Nr. 2/2020

„Stepping-Training“ als Sturzprävention

Stürze sind für ältere Personen und für das Gesundheitssystem ein ernst zu nehmendes Problem. Denn häufig kommen die Betroffenen – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht mehr auf die Beine. Oder haben mit langwierigen Einschränkungen zu kämpfen. Mit der Sturzprävention bei Älteren befasst sich seit Jahren das Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie (IBuSG) der Deutschen Sporthochschule Köln.

Auf Basis bisheriger Stepping-Trainingsprogramme (Schritttraining) und einer Literaturanalyse hat ein Forscher*innenteam nun einen neuartigen Trainingsansatz für Ältere vorgestellt: StepIt. Senior*innen üben dabei verschiedene komplexe Schrittvariationen auf einer quadratischen Matte und trainieren damit ihre Schrittreaktionsfähigkeit. Einzel- und Gruppentrainings sind sowohl in der Sporthalle, aber auch als „Exergames“ möglich. Bei Exergames interagieren die Trainierenden mit einem Bildschirm und einem Computersystem (IT-gestützt) und führen die Übungen meist in spielerischer Form durch.  

Forschungslage
„Die bisherige Forschung konnte zeigen, dass systematische Trainingsprogramme das Sturzrisiko positiv beeinflussen und die Sturzrate um bis zu 23 Prozent reduzieren können“, skizziert Projektmitarbeiterin Dr. Eleftheria Giannouli den derzeitigen Stand der Dinge. Vor allem funktionelle Übungen und Gleichgewichtsübungen hätten sich als besonders effektiv erwiesen. Allerdings würden traditionelle Trainingsprogramme den Schwerpunkt häufig auf Gleichgewichtsaufgaben im Stand legen. „Diese Übungen sind oft zu unspezifisch, weil sie nicht der Lebenswirklichkeit bei realen Stolper- und Sturzsituationen entsprechen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Denn wer unerwartet stolpert, muss schnell einen gezielten Ausgleichsschritt machen, um sich abfangen zu können. „Daher sollten Programme zur Sturzprävention den Fokus auf die Förderung präziser, schneller und zielgerichteter Schritte legen“, sagt Giannouli. Bei der neuen Trainingsform wird zwischen reaktiven und willentlichen Stepping-Interventionen unterschieden.

Reaktives Stepping-Training soll insbesondere die reaktive Gleichgewichtsfähigkeit verbessern; dazu werden unerwartete Störreize gesetzt. So etwa kann das Laufband, auf dem die Proband*innen gehen, abrupt abbremsen oder beschleunigen und sie so aus dem Gleichgewicht bringen und zu einer schnellen Ausgleichsreaktion zwingen. Trainierende versuchen dabei, ihre sogenannte posturale Stabilität (Stabilität der aufrechten Körperhaltung) möglichst gut aufrechtzuerhalten oder nach der Störung wieder zu erlangen. Neben dem Laufband können die Störungen auch auf einer Gangstrecke angewendet werden, z.B. indem eine Bodenplatte verrutscht oder ein Hindernis plötzlich hochklappt. „Es lassen sich schnelle Effekte nach nur einmaligem Üben nachweisen; daher ist reaktives Stepping-Training sehr effektiv, um Stürze zu reduzieren“, erklärt Projektmitarbeiter Dr. Tobias Morat. Allerdings sorgen die kostspieligen Geräte und die hohen Sicherheitsanforderungen dafür, dass der Einsatz dieser Trainingsform bislang auf wenige Einrichtungen begrenzt ist.

 

Unspezifischer als das Reaktionstraining sind willentliche Stepping-Interventionen. Allerdings zeigt sich auch bei dieser Trainingsform, bei der Schrittübungen ohne äußere Störreize ausgeführt werden, dass sich die Sturzrate bei älteren Menschen um 50 Prozent reduzieren lässt. Die Trainingsform kann – mit oder ohne technische Unterstützung – als Einzel- und Gruppentraining in verschiedenen Settings durchgeführt werden. Möglich sind auch Exergames, die technikbasiertes Training und Spielen kombinieren. Die Proband*innen können z.B. Aufgaben, die auf einem Bildschirm angezeigt werden, auf Stepping-Matten oder -Boards in Schrittbewegungen übersetzen. Ein beliebtes Schritttraining für Gruppen haben Shigematsu und Kolleg*innen entwickelt: Sie konnten zeigen, dass „Square Stepping Exercise“ (SSE), bei dem die Proband*innen verschiedene Schrittmuster auf einer Matte gehen müssen, positive Effekte auf die untere Extremität und auf kognitive Funktionen hat.

Entwicklung einer neuen Stepping-Intervention
„Die bisherigen Trainingsprogramme zur Sturzprävention bei Älteren sind gut und effektiv. Allerdings ist es häufig nicht möglich, langfristig die Komplexität der Aufgaben zu erhöhen, sodass die Trainierenden sich immer weiter verbessen können“, nennt Prof. Dr. Wiebren Zijlstra, Leiter des Instituts für Bewegungs- und Sportgerontologie, den Ansatz für die an seinem Institut neu entwickelte Stepping-Intervention „StepIt“. Geübt wird auf einer quadratischen Gummimatte (90 cm mal 90 cm) mit Zahlengitter. Die Ziffern 1 bis 9 sind in neun 30 mal 30 Zentimeter große Felder eingezeichnet. „Das Schrittmuster wird durch die Trainerin beziehungsweise den Trainer präsentiert. Die Trainierenden sollen sich das Schrittmuster merken, verinnerlichen und dann in einem vorgegebenen Takt ausführen. Der Schwierigkeitsgrad kann systematisch gesteuert werden, zum Beispiel durch komplexere Muster, längere Abfolgen, schnellere Geschwindigkeit oder Zusatzaufgaben“, erklärt Zijlstra das Konzept. Dadurch können beim StepIt – im Vergleich zu anderen Stepping-Interventionen – auch Dosis-Wirkungsbeziehungen berücksichtigt werden. Das Besondere an StepIt: Es berücksichtigt vier Prinzipien, zwei Prinzipien (1+2) adressieren die motorische, zwei (3+4) die kognitive Belastung.

  1. Ein Metronom gibt die Geschwindigkeit vor, in der die Trainierenden die Schritte ausführen sollen. Die Ausführungsgeschwindigkeit ist somit von 64 bis 104 Schläge pro Minute steuerbar. Der Einsatz von Musik oder eine Kombination aus Musik und Metronom sind ebenfalls möglich. Hier bedient sich das StepIt-Konzept einer besonderen Technik, der „Rhythmic Auditory Stimulation“ (RAS). Diese nutzt die physiologischen Auswirkungen des auditorischen Rhythmus auf das motorische System, um rhythmische Bewegungen, zum Beispiel während des Gehens, zu verbessern.
  2. Die Länge der Schrittmuster wird über die Anzahl der Schritte gesteuert, von drei Schritten pro Muster bis zu acht Schritten pro Muster.
  3. Die Komplexität der Schrittmuster kann über die Richtung und die Weite der Schritte – von kleinen Vorwärts- und Seitwärtsschritten bis zu größeren Rückwärts- und Diagonalschritten – variiert werden.
  4. Zusätzliche motorische oder kognitive Aufgaben erhöhen ebenfalls die Komplexität. Hier sind einfache, Doppel- oder Multitask-Aufgaben möglich. Das Training kann auch über die Höhe, Größe, Position und Beschaffenheit der Matte variabel und individuell gestaltet werden.

„StepIt kann als gute Trainingsvariante im Bereich des Koordinationstrainings bei gesunden Älteren eingesetzt werden, um ihre Gleichgewichts-, Reaktions-, Kopplungs- und Rhythmisierungsfähigkeit insgesamt zu trainieren. Geeignet ist es aber ebenso für neurologische Patienten, um ihre Schrittkapazität zu verbessern und für alle anderen Zielgruppen, für die Sturzprävention wichtig ist“, erklärt Dr. Eleftheria Giannouli das Einsatzgebiet des Trainingsprogramms. In einem kürzlich erschienen Artikel fasst das Spoho-Team die Grundprinzipien und Empfehlungen zusammen. Hier sind auch ganz konkrete Hinweise zum Trainingsprotokoll, -material und zu verschiedenen Schwierigkeitsstufen enthalten. Die Anwendung von StepIt wird aktuell in verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Zielgruppen an der Deutschen Sporthochschule Köln untersucht.

Text: Julia Neuburg