Nr. 2/2021

Die Außenministerin des Sportrechts

Dr. Caroline Bechtel (37) ist Juristin, Wissenschaftlerin und stellvertretende Institutsleiterin des Instituts für Sportrecht. Sie besitzt drei Staatsbürgerschaften, spricht fließend Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Sie ist Expertin für Schiedsgerichtsbarkeit, einem Mechanismus, um private Streitigkeiten, zum Beispiel im Sport, außergerichtlich beizulegen. Im Interview sprechen wir mit ihr unter anderem über das Streiten, sportrechtliche Forschungsmethoden und die Institutseule.

Frau Bechtel, Sie sind Expertin für Schiedsverfahren im Sport. Kann man sich mit Ihnen richtig streiten?
Nein, man kann sich nicht gut mit mir streiten, da ich eher versuche, Konflikte zu vermeiden. Das liegt aber nicht daran, dass ich Juristin bin und mich mit Schiedsgerichtsbarkeit auskenne, das ist wohl eher eine Charaktereigenschaft. Prinzipiell gehe ich Konflikten lieber aus dem Weg, da überwiegt dann doch mein Harmoniebedürfnis.

Konflikte vermeiden, diplomatisch verhandeln… Kommt daher auch Ihr inoffizieller Titel als ‚Außenministerin‘ des Instituts für Sportrecht?
(lacht) Mh, vielleicht auch das. Aber ursprünglich hat mich Professor Nolte aufgrund meines internationalen Backgrounds so genannt. Ich bin als Kind deutsch-französischer Eltern in Paraguay geboren, in Karlsruhe aufgewachsen und habe in Argentinien gelebt. Daher spreche ich mehrere Sprachen. Für das Institut für Sportrecht liegt als ‚Außenministerin‘ meine Aufgabe auch darin, weitere Forschungsfelder und Netzwerke zu erschließen und international weiterzuentwickeln.

    Der Weg in die Wissenschaft

    Der Weg in die Wissenschaft

    Sie haben einen ganz interessanten Weg in die Wissenschaft und sind über die Schiedsgerichtsbarkeit an der Spoho gelandet. Wie kam das?

    Dass ich in der Wissenschaft und vor allem an der Spoho lande, war tatsächlich überhaupt nicht geplant. Ich habe zwar seit meiner Kindheit immer Sport gemacht, hatte aber zunächst mit der Sportwissenschaft nichts am Hut. Ich habe Jura in Heidelberg studiert und während meines juristischen Vorbereitungsdienstes bei einem Rechtsanwalt gearbeitet, der Mandanten aus dem Sport vertreten hat. So bin ich erstmals mit dem Sportrecht in Berührung gekommen.

    Können Sie uns den Fall schildern, der Sie damals so nachhaltig für das Thema begeistert hat?
    Ein Fall, der mir in jeder Hinsicht in Erinnerung geblieben ist, ist der des Dreispringers und ehemaligen Weltmeisters Charles Friedek. Friedek hat im Sommer 2008 geklagt, weil er trotz zweifach erfüllter Normweite nicht für die Olympischen Spiele in Peking nominiert wurde. Die Krux: Er hatte die geforderte Weite zweimal innerhalb eines Dreisprungwettbewerbs übertroffen; das wollte zunächst der Deutsche Leichtathletik-Verband, DLV, und dann der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, nicht gelten lassen. Den Fall habe ich von Anfang an begleitet, habe an Schriftsätzen mitgewirkt und war bei den Verhandlungen dabei. Damals wurde die Klage abgewiesen und Friedek durfte nicht in Peking starten. Nach sieben Jahren Rechtsstreit durch sämtliche Instanzen hat ihm der Bundesgerichtshof aber im Nachhinein Recht gegeben und so konnte er wenigstens noch einen Vergleich mit dem DOSB schließen. Auch wenn ihm eine Teilnahme natürlich lieber gewesen wäre.

      Die Sportschiedsgerichtsbarkeit im Blickpunkt

      Die Sportschiedsgerichtsbarkeit im Blickpunkt

      Über die Arbeit in einem Verlag sind Sie bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit – DIS – in Köln gelandet.
      Genau, das war 2011. Ich hatte zuvor als Lektorin in einem großen Verlag in Stuttgart gearbeitet. Darüber habe ich übrigens erstmals Kontakt zu Professor Nolte bekommen, weil ich eines seiner Bücher, "Sportrecht in der Praxis", mitbetreut habe. Unter anderem beschäftigte sich ein Kapitel mit der Sportschiedsgerichtsbarkeit. Schiedsgerichtsbarkeit beschreibt einen privaten Streitbeilegungsmechanismus – einen alternativen Rechtsweg für Parteien, die ihre Streitigkeiten nicht vor staatlichen Gerichten austragen möchten. Dieser Mechanismus ist gesetzlich verankert und abgesichert. Die Parteien schließen eine Schiedsvereinbarung und einigen sich auf eine Institution, die das Verfahren betreuen und administrieren soll. Eine solche Institution ist die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, DIS.

      Gibt es Streitigkeiten, die sich besonders dafür eignen?
      Die Schiedsgerichtsbarkeit wird gerade für privatrechtliche Streitigkeiten genutzt. Das kann einerseits Unternehmen betreffen, die zum Beispiel Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten austragen. Das können andererseits Privatpersonen sein, beispielsweise bei Streitigkeiten im Sport oder Anti-Doping-Fragen. Die Verfahren werden in der Regel vertraulich und nichtöffentlich behandelt. Seit 2008 gibt es – unter dem Dach der DIS – das Deutsche Sportschiedsgericht, eine zentrale Instanz für den organisierten Sport, gerade auch beim Thema Anti-Doping.

      Sie haben genau zu diesem Deutschen Sportschiedsgericht promoviert…
      Nachdem ich die DIS 2015 verlassen hatte, habe ich den Kontakt zum Institut für Sportrecht aufgefrischt. Schnell entstand die Idee zur Promotion und ich kam zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft und dann ab 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans Institut. Das Thema hat sich aufgrund meiner Vorgeschichte schlichtweg angeboten, auch weil noch keine monographische Abhandlung dazu existierte. Diese Lücke habe ich durch meine Arbeit geschlossen.

      Inwiefern?
      Meine Dissertation ist 2018 erschienen und beleuchtet somit die ersten zehn Jahre des Deutschen Sportschiedsgerichts. Ich habe insbesondere die Sportschiedsgerichtsordnung systematisch analysiert, sie bildet die Grundlage für die Durchführung von Schiedsverfahren. Das Deutsche Sportschiedsgericht hat sich als unabhängige Einrichtung im Großen und Ganzen bewährt. In der Praxis gibt es allerdings noch Verbesserungspotenzial, gerade bei der Durchführung von Anti-Doping-Streitigkeiten. Für mich persönlich war die Promotion ein rundes Projekt, das mir sehr viel Spaß gemacht hat und das mich tief hat eintauchen lassen in das wissenschaftliche Arbeiten.

        Forschung im Sportrecht

        Forschung im Sportrecht

        Was fasziniert Sie an der wissenschaftlichen Arbeit besonders?
        Mich begeistert, dass ich mich zu hundert Prozent mit Inhalten befassen kann, die mich interessieren. Als Juristin im Sportrecht arbeiten zu dürfen, ist für mich wirklich ein großes Glück. Ich mag es, mir neues Wissen anzueignen, daraus eigene Ideen entstehen zu lassen, diese zu Papier zu bringen, Probleme herauszuarbeiten und Lösungsansätze zu entwickeln. Vor allem ist es toll zu sehen, wenn diese Arbeit auch in der Praxis umgesetzt wird.

        Wie muss man sich die Forschung im Sportrecht konkret vorstellen?
        Wesentlich geprägt ist unsere Arbeit am Institut für Sportrecht von unserer Mutterdisziplin, der Rechtswissenschaft. Hier arbeiten wir in erster Linie mit Gesetzestexten, Normen und Vorschriften und – beim Sportrecht – vor allem auch mit den sportverbandlichen Regelwerken. Das ist sozusagen unser Handwerkszeug. Diese werden unter Anwendung der vier juristischen Auslegungsmethoden untersucht und interpretiert (Anm. d. Red.: Überblick über die Auslegungsmethoden im Infokasten). Dabei führen wir am Institut für Sportrecht interdisziplinäre Untersuchungen durch, die sport- und rechtswissenschaftliche Evaluierungsmethoden kombinieren. Das Kernstück einer solchen Evaluierung ist ein Fragebogen, dessen Ziel darin besteht, die Steuerungskraft von Regelwerken im Sport zu ermitteln. Das bedeutet zu erforschen, wie gut Athlet*innen oder andere regelgebundene Personen die Regeln kennen und sich daran halten. Die so gewonnenen Erkenntnisse vergleichen wir anschließend mit statistischen Informationen über durchgeführte Verfahren, Entscheidungen und Sanktionen. Diese Interdisziplinarität ist in dieser Form einzigartig in Deutschland und zeichnet unsere Arbeit am Institut aus.

        Können Sie ein Beispiel nennen?
        Den oben erwähnten Fragebogen haben wir 2017 erstmals in einem Projekt mit der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) eingesetzt. Deren Nationaler Anti-Doping Code (NADC) ist ein Regelwerk, welches den Ablauf von Dopingkontrollen standardisiert, verbotene Substanzen und Methoden definiert und Sanktionen festlegt. Wir wurden von der NADA beauftragt herauszufinden, wie gut die deutschen Athlet*innen den nationalen Code kennen, inwiefern er ihr Verhalten beeinflusst und wie sie das Verhalten von Konkurrenten einschätzen. Ein wesentliches Ergebnis ist: Die Steuerungskraft des NADC funktioniert, die Athlet*innen kennen die Inhalte des Codes gut und verstehen die Regeln. In einem weiteren Schritt wollen wir nun einen Kölner Index – KÖDEX – entwickeln, der künftig als Bewertungsmaßstab für die Steuerungskraft von sportverbandlichen Regelwerken dienen kann.
         

          Neues Forschungsprojekt zu Glücksspielerträgen

          Neues Forschungsprojekt zu Glücksspielerträgen

          Im April startet ein neues Forschungsprojekt, bei dem es um Glücksspielerträge geht. Was hat das mit Sportrecht zu tun?
          Wir erarbeiten eine Finanzierungsgarantie, die den Landessportbünden zugutekommen soll, indem diese eine rechtssichere und nachhaltige Förderung aus den öffentlichen Glücksspielerträgen der Länder erhalten, ohne dass ihre bestehenden Förderungen gekürzt werden. Im Rahmen einer Bestandsaufnahme erfassen wir die finanzielle Ausstattung und die Förderungsgrundlagen der Landessportbünde. Darauf aufbauend wollen wir konkrete Formulierungen für die Finanzierungsgarantie bis hin zu einer Gesetzesvorlage entwickeln.

          Stimmt es, dass die Eule im Institut für Sportrecht eine herausragende Stellung besitzt?
          Seit der Institutsgründung ist die Eule, die in der Mythologie für die Weisheit steht, unser Maskottchen. Sie ist überall präsent: in unseren Büros, in der Außendarstellung, in unseren Publikationen, zum Beispiel auch auf dem Titelblatt meiner Dissertationsschrift. Die Illustration zeigt einen weisen und klugen Schiedsrichter in Gestalt einer Eule. Zu sehen ist ebenfalls eine kleine neugierige Katze, die einen Tennisball ins Visier genommen hat. Sie ist eine Reminiszenz an unsere 2018 verstorbene Familien-Katze Lucy, der ich diese Dissertationsschrift gewidmet habe. (schmunzelt)

          Inwiefern wirkt sich Ihre eigene Leistungssportkarriere auf Ihre jetzige Arbeit als Wissenschaftlerin, Juristin, Sportrechtlerin aus?
          Der Sport hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, das prägt die Persönlichkeit. Eigenschaften wie Disziplin an den Tag zu legen, sein Potenzial auszuschöpfen, Grenzen auszuloten, regelmäßig zu trainieren, nicht beim ersten Rückschlag aufzugeben, neue Reize zu setzen – das alles sind Dinge, die man aus dem Sport für alle Lebenslagen mitnehmen kann, nicht nur für den Beruf.

          Interview & Text: Julia Neuburg

            Ergänzende Informationen

            Infokasten: Normorientierte Auslegungsmethoden

            Infokasten: Normorientierte Auslegungsmethoden

            1. Grammatikalisch: Diese Methode setzt am Wortlaut der Norm an und interpretiert diese mit dem Ziel, den Wortsinn der einzelnen Norm zu ermitteln.
            2. Systematisch: Hierbei wird das Normensystem als Ganzes betrachtet, d.h. die einzelne Norm wird im Gesamtkontext betrachtet, im Vergleich mit anderen Normen oder aber unter welcher Überschrift sie steht oder welchen Titel sie trägt. All dies lässt auf die Bedeutung der auszulegenden Norm schließen.
            3. Historisch: Diese Auslegungsmethode ist dadurch gekennzeichnet, dass die Vorstellung, der Wille und die Motive des Regelgebers ermittelt werden und auch die bei der Regelgebung stattgefundenen Diskussionen berücksichtigt werden. Hierzu können beispielsweise Gesetzesbegründungen herangezogen werden.
            4. Teleologisch: Bei dieser Auslegungsmethode wird auf den Sinn und Zweck der Norm abgestellt. Ziel dieser Methode ist es, ein gerechtes und sachgemäßes Ergebnis zu erzielen und Willkür zu vermeiden.
            „Unnützes Wissen“ und weitere Funktionen von Dr. Caroline Bechtel

            „Unnützes Wissen“ und weitere Funktionen von Dr. Caroline Bechtel

            • Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift "Causa Sport"
            • Beiratsmitglied "Junges Netzwerk Sportrecht"
            • Datenschutzbeauftragte und Mitglied im Rechtsausschuss des Badischen Leichtathletikverbandes
            • Vizepräsidentin des Capítulo de Alemania y Austria del Club Español del Arbitraje (CEA)
            • Stellvertretendes Mitglied des DIS-Sporternennungsausschusses
            • Sportliche Hobbys: Leichtathletik (ASV Köln), Waldläufe & Treppensprünge, Tennis, Beachvolleyball
            • mehrfache Jugend-Landesmeisterin im Weitsprung und mit der 4x100m-Staffel
            • Teilnahme an Deutschen Jugendmeisterschaften Leichtathletik
            • Teilnahme und „Weltrekord“ 100 x 100 m Staffel am 1. Juli 2001, schnellste aller 25 Runden
            • Bestleistung im Weitsprung (5,78m) im Trikot des ASV Köln (2013)