Nr. 9/2018

Pädagogische Pionierarbeit im Milieu des islamistischen Terrorismus

Der moderne islamistische Terrorismus beschäftigt große Teile der Weltbevölkerung, er ist Gegenstand von politischen Strategien, provoziert militärische Gegenmaßnahmen, wird geheimdienstlich beleuchtet. Und natürlich wird er wissenschaftlich erforscht, von Militärs, Islamforschern, Soziologen, Linguisten oder Politikwissenschaftlern. Pädagogen haben sich dem Phänomen dagegen noch nicht intensiver angenommen; insofern kann der Ansatz von Univ.-Prof.  Dr. Swen Körner vom Institut für Pädagogik und Philosophie an der Sporthochschule Köln und Professor Dr. Dr. Mario Staller von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW als Pionierarbeit betrachtet werden. In ihrem Paper „Pedagogy of terrorism. Mujahid Guide revisited”, das im „Journal of Policing, Intelligence and Counter Terrorism“ publizierte wurde, nähern die Wissenschaftler sich dem islamistischen Terrorismus aus einem neuen Blickwinkel.

Es gebe eine „dem Terrorismus inne wohnende Pädagogik“, stellen Swen Körner und Mario Staller gleich zu Beginn ihres Aufsatzes fest, insofern sei es überraschend, dass die pädagogische Forschung sich bislang allenfalls peripher mit der erzieherischen Wirkung von Publikationen und Maßnahmen befasst hat, die dazu dienen sollen, Jihadisten zu rekrutieren. Im Zentrum der Arbeit steht dabei eine im Internet zugängliche Schrift mit dem Titel „Mujahid Guide“, deren Autorenschaft dem so genannten „Islamischen Staat“ zugeschrieben wird. Die beiden Wissenschaftler haben sich dieses im Internet abrufbare Pamphlet etwas genauer angesehen und nach pädagogischen Mechanismen durchforstet.

Zunächst einmal gelangen sie zu der Ansicht, dass der moderne Terrorismus eine „Form der Kommunikation“ sei, die die Botschaft von der „Einheit der Gegensätze“ verbreite: gut gegen böse, wir gegen sie, richtig und falsch.  Moderne Medien dienen als Resonanzverstärker für diese stark vereinfachte Sicht auf die Welt. In einem zweiten Schritt betrachten Staller und Körner das pädagogische Konzept, das hinter dem Mujahid Guide steckt. Die Pädagogik des Terrors sei eine „Formbildung der Kommunikation“ und zwar auf zwei Ebenen:

  1. Terror erzieht die Gesellschaften durch Anschläge, die westliche Welt reagiert darauf insofern erzogen, als sie sich auf die Erwartung möglicher Terroranschläge eingestellt hat.
  2. Terrorismus erzieht, indem ein ideologischer Sinnkomplex an eine bestimmte Zielgruppe vermittelt wird, in der klaren Erwartung einer hörer- bzw. leserseitigen Aneignung.

Der Mujahid Guide sei in diesem Kontext „ein Ratgeber für im Westen lebende Menschen, die sich vorstellen können, in dieser Ideologie terroristisch aktiv zu werden“, sagt Körner, der die Ansicht vertritt, dass die Pädagogik sich grundsätzlich zu selten ihrer dunklen Seite zuwendet. Im Mittelpunkt der Forschung steht meist das Streben nach einer gelingenden Erziehung, untersucht werden Vorgänge, die in den Familien, in den Sportvereinen, in den Schulen beobachtet und optimiert werden können. Der ganze Bereich „der devianten Milieus, bei Hooligans, Ultragruppierungen, Rockerbanden und eben auch Terroristen“, in dem ebenfalls starke erzieherische Dynamiken wirken, werde bislang vernachlässigt, erläutert Körner. Dabei sind gerade solche Subkulturen durch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets gezielter beeinflussbar als je zuvor. Die Reichweite der hier veröffentlichten Botschaften ist oft viel größer, als in klassischen pädagogischen Systemen. Zudem ist die Instanz, die die Information mitteilt, entkoppelt von demjenigen, der die Information aufnimmt.

Im zweiten Teil ihrer Arbeit wenden die beiden Autoren sich dann dem Einfluss bestimmter Kampfsportsysteme auf den modernen Terrorismus zu. Der Mujahid Guide begreift sich als „Informationsquelle“, deren Absicht in der „Vermittlung zentraler Überlebensstrategien für im Westen lebende Islamisten“ bestehe, erläutern die Autoren. Dazu gehört zum einen die Entwicklung der Fähigkeit des Verbergens, die eigene Gesinnung sollte ebenso geheim bleiben wie mögliche Anschlagspläne, als Vorbild dienen Figuren aus dem amerikanischen Actionkino. Die Jihadisten werden gewissermaßen zu Agenten im Dienste des radikalen Islamismus ausgebildet, und dazu gehören auch Fähigkeiten im physischen Kampf, der ein zentrales Thema des Mujahid Guide ist. Besonders hervorgehoben ist in dem Werk kurioserweise ein Selbstverteidigungssystem das vom Erzfeind Israel erfunden wurde: Krav Maga.

„Der Mujahid Guide ist von pädagogischer Kommunikation durchzogen“, resümieren die Autoren. „Den Mittelpunkt seines Anliegens bildet die Vermittlung von Wissen und Werten im Medium der Kommunikation.“ Ganz grundsätzlich empfehlen Körner und Staller, dass die Pädagogik sich künftig verstärkt mit der pädagogischen Kraft vom Milieus am Rand der Gesellschaft befasst: mit Hooligans, Rockergangs und eben Islamisten.

Text: Daniel Theweleit