Nr. 1/2016

Forschung im Footbonauten

In den letzten Jahren kommt es im Fußball zunehmend zu Arten von Verletzungen, die früher in dieser Häufung nicht beobachtet werden konnten – zum Beispiel Schambeinentzündungen, Risse oder Teilrisse der Hüftmuskulatur sowie Schädigungen der Sehnenansätze am Becken. Doch wo liegen die Ursachen? Das hat jetzt ein Forscherteam um Professor Wolfgang Potthast untersucht – im Footbonauten, dem modernsten Trainingsrobotor der Welt.

Herr Potthast, in Ihrem Forschungsprojekt geht es darum, die Ursachen von Überlastungs- und Wachstumsschäden bei kindlichen und jugendlichen Fußballspielern zu ermitteln. Welche Erkenntnisse liegen diesem Forschungsinteresse zugrunde?

Wir haben in einer ersten Pilotstudie zusammen mit Borussia Dortmund festgestellt, dass bei einfachen Passbewegungen an solchen Muskeln, die am Becken ihren Ursprung haben, relativ hohe Spannungen auftreten. Also letztlich sind die Muskeln, die relativ hohe Kräfte bei einem Pass aufbringen müssen, relativ klein – die Adduktoren. Das ist zunächst für sich alleine betrachtet noch nicht kritisch. Wenn wir jetzt aber die Erkenntnis hinzuziehen, dass in den letzten Jahren vermehrt an diesen Strukturen Verletzungen aufgetreten sind – und das nicht nur bei den Bundesligaspielern, sondern vornehmlich bei den jugendlichen Fußballern - dann springt einen die Fragestellung nach der Quantifizierung der Belastung und Beanspruchung der Hüftmuskulatur, der zugehörigen Sehenstrukturen und des Beckens förmlich an.

Sie vermuten, dass eine Ursache in der Gestaltung des Trainings liegt?

Ja. Die Vermutung ist, dass mit einem rapiden Trainingsanstieg, der irgendwann bei einem jugendlichen Leistungsfußballer auftritt, „plötzlich“ eine besondere Art von Beanspruchung auftritt – die    mechanischen Spannungen werden besonders hoch und ziehen Verletzungen nach sich. Und wenn das so ist, muss man sich natürlich überlegen, was man dagegen tun kann. Die Strategie kann nicht sein, weniger zu trainieren. Vielmehr muss überlegt werden, wie man die jugendlichen Fußballer vorbereiten kann, bevor diese Belastungen oder Beanspruchungen so hoch werden. Und damit meine ich nicht, dass man mit ihnen darüber spricht und über Technikveränderungen nachdenkt, sondern entsprechendes Konditionstraining.  Und mit Konditionstraining meine ich alle konditionellen Eigenschaften und nicht nur die Ausdauer.

Um dies herauszufinden, beziehungsweise entsprechende Gegenmaßnahmen entwickeln zu können, haben Sie im Footbonauten von Hoffenheim gemessen. Wie kann man sich dieses Trainingsgerät vorstellen?

Man kann sich den Footbonauten wie eine Ballmaschine im Tennis vorstellen, die definiert Bälle mit einer bestimmten Geschwindigkeit an einen bestimmten Ort spielt. Der Footbonaut macht das allerdings nicht nur aus einer Richtung, sondern aus vier Richtungen und dann auch noch mit verschiedenen Höhen. Das heißt, Bälle können aus acht verschiedenen Öffnungen kommen: vorne, hinten, rechts, links, jeweils zwei. Den ankommenden Ball muss man verwerten und dann leuchtet ein Zielfeld auf und in dieses Zielfeld muss man in einer bestimmten Zeit hinein schießen. Es leuchtet erst grün, dann gelb – das heißt, man hat einen gewissen Zeitdruck. Es wird dann registriert, wie schnell und wie gut man dieses Zielfeld getroffen hat. Neben der Ballannahme und Passgenauigkeit wird die Handlungsschnelligkeit und Entscheidungsschnelligkeit trainiert.

Was haben Sie an zusätzlicher Technik installiert?

Wir haben in den Footbonauten, der ein Käfig von acht mal acht Metern und drei Metern Höhe ist, Bewegungsanalyse-Kameras installiert. Unsere Bewegungsanalyse-Kameras sind Infrarot-Kameras, die mit einer Geschwindigkeit von bis zu vierhundert mal pro Sekunde Bilder aufnehmen. Wir hatten sechzehn dieser Kameras im Einsatz. Diese Infrarot-Hochgeschwindigkeits-Kameras detektieren oder bestimmen die Lage von kleinen Makerkügelchen, die reflektieren. Die haben wir an bestimmte Stellen am Körper geklebt. Jede Kamera kann jedes Makerkügelchen sehen und wir können so die Bewegung dieser Kugeln im Raum sehr genau, im Submilimeterbereich, erfassen. Und da wir wissen, an welche Körperstellen wir die Maker befestigt haben, können wir mit Hilfe von digitalen Menschmodellen die Bewegung eindeutig rekonstruieren. Und wenn wir dann noch sogenannte anthropometrische Eigenschaften des Sportlers kennen – zum Beispiel wie lang der Oberarm, der Unterarm, der Unterschenkel und der Oberschenkel ist, welches Volumen und welche Volumenverteilung diese einzelnen Segmente haben – dann können wir auch etwas über die Trägheitseigenschaften sagen. Und wenn wir das haben, können wir zum Beispiel von den Schussbeinen die Belastungsgrößen, also die Drehmomente an den Gelenken, bestimmen. Und mit einem weiteren mathematischen Ansatz können wir dann die Muskelkräfte abschätzen.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt die Daten von etwa einem Drittel der Athleten ausgewertet. Untersucht haben wir insgesamt achtzig Spieler der U12, U15, U16 und U23. Also letztlich drei deutlich voneinander unterschiedliche Altersstufen. Wir konnten feststellen, dass die Belastung der Muskeln, von denen ich eben gesprochen habe, im Laufe des Wachstums oder der Trainingshistorie dieser Spieler zu einem Zeitpunkt einen rapiden Sprung macht. Konkret: die U15-, U16- und U23-Spieler generieren an den Adduktorenmuskeln fast die gleichen muskulären Belastungen. Bei den U12-Spielern ist sie nur halb so groß. Das heißt, im Verlauf von U12 bis U15 gibt es einen Sprung in der muskulären Belastung beim Passspiel und danach stellt sich so etwas wie ein Belastungsplateau ein. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass der Bewegunsgapparat immer gleich belastbar ist und an irgendeinem Tag x zwischen 10 und 15, ich überzeichne das jetzt, ist die Belastung aufeinmal doppelt so hoch, dann ist das biologische Material – die Knochen, Knorpel, Sehnen, Bänder und Muskeln – nicht darauf vorbereitet. Der Muskel adaptiert relativ schnell, aber die anderen Strukturen können sich an steigende Belastungen nur langsam anpassen. Wenn sich unsere bisherigen Ergebnisse nach der Auswertung aller Daten bestätigen, muss es logischerweise ganz enorme Konsequenzen für das Training geben.

Wie könnten diese aussehen?

In den Nachwuchsleistungszentren wird ab einem bestimmten Alter, ungefähr mit 14, doppelt so häufig trainiert. Aber das Muskel-Skelettsystem ist dahingehend nicht unbedingt angepasst. Wenn jetzt aber bekannt ist, dass die Belastungs- und Beanspruchungs-Dynamik so wie beschrieben aussieht und damit Schädigungspotential verbunden ist, könnte man schon vorher entsprechende muskuläre und physiotherapeutische Übungen in das Training aufnehmen, um die Strukturen entsprechend vorzubereiten. Das ist kein Hexenwerk. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob es schlau ist, zunächst drei bis vier mal die Woche zu trainieren und dann aufeinmal acht mal. Den Übergang kann man ja auch langsamer gestalten.

Am Ende Ihrer Studie steht ein Empfehlungskatalog ...

Ich glaube, dass insbesondere die Fußballdachverbände den Verletzungen, die im Kinder- und Jugendfußball, insbesondere in Nachwuchsleistungszentren, auftreten, nicht genügend Beachtung schenken und im Sinne der Prävention nicht hinreichend ihrer Sorgfaltspflicht  oder Aufsichtspflicht nachkommen. Was sie aus unseren Empfehlungen für Konsequenzen ziehen, weiß ich natürlich nicht. Zunächst aber kommunizieren wir unsere Ergebnisse an unseren Projektpartner Hoffenheim und hoffen, dass daraus eine weitere Zusammenarbeit entsteht – beratend oder weiter diagnostisch.

Ein Ausblick zum Schluss ... An welchen weiteren Projekten arbeiten Sie derzeit?

Was natürlich sehr viel Aufsehen erregt hat, ist unsere Studie mit dem unterschenkelamputierten Weit­springer und Paralympics-Sieger Markus Rehm: ob und inwiefern seine Leistungen mit denen nicht ge­handicapter Athleten vergleichbar sind und ob der unter anderem vom Internatio­nalen Leichtathletik-Verband unterstellte Vorteil vor­liegt. Wir sind sehr froh, dass wir diese Studie machen konnten und ich halte es auch nach wie vor für wichtig, dass solche Studien durchgeführt werden. Dann gibt es eine Reihe von Projekten, die ich gemeinsam mit dem Förderer meiner Stelle, der Arcus Sportklinik, durchführe. In einem groß angelegten Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird und das ich leiten darf, geht es um die Entwicklung eines neuen Knieimplantats. Keine Knieprothese, sondern ein kleines Implantat, das bei Patienten mit einer beginnenden oder auch schon etwas fortgeschritteneren Kniegelenksarthrose „einfach“ reingeschoben wird. So soll erreicht werden, dass Knieprothesen erst spät oder auch gar nicht zum Einsatz kommen. In einem anderen Projekt arbeiten wir daran, die Operationsplanung bei bestimmten Umstellungsosteotomien zu verbessern. Eine Umstellungsosteotomie heißt, dass der Knochen zunächst aufgesägt und aufgeklappt wird und dann in einer etwas anderen Stellung wieder zusammengeschraubt wird. Er verwächst dann und die Schrauben können wieder entfernt werden. Das macht man bei Fehlstellungen, zum Beispiel am Knie, bei starken O-Beinen. Die Planung, wie stark diese Umstellung auszufallen hat, wie groß der Korrekturwinkel sein muss, die basiert bisher auf einfachen statistischen Überlegungen. Man sieht sich das Röntgenbild an und entscheidet dann. Wir würden gerne ein belastungsanalytisches Verfahren einbeziehen, da letztendlich die Belastung im Kniegelenk nicht nur davon abhängt, wie ausgeprägt ein O-Bein ist, sondern auch, wie man sich bewegt. Ein weiteres spannendes Projekt haben wir mit der Fahrradfirma Specialized. Da ist auch eine Doktorarbeit angekoppelt. Specialized ist interessiert daran, wie sich Vibrationen, die vom Fahruntergrund über das Rad auf den Athleten übertragen werden, auf die muskuläre Leistunsgbereitstellung auswirken. Also: wieviel Power kann der Muskel generieren, wenn der Fahrer auf einem vibrierenden Fahrrad sitzt. Natürlich klagen die Fahrer bei Rennen auf Kopfsteinpflaster, dass sie nicht so gut fahren können, aber was auf muskulärer Ebene passiert, das ist bislang noch nicht ausreichend bekannt und hier wollen wir uns annähern.

... um entsprechende Trainingsmaßnahmen ableiten zu können?

Es geht hierbei weniger um Trainingskonzepte, sondern vielmehr um Veränderungen am Rad. In unserem Ansatz Sportstechnology oder in unserem Bestreben Sporttechnologie mit der Sportwissenschaft zu veknüpfen ist das total stringent und ein passendes Projekt. Die Idee unserer Lehre ist es ja nicht – und ich finde, das sollte die Deutsche Sporthochschule auch nicht versuchen zu tun – Ingenieure auszubilden, die Sportgeräte entwickeln. Das werden wir nicht leisten können und sollen wir auch garnicht. Aber wir sind sehr sehr gut darin und sehr viel besser als die meisten Ingenieure, zu verstehen, wie das biologische System mit technischen Hilfsmitteln interagiert. Das ist unsere Stärke.

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