Warum steckt der Sportjournalismus in der Krise?

Ein Kommentar von Christoph Bertling

Die Liste der Verfehlungen ist lang: Eine KI-generierte Persona wird als Sportreporter ausgegeben. Ein frei erfundenes Interview lässt Mike Tyson von Prosa träumen. Fake News über Sportstars kursieren im Netz. TV-Kommentatoren moderieren Firmenevents. Manipulierte Berichte sorgen für einen TV-Skandal und Gefängnisstrafen. Keine Frage: Der Sportjournalismus ist in der Krise. Doch wie ist er dort hingelangt? 

Die Antwort: Der Sportjournalismus ist ein Sonderling, der in finanziell schwierigen Zeiten immer sonderlicher wird – und dem dringend aus seinen Dilemmata geholfen werden muss.

Gehen wir es der Reihe nach an. Zuerst lässt sich festhalten: Der Sportjournalismus ist ein Sonderling. Wie ein Chamäleon wechselt er zwischen wirtschaftlichem Handeln und gesellschaftlicher Verantwortung. Eine Ambivalenz, die viel stärker als im Politik- oder Wirtschaftsjournalismus zutage tritt. 

Im Vordergrund steht beim Sportjournalismus die Unterhaltung. Die Show. Der Wettkampf. Die Höchstleistung. Das soll hohe Reichweiten und Werbeeinnahmen bringen. Doch das ist erst mal teuer. Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften im Männer-Fußball sind die teuersten Lizenzwaren, die der Medienmarkt bietet. Sportredaktionen stehen deshalb unter besonders starkem wirtschaftlichen Druck. Da solche Waren enorm kostenintensiv sind, muss ein Massenpublikum mit einer kolossalen Unterhaltungsshow bespaßt werden. Einerseits. Andererseits soll die teure Medienware kritisch-investigativ behandelt werden. Sportjournalismus soll ein Wächter der Demokratie sein. Dopingskandale aufdecken, Korruptionen recherchieren. Er soll informativ, objektiv, kritisch sein. Zur Meinungsbildung beitragen. Eine Quadratur des Kreises. Wie soll Sportjournalismus objektiv sein, wenn sein Medienunternehmen die Übertragungsrechte sündhaft teuer eingekauft hat und eine bestmögliche Vermarktung einfordert?

Viele solcher Paradoxien und Dilemmata brechen in krisenhaften Zeiten außergewöhnlich stark durch. Ein Hauptschuldiger ist die Intransparenz des Medienmarktes. Während unterhaltende Inhalte als Erfahrungsgut seitens des Publikums eingeschätzt werden können (und es sich lohnt, qualitativ hochwertig zu produzieren), ist dies beim kritisch-investigativen Sportjournalismus als Vertrauensgut anders. Hier lässt sich seitens des Publikums so gut wie gar nicht einsehen, wie qualitativ hochwertig produziert wird. Und das lässt sich ausnutzen. Und zwar gewaltig. Ein Beispiel: Man spricht mit niemandem, produziert „remote“, recherchiert nur im Internet und bedient sich an PR-Materialien. Otto-Normalverbraucher merkt es nicht.

In Zeiten, in denen der Sportjournalismus durch digitale Konkurrenz stark unter wirtschaftlichem Druck steht, ist das moralische Risiko sehr groß, geringe Produktqualität anzubieten. Die ist besonders kostengünstig, da das Publikum denselben Preis dafür zahlt. Es weiß ja von nichts. Wirtschaftlich ist dies äußerst erfolgreich, publizistisch eine Katastrophe. 

Insbesondere dem Sport muss daran gelegen sein, dass sich der Sportjournalismus wieder fängt. Seine kritisch-investigative Seite besser pflegt. Noch gibt es strahlende Leuchttürme des Sportjournalismus. Doch längst kursieren auch fatale Fehleinschätzungen in der Gesellschaft. Gerade weil die Sportberichterstattung en gros zu eng geführte, boulevardeske Aufbereitungen nach den Mustern des showorientierten Unterhaltungsjournalismus vornimmt. Gängige Trugschlüsse sind: Sportler seien steinreiche Millionäre, sexualisierte Gewalt im Sport ein randständiges Problem, Doping ein Kavaliersdelikt und Sport eigentlich eine Fußballdomäne. Einschätzungen, die den Sport vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Seine Probleme, Herausforderungen, die zur Lösung einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeit und Akzeptanz bedürfen, verschwinden hinter der medialen Hochglanzfassade. Auch seine schillernde, faszinierende Vielfalt.

Es wird Zeit, einen übergreifenden, ernsthaften Versuch zu starten, um schon bald die heutigen Verfehlungen als skurrile Erscheinungen einer längst vergangenen Zeit abtun zu können.