SpoHo hebt wieder ab

ESA-Parabelflugkampagne im Juni 2015 (Foto: ©ESA_Anneke Le Floc'h)

Im Rahmen der 27. Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehen kommende Woche drei Experimente der Deutschen Sporthochschule Köln an Bord des Airbus 310 Zero-G in die Luft. 

Zum wiederholten Male ist die Deutsche Sporthochschule Köln damit auf dem Flugplatz im südfranzösischen Bordeaux, um bei den Untersuchungen in Schwerelosigkeit wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Wissenschaftliche Leiter der drei Experimente sind Prof. Dr. Stefan Schneider und Dr. Tobias Vogt (Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft und Zentrum für integrative Physiologie im Weltraum) sowie Prof. Dr. Otmar Bock und Dr. Uwe Hoffmann (Institut für Physiologie und Anatomie).

Beschreibung der Experimente:

  • Hirne im Weltall – Teil 3: Auf dem Weg zur Langzeitmission Entwicklung und Validierung einer neurokognitiven Testbatterie zum Einsatz im Russischen Segment der Internationalen Raumstation ISS; Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, Zentrum für integrative Physiologie im Weltraum

Das Leben unter extremen Bedingungen ist begleitet von einer Vielzahl an Stressoren. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen physiologischen Stressoren (zum Beispiel Schwerelosigkeit, fehlendes Sonnenlicht) und psychischen Stressoren (zum Beispiel Isolation). Aus einer Vielzahl von Studien der vergangenen Jahre sind die negativen Effekte von Stress auf die mentale Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit, beides Faktoren, die für den Erfolg und die Sicherheit einer Langzeitmission von Bedeutung sind, bekannt geworden. Nichtsdestotrotz bleiben viele Fragen bezüglich der Ursachen neurokognitiver Leistungsfähigkeit unbeantwortet, was sicherlich zum Großteil, zumindest aus neurophysiologischer Sicht, auf die Schwierigkeit der Nutzung bildgebender Verfahren unter solch extremen Bedingungen zurückzuführen ist. Darüberhinaus muss die Reliabilität und Validität bisheriger Testverfahren zur Erfassung (neuro-)kognitiver Prozesse im Zuge von Langzeitmissionen neu überdacht werden. Gegenwärtig tendiert man zur Entwicklung sogenannter eingebundener (embedded) Testverfahren, also Testverfahren, die in den Rahmen operationaler Anwendungen integriert werden und damit vor allem eine Zustimmung der untersuchten Crewmitglieder erhöhen.

Die Teilnahme an der 27. DLR-Parabelflugkampagne ermöglicht die Durchführung von Experimenten, die sich im Rahmen der experimentellen Möglichkeiten auf der ISS an den o.g. Vorgaben orientieren. Das gegenwärtig von der russischen Besatzung auf der ISS durchgeführte „Soyuz Docking Manöver Training“ eignet sich hervorragend für ein solches, eingebettetes Testverfahren, bei dem operationale Aspekte im Vordergrund stehen. Es soll in drei Studien untersucht werden, ob (1) mit Hilfe von gängigen bildgebenden Verfahren (EEG in Kombination mit quellenbasierter Elektrotomographie) neurokognitive Marker (P300) beim Docking Manöver Training abzubilden sind und diese mit der Qualität des Dockings korrelieren, (2) diese Marker und die Qualität des Dockings durch Stress beeinflusst werden und (3) ein adäquates Sport- und Bewegungsprogramm etwaigen negativen Effekten entgegenwirken kann und – wie allgemein angenommen – sich positiv auf die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit auswirkt. Zu diesem Zweck sollen im Rahmen der 27. DLR-Parabelflugkampagne die entwickelten Messapparaturen auf Funktionalität und Kompatibilität in Anwendung unter Schwerelosigkeit validiert werden.

Die Verwendung und Weiterentwicklung aktueller Technologien, die es ermöglichen, selbst unter extremen Umweltbedingungen neurokognitive Prozesse als auch deren Abhängigkeit von Stress und adäquaten Gegenmaßnahmen abzubilden, werden es nicht nur ermöglichen, die Auswirkungen von Stress auf die mentale Gesundheit besser zu verstehen und im Kontext der gegenwärtigen gesamtgesellschaftlich hochrelevanten (pathologischen) neurokognitiven Forschung zu verorten, sondern auch adäquate Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die zu einer Verbesserung der Sicherheit und des Erfolgs einer Langzeitmission im Weltraum beitragen können. 

  • Räumliche Orientierung und Zielmotorik: Wie bewegt man einen Schalter ‚nach unten‘ in Schwerelosigkeit? (Institut für Physiologie und Anatomie)

Um zielgerichtete Aktionen durchzuführen, zum Beispiel ein Werkzeug zu benutzen oder elektronische Geräte zu bedienen, müssen wir wissen, wo sich Gegenstände relativ zueinander und zu unserem Körper befinden. Auf der Erde werden solche räumlichen Zusammenhänge mit Hilfe einer stabilen, omnipräsenten und intuitiv verfügbaren Referenz ermittelt: der Schwerkraftrichtung. Wenn wir auf der Erde z.B. ein Licht ausschalten, müssen wir dafür meist einen Schalter nach „unten“ bewegen. Auf der Erde stimmt dieses „unten“ mit der Richtung der Schwerkraft überein. Nehmen wir nun an, dass ein Astronaut einen Prozess stoppen möchte, indem er einen Kippschalter nach unten umlegt: Die Richtung „unten“ ist in Schwerelosigkeit nicht ebenso intuitiv fassbar wie auf der Erde. Der Astronaut könnte „unten“ mit dem sichtbaren Fußboden gleichsetzen, mit der Richtung seiner Füße oder – beim Anblick eines anderen Astronauten – dessen Füße. Diese unterschiedlichen Referenzen stimmen miteinander meist nicht überein, und manche verändern sich wenn der Astronaut sich im Raumschiff bewegt. So wird er möglicherweise erleben, dass der Schalter sich in die vermeintliche Richtung „unten“ gar nicht bewegen lässt, wird sich neu orientieren und einen neuen Bewegungsplan entwerfen. Dies ist mit Verzögerungen und kognitivem Aufwand verbunden, und führt längerfristig eventuell zu Ermüdung und Fehlhandlungen.

Im Rahmen der 27. DLR-Parabelflugkampagne wollen wir untersuchen, inwieweit sich die veränderte räumliche Orientierung in Schwerelosigkeit auf die Durchführung von Zielbewegungen auswirkt. Dazu sollen die Probanden Schalter in die Stellung „Aus“ bringen, nachdem sie sich damit vertraut gemacht haben, dass in stehender Haltung auf der Erde die Stellung „Aus“ mit „unten“ übereinstimmt. Wir wollen die Verfügbarkeit und Richtung verschiedener Bezugssysteme der räumlichen Orientierung systematisch variieren, und die Auswirkungen auf die Richtung, Geschwindigkeit und Variabilität des Ausknipsens registrieren. Mit einem "Dual-task"-Ansatz wollen wir außerdem den kognitiven Aufwand bei Verwendung der unterschiedlichen Bezugssysteme erfassen.

Das Projekt leistet damit einen Beitrag zur Aufklärung grundlegender Zusammenhänge zwischen visuellen, nicht-visuellen und körperbezogenen Bezugssystemen der Zielmotorik. Durch die Verknüpfung von Wahrnehmung (räumliche Orientierung) und Handlung (Zielbewegung) leistet das Projekt zudem einen wichtigen Beitrag zur Planung und Durchführung und somit zum Erfolg zukünftiger Weltraummissionen. 

  • Gasaustausch- und Regulationskinetiken des Herz-Kreislauf-Systems – Auswirkungen kurzfristiger Gravitationsänderungen (Institut für Physiologie und Anatomie)

Die Regulation des Herz-Kreislauf-Systems, der Atmung und des Stoffwechsels nach Veränderungen der Umgebungsbedingungen und nach Leistungsänderungen sind entscheidend für die kognitive und physische Leistungsfähigkeit von Menschen. Besonders in Umgebungen mit akut wechselnden oder dauerhaft veränderten Gravitationskräften (G-Kräften), wie sie in der Luft- und Raumfahrt vorkommen, wird die Regulationsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems in Verbindung mit der Atmung und der Versorgung des Organismus mit Sauerstoff, sowie der Abtransport von Kohlenstoffdioxyd vor besondere Herausforderungen gestellt. Dies gilt in besonderem Maße bei Start und Landung in der Weltraumfahrt, wenn neben dem Wechsel zwischen 1 G und 0 G zusätzlich kurzfristige relativ hohe Beschleunigungen auftreten. Ähnliche Beschleunigungswechsel treten auch in der Luftfahrt bei Jetpiloten auf. Wenn Phasen mit hoher G-Kraft auf Phasen mit geringer G-Kraft folgen, nennt man dies den „Push-Pull-Effekt“. In Situationen, in denen hohe G-Kräfte wirken, werden sogenannte Anti-G-Manöver, wie Anspannung der Beinmuskulatur und Pressatmung, angewendet. Diese Reize der Anti-G- und Push-Pull-Manöver bewirken eine Reihe von Reizen des Herz-Kreislauf-Systems, deren Folgen  noch nicht eindeutig geklärt sind.

Mit dem Experiment während der Parabelflüge sollen die Auswirkungen der Anti-G-Manöver auf den Push-Pull-Effekt überprüft werden. Die Regulationskinetiken des Herz-Kreislauf-Systems als Reaktion auf höhere G-Kräfte werden nach den Schwerelosigkeitsphasen, die mit Anti-G-Manövern kombiniert werden, erfasst. Weiterhin sollen die Daten in Beziehung zu Parametern der Ausdauerleistungsfähigkeit sowie der Muskelkraft gesetzt werden, die in Vergleichsuntersuchungen erhoben werden. Grundsätzlich sollen die Daten ebenfalls der Modellierung physiologischer Prozesse dienen.

Mit diesem Experiment sollen unter kontrollierten Bedingungen die physiologischen Anpassungen des Herz-Kreislauf-Systems untersucht werden. Die Ergebnisse können wertvoll für das Training von Jet-Piloten sowie die Erfassung ihrer Anpassungsfähigkeit auf veränderte G-Kräfte sein. Die Ergebnisse sollen ebenso Hinweise für das körperliche Training der Jet-Piloten liefern. Zusätzlich können so grundsätzliche physiologische Regulationsprozesse analysiert werden. 

Zum Nachbericht auf den Seiten des DLR ...

Verweise