Wie viel Sport steckt im eSport?

v.l.n.r.: Hans Jagnow (ESBD), Prof. Ingo Froböse (Sporthochschule), Wolf-Dieter Poschmann (Moderator), Dr. Daniel Illmer (DOSB), Prof. Volker Schürmann (Sporthochschule)

Kontroverse Diskussionen und gegensätzliche Positionen beim 17. Kölner Abend der Sportwissenschaft zum Thema eSport.

Die Welt des Sports ist in den letzten Jahrzehnten vielfältiger und facettenreicher geworden und hat sich auch an ihren Rändern ausgefranst. Die Diskussion darüber, was Sport ist, ist dabei nicht neu. Man erinnere sich an Trendsportarten wie Skateboarden, Klettern oder Surfen, deren Emporkommen heiß diskutiert wurde und die bei den Olympischen Spielen 2020 erstmals zu den olympischen Sportarten gehören. Dass eSport ein globales Massenphänomen ist, das mehr als 100 Millionen User und über 400 verschiedene Spiele umfasst, sich gleichzeitig als Wettkampf und lukratives Geschäftsfeld etabliert hat, ist eine Tatsache. Eine leidenschaftliche Diskussion entbrennt sich aber aktuell an der Frage, ob es sich beim Gaming um Sport oder gar um eine Sportart handelt und ob damit der Weg in einen Sportdachverband geebnet sein müsste. Diesen und vielen weiteren Fragen widmete sich der 17. Kölner Abend der Sportwissenschaft (KAdS) an der Deutschen Sporthochschule Köln.

In zahlreichen Ländern ist eSport bereits im Sportartenkanon angekommen; in Deutschland gibt es starke Bemühungen des eSport-Bundes Deutschland (ESBD), mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zumindest zu kooperieren. „Wir sind mit dem Ziel an den DOSB herangetreten, über gemeinsame Handlungsfelder und Perspektiven zu sprechen. Dabei ging es nicht um einen Aufnahmeantrag, sondern eher um eine Kooperationsvereinbarung. Aber wir sind nur auf Ablehnung gestoßen“, beschreibt Hans Jagnow, Präsident des ESBD, die Bemühungen seines Verbandes. Als eSport-Versteher stellte der Moderator des Kölner Abends der Sportwissenschaft, Wolf-Dieter Poschmann, den Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation, Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse, vor. Der beschäftigt sich seit mehreren Jahren wissenschaftlich mit eSportler*innen, hat erste repräsentative Studien zum Anforderungsprofil und zu den Fähigkeiten im eSport durchgeführt und vertritt nach außen die klare Meinung, dass für ihn eSport „echter“ Sport ist. Zum einen finde eSport eben nicht nur vor der Konsole statt, sondern werde mittlerweile immer bewegter, z.B. durch die Möglichkeiten der virtuellen Realität. Zudem fordere eSport neben herausragenden motorischen Fähigkeiten körperliche Höchstleistung bezogen auf die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit, taktische Fähigkeiten, Wahrnehmung oder Stressresistenz.

Von diesen Argumenten ließ sich Univ.-Prof. Dr. Volker Schürmann, Leiter des Instituts für Pädagogik und Philosophie, nicht überzeugen. Er nahm die gegensätzliche Position ein, stellte Gaming auf eine Ebene mit dem Klavierspielen und führte zwei harte Punkte ins Feld: „Erstens: Beim virtuellen Spielen geht es nicht darum, eine körperliche Leistung zu zeigen oder diese zu vergleichen. Zweitens: Gaming ist ein riesiges Geschäft, das rein ökonomische Interessen verfolgt.“ Dr. Daniel Illmer vom DOSB skizzierte, wie eine Sportart zur Sportart wird und als Mitglied in den Verband aufgenommen werden kann: „Wir entscheiden, welche Sportarten unter dem Dach des DOSB repräsentiert werden. Wir treffen nicht die Entscheidung, was Sport ist.“ Die drei wichtigsten Kriterien, denen der DOSB bei der Bewertung folgt, sind (1) die sportartbestimmende motorische Aktivität, (2) der Selbstzweck und (3) die ethisch vertretbaren Werte. Vor allem den zweiten und dritten Punkt sieht Illmer beim eSport als kritisch an. „Ein Großteil der Spiele ist nicht mit unserem Werteverständnis vereinbar. Zudem ist eSport ein Geschäft, über dessen Regeln und Funktionen ausschließlich die Publisher entscheiden“, sagte der DOSB-Vertreter und schlug damit in dieselbe Kerbe wie Sportphilosoph Schürmann.

Zum Ende der Diskussion versuchte Ingo Froböse, einen gemeinschaftlichen Weg beider Lager einzuschlagen: „Ich suche nach einer Lösung für eine Zusammenarbeit; Konfrontation bringt uns hier nicht weiter.“ DOSB-Mann Illmer sicherte zu, dass der DOSB offen sei für digitale Innovationen, „aber auf Basis unserer Werte“. Schürmann blieb am Ende dabei, dass er weder Gründe noch ernstgemeinte Interessen dafür erkenne, eSport als Sportart anzuerkennen.

Wie der Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, Univ.-Prof. Dr. Heiko Strüder, in seinen Eingangsworten erwähnte, zeichne sich eine Universität durch unterschiedliche Auffassungen aus. „Diversität nach innen und außen, Vielfalt und Pluralität machen eine leistungsstarke Universität aus“, konstatierte Strüder. Daher könne es trotz intensiver gesellschaftlicher Forderungen häufig keine einstimmige Meinung der Deutschen Sporthochschule Köln zu einem Thema geben. „Wissenschaft gewinnt Erkenntnisse aus unterschiedlichen Zugängen und Ansätzen. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag dazu, dass sich Menschen auf Grundlage unterschiedlicher Argumente eine eigene Meinung bilden können.“ Diesem Anspruch, unterschiedliche Sichtweisen aufzuzeigen, kam der 17. Kölner Abend der Sportwissenschaft auf kontroverse Art und Weise nach. Zur Frage, ob eSport echter Sport ist, konnte man sich unterm Strich aber lediglich darauf einigen, dass man sich uneins ist.