Vortrag: Darf Semenya starten?

Wie viele Geschlechter gibt es eigentlich? Und wie sollte dieses Thema im Sport behandelt werden? Der US-Sportrechtler Prof. Ron Katz von der Stanford Law School beschäftigt sich als Anwalt schwerpunktmäßig mit den Rechten von Intersexuellen. Er diskutierte bei seinem Vortrag an der Deutschen Sporthochschule Köln die Frage, ob der Fall Caster Semenya in der Vergangenheit richtig behandelt wurde und ging dabei auf die jüngste Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes (CAS) im Fall Semenya ein.

Gender Fluidity spielt mittlerweile auch im Sport eine große Rolle und steht zunehmend zur Debatte. Ist die bisherige Unterteilung in die Kategorien Frauen und Männer überhaupt noch möglich? Dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt zeigt der Fall Caster Semenya. Die südafrikanische Leichtathletin gilt als intersexuell. Ihr wird vorgeworfen, durch einen erhöhten Testosteronspiegel Vorteile in bestimmten Sprint-Disziplinen zu haben.

So war die Debatte über ihr Geschlecht in den letzten Jahren immer wieder Thema in  Medienberichten, Gerichtsverfahren und Teil des gesellschaftlichen Diskurses. In seinem Vortrag kritisierte Ron Katz nicht nur den dadurch entstanden Eingriff in die Privatsphäre der Athletin, sondern auch die Vorgehensweise des Weltleichtathletikverbands IAAF und die Entscheidung des CAS. Dieser verkündete am 1. Mai 2019, dass  Frauen, die einen erhöhten Testosteronspiegel haben, eine gewisse Obergrenze (5 nmol/l) nicht überschreiten dürfen. Ist dies der Fall, müssen sich die Frauen einer  testosteronsenkenden Behandlung unterziehen, wenn sie starten wollen. „There is no proper amount of testosterone for women and there is no proper amount of testosterone for men”, sagte Katz, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Für ihn ist klar: Bei dieser Entscheidung handelt es sich um Diskriminierung. Denn der Beschluss beziehe sich nur auf Frauen, doch auch bei Männern könne der Testosteronwert unterschiedlich hoch sein. Für ihn  beruhe das Urteil nicht auf Fakten und Gesetzen, sondern auf Vorurteilen und sexuell geprägten Stereotypen. Er betrachtet einen erhöhten Testosteronspiegel eher als eine physische Gegebenheit die einem Sportler oder einer Sportlerin nicht mehr oder weniger Vorteile bringe, als im Falle anderer Ausnahmeathlet*innen ein größeres Lungenvolumen oder längere Beine.

In einer anschließenden Fragerunde stellte sich Ron Katz unter anderem der Frage, welche konkreten Konsequenzen er für den Umgang mit dieser Thematik vorschlage. Darauf hatte auch er noch keine abschließende Lösung. Dass es in Zukunft eine dritte Kategorie geben könnte, schließt er jedenfalls nicht aus und ist der Meinung: „We’re just beginning this revolution“.

Sein Fazit: Der beste Weg sei es, die sportrechtlichen Regularien zu umgehen, über staatliche Gerichte weiter für die eigenen Rechte zu kämpfen und so lange einfach weiter zu starten. Genau so, wie es Semenya am vergangenen Wochenende beim Diamond League Meeting in den USA – trotz des Dauerstreits mit der IAAF – wieder getan hat und das 800-Meter-Rennen mit rund zwei Sekunden Vorsprung vor ihrer Kontrahentin gewann. Einen Weltrekord stellte sie damit aber nicht auf. Den hält seit 1983 die tschechische Leichtathletin Jarmila Kratochvílová. Ein Grund zum Nachdenken.

Der Vortrag von Prof. Ron Katz war Teil der SpoHo-Diversity-Days, die sich auch in dieser Woche über ein umfassendes Veranstaltung- und Informationsangebot schwerpunktmäßig mit sexueller Vielfalt beschäftigen. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die weiteren Veranstaltungen zu besuchen. Einen Überblick erhalten Sie hier.