Mit Köpfchen und Körper: Gesund altern
Der demografische Wandel vollzieht sich unaufhaltsam: Das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass im Jahr 2050 jede zweite Person in Deutschland älter als 50 Jahre sein wird. Dieser Prozess stellt unsere Gesellschaft schon heute vor große Herausforderungen, die sich in den nächsten Jahren noch verstärken werden. Bereits jetzt sind so viele Menschen pflegebedürftig wie nie zuvor: Ende 2023 waren es 5,7 Millionen (Statista). Mit der Verlängerung unserer Lebenserwartung stellt sich also zwangsläufig die Frage nach der Qualität des Alterns. Der Wunsch nach einem selbstständigen und selbstbestimmten Leben, auch im höheren Lebensalter, spielt hierbei eine besondere Rolle. Dabei scheint körperliche Aktivität ein bedeutender Baustein zu sein, um gesund zu altern.
Genau dies erforscht das Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie der Deutschen Sporthochschule Köln. Das Institut befasst sich in Forschung und Lehre mit der Frage, wie und warum sich im Verlauf des Alterns körperliche Aktivität und Funktionsfähigkeit verändern. Die Forschungsergebnisse werden genutzt, um effektive evidenzbasierte Interventionen zu entwickeln, die Menschen ermöglichen, ein aktives und selbstständiges Leben bis ins hohe Alter zu führen. Denn: Je älter die Menschen werden, desto größer ist auch das Sturzrisiko (siehe dazu auch S. 33). Die Sturzprävention hat als Forschungsthema eine lange Tradition am Institut. Forschungsprojekte wie iStoppFalls, My Active and Healthy Aging (My-AHA), FARSEEING u.v.m. wurden in den vergangenen Jahren erfolgreich durchgeführt. Aus einigen Projekten haben sich konkrete Konzepte entwickelt, zum Beispiel ein gerätegestützter Sturzpräventionszirkel, ein Steppingprogramm, ein Trainingskarussell für Demenzpatient*innen; aktuell wird im Rahmen eines VR-Projekts eine virtuelle Welt programmiert, die zur Sturzprävention dienen soll oder auch ein Step-Aerobic-Training als spezifisches Trainingsprogramm für ältere Erwachsene entwickelt.
Was bedeutet gesundes Altern?
Für mich bedeutet gesundes Altern, den Alltag immer wieder neu zu gestalten und Neues zu lernen. Wenn wir Routinen aufbrechen, fordern wir das Gehirn heraus, flexibel zu bleiben, und trainieren gleichzeitig, unsere Bewegungen bewusster und sicherer auszuführen. Das gilt nicht nur für ältere Menschen. Menschen jeden Alters sollten Neues ausprobieren – sei es ein Sport, eine Sprache oder eine andere Fähigkeit, um Körper und Geist langfristig gesund und anpassungsfähig zu halten.
Was erforschen Sie in dem Zuge?
Ich beschäftige mich mit der Frage, wie Bewegung und Denken zusammenwirken und wie beides im Alter trainiert werden kann. Besonders interessiert mich, wie Alltagsroutinen unser Altern beeinflussen. Wenn wir über viele Jahre hinweg Tag für Tag die gleichen Bewegungen machen und immer wieder die gleichen Gedanken denken, wird das irgendwann zur Routine und schließlich zur Gewohnheit. Doch wenn wir uns auf Neues einlassen, können wir unseren Geist und Körper wachhalten und dem Alterungsprozess aktiv entgegenwirken. In meiner Forschung untersuche ich deshalb, wie man gewohnte, automatische Reaktionen hemmen und stattdessen sicher reagieren kann.
Was hat Sie persönlich zu diesem Forschungsthema gebracht?
Nach meinem Sportstudium in Südkorea habe ich in einem großen Seniorenzentrum gearbeitet und dort Gespräche mit älteren Menschen geführt – über ihr Leben und ihre Wünsche. Auch mit Blick auf meine eigene Familie, meine Großeltern und Eltern wollte ich besser verstehen, wie ältere Menschen länger selbstständig und mobil bleiben können. Es hat mich gereizt, tiefer in dieses Forschungsthema einzutauchen, weshalb ich 2013 den Masterstudiengang Sport- und Bewegungsgerontologie an der Sporthochschule begann – das war für mich der ideale Einstieg in die Forschung.
Das Thema Sturzprävention im Alter wird schon lange an Ihrem Institut bearbeitet. Wie lassen sich Stürze vermeiden?
Um Stürze zu vermeiden, reicht es nicht, nur die Muskulatur zu trainieren. Wichtig ist auch, die geistige Fitness und die Flexibilität im Alltag zu fördern. Hier gilt es, Routinen zu hinterfragen, neue Bewegungs- und Denkaufgaben einzuüben und komplexe Alltagssituationen gezielt zu trainieren, zum Beispiel, wie man bei unerwarteten Hindernissen oder plötzlichen Reizen bewusst reagiert. Genau hier setzen wir mit unseren Forschungsprojekten an. Wir entwickeln Trainings, die motorische und kognitive Elemente verbinden, sodass ältere Menschen lernen, sicherer, aufmerksamer und anpassungsfähiger zu handeln.
Sie beschäftigen sich auch mit der Wegfindungs- oder Orientierungsfähigkeit im Alter. Welche Erkenntnisse haben Sie dazu bereits gewonnen?
Für die räumliche Orientierung sind zwei Fähigkeiten wichtig: die Ich-Perspektive, die Orientierung aus der eigenen Sicht, und die Vogelperspektive, die Fähigkeit, sich zum Beispiel auf einer Straßenkarte zurechtzufinden. Im Alter können diese Fertigkeiten nachlassen, was die Alltagsmobilität älterer Personen einschränken kann, weil sie sich etwa in neuen Umgebungen nicht mehr so gut zurechtzufinden. Interessanterweise haben wir in einer Studie aber festgestellt, dass sich diese Defizite in der Realität oft weniger stark zeigen als in Laborsettings. Bewegung im Alltag, zum Beispiel im Straßenverkehr, scheint also ein wichtiger Schlüssel zu sein, weil sie das Gehirn auf vielfältige Weise fordert und unterstützt. Orientierungsfähigkeit hängt also nicht nur von körperlicher Fitness ab, sondern auch davon, wie wir unsere Alltagsroutinen gestalten.
Welche gesellschaftliche Relevanz hat Ihre Forschung – etwa mit Blick auf den demografischen Wandel?
Wir wissen, dass der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft deutlich zunimmt. Damit steigt auch das Risiko von Stürzen und kognitiven Einschränkungen. Wenn eine ältere Person stürzt oder sich nicht mehr so gut orientieren kann, hat das nicht nur gesundheitliche Folgen, sondern auch Auswirkungen auf das gesamte soziale Umfeld. Prävention ist daher nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich enorm wichtig. Mein Ziel ist es, präventive Ansätze zu entwickeln, die über klassisches Training hinausgehen.
Gibt es bereits Beispiele, in denen Ihre Forschung in der Praxis Anwendung findet?
Aktuell entwickeln wir in Kooperation mit der Polizei Köln, Direktion Verkehr, ein Trainingskonzept für den sicheren Straßenverkehr im Alter. Wir haben bereits zwei Workshops mit älteren Menschen durchgeführt, bei denen die Polizei wichtige Kenntnisse zur sicheren Verkehrsteilnahme vermittelt und unser Team ein Bewegungsprogramm beisteuert, das Fähigkeiten wie Reaktionsvermögen, Aufmerksamkeit und Orientierung gezielt fördert. Ein weiteres Projekt war eine Studie zur Orientierung in Zusammenarbeit mit dem Museum Ludwig in Köln. Hier haben wir untersucht, wie sich ältere Menschen in komplexen räumlichen Umgebungen zurechtfinden – sowohl in der Realität als auch in virtuellen Simulationen. Solche Ergebnisse können perspektivisch helfen, öffentliche Räume altersgerechter zu gestalten und ältere Menschen zu unterstützen, ihre Selbstständigkeit zu bewahren.
Woran arbeiten Sie aktuell und was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Forschung?
Neben den Projekten zur Sturzprävention im Straßenverkehr und zur bewegungsbezogenen Wegfindung beschäftige ich mich auch mit sportlichen Kontexten. Mich interessiert, wie unterschiedliche Sportarten die körperliche und geistige Gesundheit älterer Menschen fördern können und welche Rolle kognitive Funktionen dabei spielen. Langfristig wünsche ich mir, dass wir Trainingskonzepte entwickeln, die direkt in der Praxis Anwendung finden, sodass ältere Menschen konkrete, leicht zugängliche Angebote nutzen können, die sowohl ihre körperliche Fitness als auch ihre geistige Flexibilität fördern und damit ihren Alltag spürbar verbessern.
Dr. Kyungwan Kim (39) forscht an der Schnittstelle von Bewegung und Kognition – mit einem besonderen Fokus auf das Altern. Seine Studien beschäftigen sich mit der Frage, wie ältere Menschen geistig und körperlich fit bleiben können. Dr. Kim hat von 2013 bis 2016 den M.Sc. Sport- und Bewegungsgerontologie studiert und danach an der Sporthochschule promoviert. Wir haben mit ihm über seine Forschung, deren gesellschaftliche Relevanz und seine persönliche Motivation gesprochen.
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