Mental nicht auf der Höhe?

Im Zuge der Berichterstattung zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio in diesem Jahr hat man es häufiger hören und lesen können: Athlet:innen gaben als Grund für ihre suboptimale Leistung an, „mental nicht voll da“ gewesen zu sein. Dazu passt, dass das deutsche Olympiateam bei den diesjährigen Sommerspielen gemessen an der Medaillenausbeute so schlecht war wie seit Barcelona 1992 nicht mehr. Damals gewannen die deutschen olympischen Athlet:innen 33 Gold-, 21 Silber- und 28 Bronzemedaillen. In diesem Jahr in Tokio waren es zehn Gold-, elf Silber- und 16 Bronzemedaillen. Eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthilfe hat nun Ergebnisse einer Athlet:innenbefragung vorgestellt, in denen Gründe für den schwindenden Erfolg liegen könnten.

In einer Onlinebefragung wurden im September und Oktober dieses Jahres Kaderathlet:innen, die von der Deutschen Sporthilfe gefördert werden, befragt. Die Angaben von 1.122 Athlet:innen flossen letztlich in die Auswertung ein, was einer Rücklaufquote von 29 Prozent entspricht. Die Ergebnisse sollen zeigen, wie die Athlet:innen die Bedingungen des persönlichen Umfelds, des Trainingsumfeldes und des gesellschaftlichen Umfeldes wahrnehmen und wie diese auf ihre mentale Präsenz und ihren sportlichen Erfolg wirken. In einer Onlinepräsentation stellten Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer und PD Dr. Kirstin Hallmann (Institut für Sportökonomie und Sportmanagement) ausgewählte Ergebnisse vorab vor; die finalen Ergebnisse werden im Januar 2022 zur Verfügung stehen.

Besonders interessant: Das Argument, zum Saisonhöhepunkt „mental nicht voll da“ gewesen zu sein, scheint nicht nur bei einzelnen Sportler:innen der Grund für schwächeres Abschneiden zu sein, sondern zeigt sich als systematisches Problem. Ein Drittel der Befragten gab dies an, unter den Finalteilnehmer:innen jede:r Vierte. Mentale Präsenz stelle jedoch eine der wichtigsten Einflussgrößen für sportlichen Erfolg von Athlet:innen dar, so die Studie. Ein weiteres Ergebnis: Rund 35 Prozent der Studienteilnehmer:innen geben an, dass es ihre finanzielle Lage ihnen nicht ermöglicht (hat), sich hinreichend auf den Sport zu konzentrieren.

Auch zu den deutschen Trainer:innen gibt es interessante Erkenntnisse: Zwei Drittel der Athlet:innen sagen, dass es in ihrer jeweiligen Disziplin in Deutschland Weltklassetrainer:innen gebe. Mit der Expertise der Trainer:innen sind 72 Prozent, mit dem Führungsstil 67 Prozent zufrieden: „Im internationalen Vergleich hat Deutschland hier Nachholpotenzial, Trainer:innen in anderen Ländern erfahren bessere Aus- und Weiterbildung, arbeiten unmittelbar und unbürokratisch mit sportwissenschaftlichen Instituten zusammen und werden häufig besser vergütet als in Deutschland“, so die Studie. Sportler:innen wünschen sich zudem mehr Wertschätzung und Unterstützung durch die Gesellschaft, Medien und Politik. Nur etwa die Hälfte der Athlet:innen ist damit zufrieden.

„Solch eine Studie kann natürlich nur ein Baustein von vielen Puzzleteilen sein. Die Ergebnisse sind aber sicherlich geeignet, Orientierungswissen zu geben, wo die Unzufriedenheit mit dem deutschen Spitzensportsystem genau sitzt“, ordnet Studienleiter Christoph Breuer die Relevanz der Erhebung ein. Und Thomas Berlemann, Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe, ergänzt: „In Deutschland sind wir gerade in vielerlei Hinsicht an einem Wendepunkt. Daher war es uns enorm wichtig, die Athlet:innen zu hören. Wir möchten eine Aufbruchstimmung erzeugen und wieder für das Leistungsprinzip werben. In diesem Umbruchprozess sieht sich die Sporthilfe als Katalysator.“ Die Sporthilfe möchte möglichst schnell auf die Ergebnisse reagieren und diese zunächst den nationalen Partnern und Förderern präsentieren.

Weitere Ergebnisse finden Sie auf der Webseite der Deutschen Sporthilfe.