Sport als Brücke

Jürgen Mittag vor den Gästen aus China

Auf einer Tagung mit dem Titel „Changing Sports Development: China and Europe“, wurde die spannende Frage diskutiert, wie die chinesische und die europäische Sportentwicklung voneinander profitieren können. 

In gut vier Jahren wird Peking die erste Stadt des Planeten sein, die sowohl  Olympische Sommerspiele als auch die winterlichen Wettkämpfe unter der Flagge mit den fünf Ringen ausgetragen hat. Kein Wunder also, dass Prof. Dr. Jürgen Mittag zum Abschluss einer Tagung mit dem Titel „Changing Sports Development: China and Europe“, die Mitte Dezember an der Deutschen Sporthochschule Köln stattfand, feststellte: „Die Zukunft ist ganz sicher zu einem guten Teil asiatisch, und deshalb muss man sich mit China auseinander setzen“. Der Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung, das die Tagung veranstaltete, fand die beiden Tage mit den Gästen aus Fernost „hoch spannend“, er habe das Gefühl, dass ein verstärkter Austausch zu Sportthemen zwischen China und Europa dringend erforderlich ist.

Ähnlich argumentierte auch Prof. Dr. Stefan Schneider in seiner Einführungsrede. Sport sei angesichts der großen kulturellen Unterschiede eine „internationale Sprache“, die Brücken schlagen könne, sagte der Prorektor für Außenbeziehungen und Wissensmanagement und hob die Bedeutung des Austausches hervor, die Partnerschaft mit China werde „tiefer und immer wichtiger“.

Tatsächlich funktioniert der Prozess der Annährung auf der Ebene des Sports vergleichsweise gut, wie Mittag in seinem Vortrag am ersten Veranstaltungstag erläuterte. „Trainer und Akademiker sind hier Pioniere“, sagte er, „die Zusammenarbeit wächst stark“, was zu einem Abbau von Misstrauen und Vorurteilen beitrage. Vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 sei in europäischen Leitmedien nur selten und fast ausschließlich negativ über die Sportnation China berichtet worden, „nach 2008 hat sich das verändert, hin zu einer sehr differenzierten Betrachtung“, so Mittag.

Vor allen Dingen die Fußballmanager in Europa betrachten China längst als große Chance. Über Spielertransfers erhoffen sie sich Millionen-Einnahmen, und der Markt mit den vielen Menschen hat zu einer regelrechten Goldgräberstimmung in den Geschäftsführungen europäischer Großklubs geführt. Die Chinesen erhoffen sich im Gegenzug Know-How, um ihre eigenen Teams zu entwickeln, also ging es einen ganzen Nachmittag um den Fußball, der bislang einen überraschend geringen Stellenwert hat. Unter Chinas beliebtesten TV-Sportarten rangieren die Fußballer nur auf Rang neun, und was Straßensport betrifft, ist Basketball deutlich verbreiteter. Nicht zuletzt deshalb werden große Anstrengungen unternommen, um eine Fußballkultur zu etablieren, schließlich will Staatspräsident Xi Jinping sein Land unbedingt auch auf diesem Spielfeld als Großmacht etablieren.

Bei diesem mit viel Energie betriebenen Großprojekt sollen Umwälzungen helfen, von denen die chinesische Sportorganisation seit rund 20 Jahren geprägt ist. Dr. Zheng Zong von der Chengdu Sport University beschrieb eindrucksvoll, inwiefern der Sport nach einem  jahrzehntelangen Zentralismus eine Art Vorreiterrolle auf dem Weg zur Selbstorganisation übernommen hat. Bis 1995 hat die Regierung in Peking den Sport praktisch komplett kontrolliert und konsequent den eigenen Interessen unterworfen. Erst 1995 wurde dieser Ansatz fundamental verändert – eine Entwicklung, die rund um die Olympischen Spiele 2008 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Teile der Gesellschaft öffneten sich, die Wirtschaft auch, und die Regierung entwarf ein Konzept, von dem man sich Erfolge bei den großen internationalen Wettbewerben erhoffte. Die Ausbildung wurde dezentralisiert, die Provinzen sollten miteinander konkurrieren, um  - angetrieben vom Wettbewerb – möglichst viele Weltklassesportler hervorzubringen. Für die Sommerspiele hat das gut funktioniert, und diese Dynamik soll weiter forciert werden. Um im Fußball endlich mal wieder an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu können, werden gerade 50.000 Sportschulen gegründet, zudem sollen Wintersportler herangezogen werden, schließlich werden 2022 erstmals Winterspiele in China stattfinden.

Aus mitteleuropäischer Sicht wirkt dieses planvolle Vorgehen mitunter befremdlich, gerade erst wurde ja die Serie von Testspielen der chinesischen U20 gegen deutsche Regionalligisten beendet, weil die Gäste den Protest von Tibet-Aktivisten am Rande der ersten Partie unerträglich fanden. Aber Mittag sagte, dass die Entwicklungen im Sport, die zunehmende Selbstbestimmung in den Provinzen und demokratische Ansätze in vereinsähnlichen Organisationen mittelfristig einen wertvollen Beitrag zum Wandel der chinesischen Gesellschaft leisten könnten.