Nr. 8/2018

„Vielfalt willkommen heißen“

Thomas Abel ist seit 2014 Professor für Paralympischen Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln. Sein gesamtes Wissenschaftlerleben befasst er sich schon mit dem Sport von Menschen mit Behinderungen. Dazu forscht und lehrt er, wirbt mit unermüdlicher Begeisterung in vielen kleinen und großen Projekten für Miteinander und Vielfalt im Sport. Manchmal springt dabei sogar eine Gesangseinlage heraus.

Herr Abel, der Begriff Inklusion ist in aller Munde. Was bedeutet Inklusion für Sie persönlich?

Es stimmt: Der Begriff ist vor allem in der politischen Diskussion sehr strapaziert und vielleicht sogar reduziert worden. Inklusion umfasst unterschiedliche Dimensionen von Heterogenität, mein Schwerpunkt liegt im Bereich der Behinderung, was nur einen Teil von Vielfalt und Inklusion darstellt. Ich umschreibe Inklusion gerne mit „Vielfalt willkommen heißen“. Für mich ist der Sport ideal dazu geeignet, Vielfalt als Chance wahrzunehmen, weil wir im Miteinander von verschiedenen Möglichkeiten, Funktionen, Sichtweisen voneinander profitieren.

Wie kamen Sie selbst zu diesem biografischen Schwerpunkt?

Eine Affinität zum Sport hatte ich schon als Kind. Mit dem Themenfeld Behinderung kam ich in Kontakt, als ich als Jugendlicher Jugendfreizeiten begleitet habe, bei denen Kinder mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung dabei waren. Ich habe später eine Krankenpflegeausbildung gemacht und dann Förderpädagogik und Sport studiert, wollte eigentlich Lehrer werden. Während des Sportstudiums sprach mich der querschnittsgelähmte Rollstuhlrugbyspieler Boris Grundl an und wollte gemeinsam eine sportartspezifische Leistungsdiagnostik entwickeln. Da war mein Forschungsschwerpunkt sozusagen besiegelt.

Seit 2014 besetzen Sie die weltweit erste Professur zum Paralympischen Sport, die mit großer Unterstützung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) eingerichtet wurde. Warum hat die Sporthochschule das gemacht?

Die Einrichtung der Professur ist ein klares Bekenntnis der Hochschule zu diesem Themen- und Forschungsfeld. Die Sporthochschule hat sich selbst das Ziel gesetzt, alle Facetten des Sports zu bearbeiten und mit dieser Vielfalt deutschlandweit einzigartig zu sein. Dazu gehört auch der Sport von Menschen mit Behinderungen, insbesondere der Paralympische Sport. 2008 gab es die erste Aktionswoche zum Sport von Menschen mit Behinderungen an der Sporthochschule. Seit Jahren arbeiten wir eng mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) und dessen Präsident Friedhelm-Julius Beucher zusammen, der sich auch für die Professur sehr engagiert hat. Mit der DGUV haben wir einen starken Partner und Stifter gefunden, der die Professur in den letzten fünf Jahren finanziell aber auch ideell sehr unterstützt hat.

Was konnten Sie im Rahmen der Professur bewegen?

Mit der Professur ist es mir möglich, noch stärker meinen Forschungsschwerpunkt zu bearbeiten und Forschungsprojekte durchzuführen, zum Beispiel im Rollstuhlbasketball oder im Handbikesport. Wir haben beispielsweise eine sportartspezifische Testbatterie für die Kaderathleten im Rollstuhlbasketball entwickelt. Hiermit können wir die Athletik erfassen, um letztlich Trainingsinterventionen zu verändern und die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Im Handbikesport haben wir in der Arbeitsgruppe unter anderem biomechanische Analysen der Bewegungsabläufe und Kraftübertragungen gemacht und erfasst, wo es Überbelastungen gibt oder was sich bei unterschiedlichen Trainingsintensitäten verändert. Zudem bin ich in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Schulsport involviert: Schulsport2020. Im Teilprojekt Inklusion und Heterogenität beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die Ausbildung unserer Lehramtsstudierenden verbessert werden kann, um sie adäquat auf den Umgang mit Heterogenität in der Schule vorzubereiten.

Sie sind Ansprechpartner für Studieninteressierte, die mit einer Behinderung an der Sporthochschule studieren wollen. Wie sehen Ihre Aufgaben hier genau aus?

Die Sporthochschule hat sich vor einigen Jahren vorgenommen, mehr Studierende mit Behinderungen für ein Studium bei uns zu gewinnen beziehungsweise stärker zu kommunizieren, dass ein Sportstudium mit einer Behinderung möglich ist. Mittlerweile haben wir rund 30 Studierende mit Behinderungen bei uns. Gemeinsam mit meiner Kollegin Anke Raabe-Oetker bin ich als Rektoratsbeauftragter Ansprechpartner, wenn sich Studieninteressierte mit Behinderung etwa über den Eignungstest informieren. Wir führen Vorgespräche und begleiten sie dann beim Test bei jeder einzelnen Prüfung. Hier schauen wir uns an, ob der Teilnehmer/die Teilnehmerin eine Disziplin aufgrund der Behinderung nicht schafft oder ob er/sie einfach nicht genug geübt hat oder keine grundsätzliche Eignung für das Studium vorliegt. Dann wird ein Gutachten für das Rektorat erstellt, das letztlich entscheidet, ob der Test trotz mehrerer Defizite als bestanden gewertet wird. Im Studium selbst sind wir Ansprechpartner, wenn es Fragen gibt, wie beispielsweise Praxiskurse organisiert werden, Nachteilsausgleiche beantragt und vergeben oder Leistungen beurteilt werden können.

Was würden Sie sich beim Stichwort Barrierefreiheit wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir stärker den barrierefreien Campus in den Fokus rücken. Viele Dinge, zum Beispiel bauliche Voraussetzungen, sind an der Sporthochschule schon ganz gut, aber vieles können wir noch verbessern, zum Beispiel wenn wir an Studierende mit Hörschädigungen oder Seheinschränkungen denken. Im Sinne der barrierefreien Lehre würde ich mir wünschen, dass wir bei unseren Dozierenden das Bewusstsein für barrierefreie Lehre weiter schärfen. Was sollte ich bei meiner Lehre oder bei Lernerfolgskontrollen bedenken? Wie kann ich Dinge organisieren? Die Bedarfe der jeweilige Studierende frühzeitig abzufragen und darauf zu reagieren, ist der erste Schritt. Das lernen wir am besten im Miteinander, durch Kommunikation. Technische Voraussetzungen und materielle Dinge sind dann für mich erst der zweite Schritt.

Am 7. Oktober startet beim Köln-Marathon zum dritten Mal das Projekt ‚R(h)ein Inklusiv‘. Was hat es damit auf sich?

Mit vielen Projekten verfolgen wir das Ziel, Inklusion durch den Sport erlebbar zu machen und so noch mehr Menschen für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren. Ein gutes Beispiel dafür ist unser ‚R(h)ein Inklusiv‘-Staffelmarathon. Hier geht es darum, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam die Wegstrecke bewältigen. Wir haben einige Prominente dabei, zum Beispiel Kölns Bürgermeister Elfi Scho-Antwerpes und Andreas Wolter, den DBS-Präsidenten Friedhelm-Julius Beucher, Gregor Doepke von der DGUV, die Behindertensportler Verena Bentele, Heinrich Popow, Kirsten Bruhn, aber auch ganz gewöhnliche, mehr oder weniger sportliche Menschen, wie mich zum Beispiel. Das Besondere in diesem Jahr ist, dass wir einen Mottosong für das Projekt ‚R(h)ein Inklusiv‘ aufgenommen haben – mit viel Kölscher Prominenz und sogar meiner Stimme im Hintergrund. (lacht) Es ist wichtig zu betonen, dass es bei solchen Projekten nicht um Mitleid geht, sondern um Haltung und das gemeinsame Sporttreiben auf Augenhöhe.

Vom 15. bis 19. Oktober findet wieder die Aktionswoche zum Sport von Menschen mit Behinderung an der Sporthochschule statt. Was wird geboten?

Die Idee der Aktionswoche ist, dass Thema nach innen und nach außen sichtbar zu machen. Es gibt zum einen Unterrichtsveranstaltungen mit Studierenden und Dozierenden, die dem Sport von Menschen mit Behinderungen Raum geben; hier sind zum Beispiel bekannte paralympische Athleten zu Besuch. Zum anderen gibt es einen Hauptaktionstag mit einer großen offiziellen Veranstaltung im Hörsaal. Dieses Jahr hält Dr. Volker Anneken vom Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS) einen Kurzvortrag zu einem wissenschaftlichen Projekt im Themenfeld geistige Behinderung. Und es wird eine Diskussionsrunde mit Franziska Liphardt zur Talentförderung im Paralympischen Sport und zur Organspende geben.

Was fasziniert Sie persönlich am Sport von Menschen mit Behinderung?

Ich möchte das nicht isoliert betrachten, denn: Mich fasziniert der Sport allgemein, wenn Menschen Bewegungen ausführen, Höchstleistungen vollbringen, aber auch durch den Sport Natur erleben. Mich fasziniert der Sport in allen Bereichen: im olympischen, paralympischen, defolympischen Bereich oder bei den Special Olympics.

Macht es Sie da nicht traurig, dass paralympische Events so wenig Zuschauerinteresse erfahren?

Auf jeden Fall, das finde ich total bedauerlich. Das liegt aber nicht am Paralympischen Sport, sondern daran, wie wir ihn verkaufen. Die Engländer hatten zum Beispiel letztes Jahr bei der Para-Leichtathletik-WM ein ausverkauftes Londoner Olympiastadion. Da hat die Faszination Sport funktioniert, dafür braucht man gute Bilder, gute Geschichten und wirklich gute Kampagnen. Man muss Begehrlichkeiten wecken und die Zuschauer davon überzeugen, dass das ein super Event ist, bei dem man unbedingt dabei sein möchte.

Welche Rolle spielt der Paralympische Spitzensport in Deutschland?

Die Professionalisierung hat in manchen Sportarten extrem zugenommen, das bedeutet, dass man nur noch mit einem riesigen Aufwand mit der Leistungsspitze Schritt halten kann. Aber: Ob wir diese Professionalisierung wollen, ist eher eine gesellschaftspolitische Frage. Falls ja, müssen andere Möglichkeiten geschaffen werden: Ausbildungsstrukturen verbessern, mehr Menschen für den Bereich interessieren, Talentsichtungssysteme optimieren und für all diese Dinge braucht man natürlich herausragendes Personal und damit auch Geld.

Und wie schätzen Sie die Lage im Breitensport ein?

Laut Bundesteilhabebericht treiben 51 Prozent der Menschen ohne Behinderung mindestens einmal pro Woche Sport; bei den Menschen mit Behinderung sind es nur 36 Prozent. Für mich ist das ein eklatantes Missverhältnis, denn ich bin fest davon überzeugt, dass sich Menschen mit und ohne Behinderung in ihrer Sportaffinität nicht unterscheiden. Es muss also an den Strukturen liegen, zum Beispiel daran, dass die Leute keine passenden Angebote finden. Aber: Auch für inklusive Sportangebote im Breitensport bedarf es Kompetenz. Ich würde mir daher wünschen, dass Übungsleiter offen sind und sagen: Klar, komm vorbei und wir gucken mal, wie wir das hinkriegen. Dafür brauchen wir einerseits individuelle Haltung und andererseits Ausbildungsstrukturen, die Trainer und Übungsleiter darauf vorbereiten. Generell würde ich mir viel mehr gemeinsames Sporttreiben im Breitensport wünschen. Daher mein Denkanstoß an alle, in diesem Jahr noch mindestens einmal irgendwo hinzugehen, wo gemeinsames Sporttreiben von Menschen mit und ohne Behinderung möglich ist.

Interview: Julia Neuburg