Nr. 3/2022

Knorpel verstehen und erhalten

Etwa fünf Millionen Menschen sind in Deutschland von Arthrose betroffen. Die schützende Knorpelschicht in ihren Gelenken hat sich so weit zurückgebildet, dass Bewegungen schmerzen oder nicht mehr möglich sind. Körperliche Aktivität kann helfen, Abbauprozessen entgegenzuwirken und so den Knorpel zu erhalten. Forschende des Instituts für Biomechanik und Orthopädie untersuchen seit Jahren die Effekte von mechanischer Belastung durch Bewegung auf den Gelenkknorpel. In einer neuen Studie haben sie erstmals sieben Knorpel-Biomarker, also spezifische Proteine und Enzyme, die aus dem Knorpel austreten, gleichzeitig untersucht. Ihre Studienergebnisse helfen, den Stoffwechsel im Gelenkknorpel besser zu verstehen und den Einfluss des Sports nachzuvollziehen.  

Knorpel ist gleichzeitig viskös und elastisch. Er lässt sich biegen und hält hohem Druck stand. Weil er gegensätzliche Eigenschaften vereint und zwischen den Knochen im Gelenk eine fast reibungslose Bewegung ermöglicht, ist er besonders wertvoll für die Gelenkgesundheit. Gelenkknorpel ist ein Bindegewebe und bedeckt die Knochenoberfläche im Gelenk; zum Beispiel im Knie oder im Oberschenkel. Er besteht bis zu 80 Prozent aus Wasser und sieht leicht bläulich aus. Bei Erwachsenen enthält er weder Gefäße noch Nerven. Mit Nährstoffen versorgt wird er über Diffusion. Aus dem Biologieunterricht kennt man diesen physikalischen Prozess aus Experimenten mit Teebeuteln. Hängt man den Teebeutel in eine Tasse, verteilen sich die Teefarbstoffe irgendwann komplett in der Tasse; auch ohne rühren. Es dauert nur ziemlich lange.

Und genau das ist das Problem des Knorpels. Damit in dem gefäßfreien Gewebe ein Stoffaustausch stattfinden kann, sind regelmäßige Bewegung und Belastung nötig. Jedoch bringen Überlastungen wie zum Beispiel Fehlstellungen oder zu geringe mechanische Belastung bei Immobilisation den Gelenkstoffwechsel aus dem Gleichgewicht und setzen Abbauprozesse in Gang. Ist der Knorpel erst einmal beschädigt, kann er sich nicht wieder regenerieren. Das bedeutet: Arthrose, eine Volkskrankheit, die in fortgeschrittener Form ein künstliches Gelenk nötig macht. „Besonders gefährdet sind ältere Menschen und Übergewichtige. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Das hat unter anderem mit den Hormonveränderungen in den Wechseljahren zu tun“, sagt Maren Dreiner. Am Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln ist sie an mehreren Forschungsprojekten beteiligt, in denen untersucht wird, wie Knorpel auf mechanische Belastung reagiert. „Das Problem ist, dass man momentan nicht weiß, wie man den Knorpel wieder aufbauen kann, wenn er einmal kaputt ist. Deshalb untersuchen wir, wie man ihn am besten erhält und eine Schädigung vermeidet“, sagt sie.

Stoffwechsel durch Belastung

Die Wissenschaftler*innen der Sporthochschule interessiert besonders, wie unterschiedliche körperliche Belastungscharakteristiken den Stoffaustausch im Knorpel beeinflussen. Um das herauszufinden, untersuchen sie verschiedene Knorpel-Biomarker im Blut von gesunden Proband*innen. Knorpel-Biomarker sind Substanzen, die bei Belastung aus dem Knorpel ins Blut abgegeben werden. Das können Proteine, zum Beispiel COMP (Cartilage oligomeric matrix protein, ausgesprochen Komp) sein, die die Struktur und die mechanischen Eigenschaften des Knorpels beeinflussen. Oder das Protein Resistin, ein Hormon, das Entzündungen fördert. Auch Enzyme wie das sogenannte MMP-3 (Matrix-Metalloproteasen-3) gehören zu den Biomarkern. MMP-3 fördert biochemische Reaktionen innerhalb des Knorpels, die an Abbauprozessen von Bestandteilen des Gewebes beteiligt sind. Mittels Diffusion gelangen dann die Stoffe vom Knorpel in die Gelenkflüssigkeit und von der Gelenkkapsel in den Blutkreislauf. Auch ohne Bewegung findet dieser Stoffaustausch statt. Mit Bewegung geht er schneller – so wie wenn man den Tee mit einem Löffel umrührt. Der Knorpel wird durch die Bewegung mechanisch belastet, zusammengedrückt und wieder entlastet. Das regt den Stoffaustausch an.

Schon unmittelbar nach einer Belastung können sich im Blut Veränderungen bei den verschiedenen Markern zeigen. Bei Menschen mit Arthrose sind die Werte auch im Ruhezustand auffällig. „Man hofft, anhand der Biomarker zu erkennen, ob im Knorpel ein gesunder Stoffwechsel stattfindet, der zu einer funktionellen Anpassung führt oder ob schon Abbauprozesse eingesetzt haben“, erklärt Dreiner. Auch um die Auswirkungen von Sport auf die Gesundheit und den Stoffwechsel des Knorpels zu untersuchen, könnten die Biomarker genutzt werden. Die Vermutung: Je höher die Werte der Biomarker nach dem Sport sind, desto besser hilft eine Aktivität dabei, den Knorpelstoffwechsel anzuregen. Die Begründung: Schädliche Enzyme werden durch die Belastung aus dem Knorpel ausgespült und die Produktion knorpelerhaltender Substanzen wird angeregt.

15 gesunde Männer müssen springen oder laufen

Um den Stoffwechsel durch Bewegung und die Wechselwirkungen der Biomarker untereinander genauer zu untersuchen, ließen die Forschenden in einer aktuellen Studie 15 junge und gesunde männliche Versuchspersonen an zwei Untersuchungstagen die zwei unterschiedlichen Bewegungsinterventionen „Laufen“ und „Springen“ von gleicher Dauer ausführen. Die Aufgabe beim „Laufen“: 30 Minuten lang bei moderatem Tempo auf dem Laufband laufen. Geschwindigkeit: 2,2 Meter pro Sekunde, also etwa acht Stundenkilometer. Beim „Springen“ sollten die Probanden in den 30 Minuten 15 mal 15 Reaktivsprünge durchführen. Das sind Sprünge, die eine möglichst kurze Bodenkontaktzeit haben und hauptsächlich im Sprunggelenk ausgeführt werden. Vor und zu drei verschiedenen Zeitpunkten nach der Bewegungsintervention wurde den Versuchspersonen Blut abgenommen, um später die Knorpel-Biomarker auch im Zeitverlauf untersuchen zu können. „Wir haben vorher schon ähnliche Studien durchgeführt. Diesmal haben wir aber zum ersten Mal sieben Biomarker auf einmal gemessen und miteinander korreliert“, sagt Dreiner. Das Ziel der Forschenden: mehr darüber erfahren, wie die Marker akut auf die Belastung reagieren, wie sie sich zueinander verhalten und wie sie sich gegenseitig beeinflussen.

Ein überraschendes Ergebnis: Beim Laufen steigen die Biomarker stärker

„Laufen ist eine kontinuierliche moderate mechanische Belastung, Springen beinhaltet hohe Belastungsamplituden mit Unterbrechungen. Beim Springen wirken höhere Kräfte auf den Knorpel. Deswegen hätten wir vermutet, dass Springen zu höheren Werten bei den Biomarkern führt“, sagt Dreiner. Die Studienergebnisse legen aber einen anderen Schluss nahe. Denn überraschenderweise stieg die Konzentration der Biomarker im Blutserum überwiegend nach dem Laufen stärker an. Im Blut der Läufer war direkt nach und im Verlauf der Belastung mehr COMP, MMP-3 und mehr Resistin zu finden als nach dem Springen. „Dieses Ergebnis war für uns überraschend. Wir interpretieren das so, dass durch das Laufen umfangreichere Umbauprozesse passieren, die nach dieser kurzen moderaten Belastungsdauer eher als eine positive Anpassung einzuschätzen sind“, so Dreiner. Aus den Ergebnissen der Studie könne man ableiten, dass moderates Laufen etwas förderlicher für die Knorpelgesundheit sein könnte, als Intervallsprünge. Dies sei zum jetzigen Zeitpunkt aber noch Spekulation und müsse durch weitere Studien genauer untersucht werden.

Gerade analysieren die Wissenschaftler*innen den Effekt von reduzierter mechanischer Belastung auf die Knorpel-Biomarker in einer Immobilisationsstudie (Dry Immersion), also einem Modell um Schwerelosigkeit zu simulieren. Hier finden die Untersuchungen mit Frauen als Versuchspersonen statt, wozu es in der Forschung bisher nur wenige Ergebnisse gibt. Die Biomarker – so bestätigen die Analysen – könnten aber schon heute genutzt werden, um den Zustand des Knorpels besser zu untersuchen, denn sie zeigen Umbauprozesse an. Nicht vollständig geklärt ist, wann diese als positiv oder negativ einzuordnen sind. Der Vorteil von Biomarker-Blutanalysen: Sie könnten günstiger und weniger aufwendig als bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) oder Röntgenuntersuchungen sein und umfangreiche Informationen zur Zusammensetzung des Gelenkknorpels liefern.

Den laut Deutscher Arthrose-Hilfe e.V. etwa fünf Millionen Menschen mit Arthrose in Deutschland kann das Wissen aus der Studie schon jetzt dabei helfen, dem Fortschreiten ihrer Erkrankung vorzubeugen. Damit ihr Gelenkknorpel möglichst gut erhalten bleibt, sollten sie so lange wie möglich körperlich aktiv sein. Bewegung – das zeigen die Studienergebnisse – hilft schließlich in beiden Testszenarien, den Stoffaustausch anzukurbeln und somit auch, Verschleiß vorzubeugen. Und für einen messbaren Effekt müssen es nicht einmal Sprünge sein. Schon regelmäßiges Spazierengehen hilft, die Knorpelgesundheit zu fördern.

Text: Marilena Werth

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Weiterführende Links

Die Studienergebnisse sind unter dem Titel „Relationship between different serum cartilage biomarkers in the acute response to running and jumping in healthy male individuals“ im Open-Access-Journal „Scientific Reports” erschienen. Hier ist die Veröffentlichung einsehbar.

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