Kritik am "westlichen Menschenrechte-Triumphalismus"

Prof. Hans Joas (re.) war der Einladung von Prof. Volker Schürmann, Abteilung Philosophie der DSHS, gefolgt, um einen Vortrag zum UNESCO-Welttag der Philosophie zu halten. (Foto: DSHS)

Menschenrechte und Menschenwürde werden gerne als Errungenschaften der westlichen Welt dargestellt. Diesen „westlichen Menschenrechte-Triumphalismus" unterzog Prof. Hans Joas anlässlich des UNESCO-Welttags der Philosophie in einem Vortrag an der Sporthochschule einer kritischen Prüfung. 

Während in anderen Regionen der Erde noch Folter und Sklaverei herrschten, sei die Idee der Menschenrechte ein Kennzeichen der westlich-europäischen Kultur. Mitunter wird mit einer gewissen Selbstgefälligkeit auf die „barbarischen Zustände“ in anderen Ländern geschaut.

Dieses Selbstverständnis – auch bezeichnet als „westlicher Menschenrechte-Triumphalismus“ – stellt der Soziologe Prof. Hans Joas kritisch in Frage. Nun legte der Inhaber der Ernst-Troeltsch-Honorarprofessur der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin seine Erkenntnisse dazu anlässlich des UNESCO-Welttages der Philosophie in einem Gastvortrag an der Sporthochschule dar. Der Titel „Sind die Menschenrechte westlich?“ hätte am gestrigen Donnerstag aktueller nicht sein können. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer in Hörsaal 1 hatten sicherlich noch die schrecklichen Bilder der jüngsten Terroranschläge von Paris im Kopf. Aktuellen Bezug zu den Anschlägen, bei denen 130 Menschen starben, ließ Joas in seinem Vortrag allerdings weitgehend außen vor. Stattdessen konzentrierte er sich innerhalb seiner 60-minütigen Redezeit auf die wichtigsten Aussagen aus zwei seiner Bücher: „Die Sakralität der Person“ von 2011 und die 2015 erschienene Abhandlung „Sind die Menschenrechte westlich?“.

Woher kommen die Menschenrechte? Wer hat sie für gut befunden? Und wer hat sie aufgeschrieben? Joas stellt die These auf, dass die Idee der Menschenrechte weder der Aufklärung noch dem Christentum zuzuordnen ist. Stattdessen habe es im 18. Jahrhundert „mehrere Ausgangspunkte einer rechtlichen Kodifizierung der Menschenrechte gegeben“, z.B. die Französische Revolution oder die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung – die Menschenrechte seien also vielmehr Ergebnis einer kulturellen Transformation, die nicht auf philosophische oder religiöse Traditionen reduziert werden kann. 

Die Geschichte der Menschenrechte macht Joas an zwei der gravierendsten Verstöße gegen die Menschenrechte fest, Sklaverei und Folter, bzw. vielmehr deren Abschaffung. So erinnerte Joas z.B. daran, dass die Folter, nachdem sie in vielen europäischen Staaten abgeschafft worden war, in den von den europäischen Staaten betriebenen Kolonien (z.B. von Frankreich und Großbritannien) weiter betrieben wurde – und zwar völlig legal. Ähnlich habe es sich mit der Sklaverei verhalten: Während in Europa die Idee der Menschenrechte entstand, entstanden in den europäischen Kolonien Gesellschaften, die sich ökonomisch auf die Sklaverei stützten. Mit diesen Argumenten wehrt sich Joas also gegen die weit verbreitete Behauptung, der Westen sei anderen Nationen gegenüber kulturell überlegen. Eine interessante Antwort lieferte Joas zum Abschluss seines Referats auf die Frage, wer die Menschenrechte denn nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt niedergeschrieben habe. Das waren nach heutigem Wissensstand ein Libanese und ein Chinese.

Es mögen nicht alle Zuhörerinnen und Zuhörer alle Details seines Vortrags verstanden haben. Aber auf jeden Fall hat es Hans Joas geschafft, für das Thema zu sensibilisieren und zu einem selbstkritischen Blick auf die Menschenrechte und die Menschenwürde anzuregen.