turnier. Sicher ist: Selten wurde so kontrovers über eine WM diskutiert, wie über die WM in Katar. Doch wie kann man die Kritik an Katar einordnen? Wie politisch darf oder muss der Sport sein und was bringt es, wenn Fans in Deutschland die Spiele boykottieren? Genau über Fragen wie diese diskutierten am 27. Oktober in Hörsaal 1 der Sporthochschule Vertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Medien.

Eingeladen hatten die Candid Foundation, eine Denkfabrik zur Förderung internationaler und interkultureller Beziehungen mit dem Schwerpunkt Naher Osten, Mittelmeer und Nordafrika, die Bundeszentrale für politische Bildung und die Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung (IESF) der Sporthochschule unterstützte das Event und ermöglichte den Zuschauerinnen und Zuschauern, über ein interaktives Abstimmungs- und Frage-Tool live am Event mitzuwirken. Zum Beispiel wurde das Publikum zu seiner Vorfreude auf die WM befragt. Mit dem Ergebnis: 88 Prozent freuen sich nicht genauso auf die WM wie auf vorherige Events.

In einem ständigen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch führte Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mittag, Leiter des IESF, durch den Abend. Diskutiert wurde zum Beispiel über die Frage, inwiefern die kritische Berichterstattung über das Event in deutschen Medien die Stimmung der Fans beeinflusst und ob die Kritik an Katar beispielsweise zu den Situationen auf den Baustellen oder zu der Menschenrechtslage berechtigt ist oder stärker in den Kontext des arabischen Raumes eingeordnet werden müsste. Katrin Lemke, die seit sechs Jahren in Katar arbeitet, erzählte von den Veränderungen, die sie wahrgenommen hat: „In den letzten drei Jahren hat sich Katar wirtschaftlich immer mehr geöffnet. Internationale Investitionen wurden angetrieben. Die Infrastruktur des Sports wird größer. Ich denke, dass auch nach der WM die Entwicklung weitergeht.“

Kathrin Lemke, OCO Global Managerin und Marko Begovic und Senior Policy Advisor der Qatar Tennis Federation, waren bei der Veranstaltung live aus Katar zugeschaltet. Auf dem Podium in Köln dabei waren Jeremias Kettner, Senior Strategic Business Advisor bei Kettner Advisory, Mathias Brüggmann, Buchautor und Journalist beim Handelsblatt und Andreas Rettig, Fußballmanager und ehemaliger Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga. Prodiumsgast Tilman Engel, Senior Executive Advisor der SBC-International konnte nicht vor Ort dabei sein und nahm auch digital am Panel teil.

Die Gäste diskutierten intensiv über Menschenrechte, Frauenrechte, die Rolle der FIFA und die WM-Vergabe an Katar. Aber auch Veränderungen und Entwicklungen, die in Katar stattfinden, wurden hervorgehoben. Im Vergleich zu der kritischen medialen Berichterstattung, kamen auf dem Panel besonders auch Vertreter*innen zu Wort, die die Lage in Katar tendenziell positiver bewerten. Sie machten deutlich, dass die Menschenrechtslage nach wie vor bedenklich sei, sich aber – und das auch aufgrund der Weltmeisterschaft – viel im Land verändert habe. „Die wichtigen Entscheidungsträger Katars haben verstanden, dass sich das Land öffnen muss“, sagte zum Beispiel Buchautor Mathias Brüggmann. In der Diskussion häufig genannt wurde der Begriff „soft power“. Damit soll die Strategie Katars dargestellt werden, in Sport oder Kultur zu investieren, um sich dadurch auf dem Weltmarkt besser darzustellen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Meinungsbilder fasste Rettig es so zusammen: „Man sollte keine moralische Rolle einnehmen. Man kann das westliche Bild nicht als Standard vergleichen.“ Wichtig bei der Diskussion sei es, laut allen Teilnehmenden, die Argumente aus verschiedenen Standpunkten zu beobachten, zu hinterfragen und bei diesem kontroversen Thema eine Kultur des gepflegten Diskutierens zu etablieren.

Vor allem von Studierenden im Plenum kamen hierzu kritische Anmerkungen und Nachfragen. Da das Thema Katar bei der Diskussion verstärkt aus dem Blickwinkel des Landes und von Vertreter*innen vor Ort aufgegriffen worden war, seien kritische Stimmen zu kurz gekommen. Ein Zuschauer meldete sich daraufhin mit einer direkten Frage an das Publikum zu Wort: „Wie viele von Ihnen waren selbst schon in Katar?“, fragte er die Anwesenden. Von den rund 200 Menschen im Publikum hoben zwei ihre Hände, woraufhin der Zuschauer zu Bedenken gab, dass es schwierig sei, die Veränderungen und positiven Entwicklungen im Land einordnen zu können, ohne selbst je dort gewesen zu sein.

Gegen Ende der Veranstaltung blendete Institutsmitarbeiter Maximilian Seltmann erneut ein Ergebnis einer der Abstimmungen ein, an denen die Zuschauer*innen teilnehmen konnten. Wie viele Menschen hatten ihre Meinung auf die WM in Katar nach der Diskussion verändert? Ungefähr die Hälfte, zeigte Maximilian Seltmann auf seiner Folie. Offen blieb jedoch, in welche Richtung sich die Meinung verändert hatte. Jürgen Mittag fasste den Abend so zusammen: „Wir haben verschiedene Sichtweisen kennengelernt. Die Diskussion ist noch nicht zu Ende und wir sind gespannt, was mit Anpfiff in Katar passiert.“   

Wer weitere Informationen zur Fußball-WM in Katar sucht und die sportpolitischen Hintergründe verstehen und einordnen möchte, findet in der aktuellen Folge des Spoho-Wissenschaftspodcasts interessante Einblicke. Univ.-Prof. Jürgen Mittag spricht in Folge 21 von „Eine Runde mit …“ über die umstrittene Vergabe der WM an Katar, über die sportpolitische Strategie Katars und über die Auswirkungen von Boykotten. Hier kommen Sie direkt zur Folge: www.dshs-koeln.de/einerundemit .

Ein Follow-Up zur Veranstaltung mit einer Umfrageauswertung, Fragen und Kommentaren des Abends sowie einem Faktencheck finden Sie beim Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung.

Verweise