Von globaler Ungleichheit zu Fairplay?

v.l.n.r.: Stefan Wagner (CSR-Experte bei TSG Hoffenheim), Anne Rehner (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mittag (Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung) und Dr. Gisela Burckhardt (Vorstandsvorsitzende Femnet e.V.) (Foto: Engagement Global/Bozica Babic)

Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich 2015 verpflichtet, den Kampf gegen Armut, Diskriminierung und Umweltverschmutzung aufzunehmen. Sie haben sich 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung gesteckt. Angelehnt an diese Ziele der Agenda 2030 organisieren das Programm „Entwicklungsbezogene Bildung in Deutschland“ (EBD) von Engagement Global und das Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung (IESF) der Deutschen Sporthochschule gemeinsame Themenwochen.

Unter dem Motto „Sport. Global. Nachhaltig.“ steht in diesem Jahr insbesondere das Ziel Nummer 10 – „Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern“ – im Fokus. In 13 institutsübergreifenden Veranstaltungen gehen Studierende der Sporthochschule und externe Interessierte zusammen mit Expert*innen der Frage nach, welchen Beitrag der Sport zur Verringerung von Ungleichheiten leisten kann. Die Nachhaltigkeit in der Produktion von Sportartikeln stand am 13. November im Hörsaal 1 der Sporthochschule zur Diskussion. Moderiert von IESF-Leiter Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mittag sprachen Dr. Gisela Burckhardt (Vorstandsvorsitzende Femnet e.V.), Stefan Wagner (CSR-Experte bei TSG Hoffenheim) und Anne Rehner (Referentin „Sport für Entwicklung“ im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ) über Möglichkeiten und Herausforderungen in der nachhaltigen und fairen Sportartikelherstellung.

Prof. Mittag machte gleich zu Beginn die Bedeutung des Themas deutlich: Im vergangenen Jahr wurden mit Sportbekleidungsartikeln 174 Milliarden Euro weltweit umgesetzt; das sei die Hälfte dessen, was in der mächtigen Automobilindustrie verdient würde. Sporttextilien werden, wie ein Großteil der gesamten Bekleidung, in den Billiglohnländern Südostasiens produziert. Die Arbeitsbedingungen der Näherinnen seien katastrophal, sie arbeiteten oft in zwölf- bis 16-Stunden-Schichten, seien giftigen Chemikalien ausgesetzt, dürften sich nicht organisieren, verfügten über keinerlei Arbeitsschutz geschweige denn Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In den westlichen Ländern könnten die Konsument*innen dafür T-Shirts für zwei Euro kaufen.

Dies bestätigte auch Anne Rehner vom BMZ: „Ein T-Shirt hat 18.000 km zurückgelegt, bevor wir es im Laden kaufen können. Auf dem Weg liegen viele Stationen der Lieferkette, die wir uns alle anschauen müssen. Gerade haben wir ein Siegel eingeführt, den ‚Grünen Knopf‘, das den Kund*innen eine Orientierung beim Einkaufen gibt. Das Siegel stellt verbindliche Anforderungen, um Mensch und Umwelt zu schützen. Da geht es um Verbote von Zwangs- und Kinderarbeit, aber auch um Abwassergrenzwerte. Wir appellieren auch an die Sorgfaltspflicht der Unternehmen und setzen auf die Konsument*innen, die beim Einkauf Verantwortung übernehmen. Außerdem sind wir dringend auf das Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen angewiesen."

Wie zum Beispiel Dr. Gisela Burckhardt, die vor zwölf Jahren den Verein Femnet gründete, der sich u.a. für menschenwürdige Bedingungen bei der Textilproduktion einsetzt. Auch sie war sich sicher, dass der Kampf für eine faire und nachhaltige Herstellung von Kleidung nur mit Hilfe vieler Akteure gelingen kann. Femnet setzt auf konkrete und sichtbare Aktionen. So hat der Verein in Bangladesch ein Näherinnen-Café eingerichtet, in dem sich die Frauen austauschen und unterstützen können. In Myanmar haben Frauen die Möglichkeit, sich über eine von Femnet initiierte App über Arbeitssicherheit und -recht zu informieren. In Deutschland bietet die NGO allen Menschen die Möglichkeit, in einem Einkaufsführer nachzulesen, welche Läden fair und ökologisch produzieren lassen oder welche Siegel welche Standards garantieren. „Ich habe auch schon vor den Tchibo-Filialen gelegen, um auf das Unternehmen Druck auszuüben. Der CEO hat uns erst nicht ernst genommen“, erzählte Burckhardt, „aber schließlich haben sie ihre Einkaufspraktiken verändert und eine große CSR-Abteilung aufgebaut“.

Bei Sportvereinen, insbesondere Fußball-Bundesligisten, ist es schwierig, beim Thema Nachhaltigkeit voranzukommen, wusste Stefan Wagner zu berichten. Er ist Experte für Corporate Social Responsibility (CSR) bei TSG 1899 Hoffenheim und war vorher schon bei anderen Bundesliga-Clubs beschäftigt. „Sport ist Wettbewerb in Reinkultur. Es geht um maximalen Erfolg bei gleichzeitiger Vermeidung der Insolvenz. Der Anspruch an ein Engagement im Bereich sozialer Gerechtigkeit oder auch Klimaschutz geht oft gegen null. Hier wird sich also nur etwas ändern, wenn Nachhaltigkeit einen wirtschaftlichen Nutzen hat“, erklärte Wagner. Folgerichtig habe er auf ein Projekt gesetzt, das im ostafrikanischen Uganda eine faire Produktion ermöglicht, aber auch dem Verein zu Gute kommt. Im Namen der TSG sei es gelungen, eine eigene Textilmarke auf den Weg zu bringen, bei der von der Baumwollpflanze bis zum fertigen T-Shirt alle Produktionsschritte an einem Ort stattfinden und die Arbeiter*innen unter guten Bedingungen einen existenzsichernden Lohn bekommen. Es geht hier nicht um Trikots oder Merchandisingprodukte, sondern um normale Alltagskleidung. „Wir wollen unseren Partnern in Uganda Marktzugänge verschaffen, auch über Sponsoren und die ganze Bundesliga“, sagte Wagner.

Als Gisela Burckhardt darauf hinwies, dass sich der Ausstatter des Hoffenheimer Clubs Joma genau wie Adidas weigere, bei der Bundesinitiative für existenzsichernde Löhne mitzumachen und gleichzeitig genveränderte Baumwolle und gesundheitsschädigende Chemikalien verwende, entgegnete Wagner: „Wir können nur die Dinge ändern, die möglich sind. Nachhaltigkeit ist eine Frage der Haltung – und nicht meiner persönlichen. Das oberste Management muss die Agenda 2030 mittragen, sonst läuft gar nichts. Unsere afrikanische Marke dient als positives Beispiel, vielleicht als Vorbild.“

Alle drei Referent*innen waren sich einig, dass es nicht reichen wird, auf freiwilliges Engagement von Konsument*innen und Unternehmen zu setzen. Deutschland ist der zweitgrößte Importeur von Textilien weltweit, von 2010 bis 2015 gab es eine Steigerung von 50 auf 100 Milliarden Kleidungsstücke, die weltweit verkauft wurden. „Diese Überflussproduktion muss aufhören“, mahnte Burckhardt. Es gebe zwar mehr Angebote für ökologische und faire Kleidung und viele Unternehmen würden sich mit dem Thema beschäftigten. „Aber wir brauchen jetzt mehr politischen Druck, auch auf europäischer Ebene.“ Wagner stimmte ihr zu: „Nur klare gesetzliche Rahmenbedingungen können flächendeckend etwas erreichen.“ Als Vertreterin des Bundesministeriums nickte Anne Rehner dazu und appellierte abschließend an die studentische Zuhörerschaft: „Sie als junge Menschen können das Wissen in Ihrer Generation verbreiten und selber beim Einkaufen nachdenken, bevor Sie das billigste Teil nehmen. Und als Wissenschaftler können Sie später die Forschung an sauberen und nachhaltigen Materialien voranbringen.“

Diese Anregungen ins Praktische umsetzen und vielleicht mal ein Secondhand-Kleidungsstück auftragen konnten die Studierenden dann bei einer Kleidertauschbörse im Foyer. Hier bot sich am Rande auch die Gelegenheit, sich mit den Referent*innen auszutauschen.

Die Veranstaltungsreihe läuft noch bis einschließlich 28. November. Das ganze Programm gibt es hier.