„Die Wiederaufnahme der sportlichen Aktivitäten ist ein dringendes Gebot der Stunde"

Wichtige OP-Termine werden verschoben, Vorsorgeuntersuchungen abgesagt, der Alkoholkonsum ist gestiegen, viele Menschen bewegen sich weniger – dies sind nur einige Beispiele dafür, dass die veränderten Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben können. Gleichzeitig startet am kommenden Wochenende die Fußball-Bundesliga mit dem Spielbetrieb. Die Debatten dazu werden teils emotional geführt. Daher ist es Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln, ein Anliegen, die Sichtweise der Präventionsmedizin in den Fokus der Diskussion zu rücken. Die Redaktion führte mit dem Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Prävention ein Interview.

Professor Predel, welche Aspekte vermissen Sie in der derzeitigen öffentlichen Diskussion rund um die gesundheitlichen Gefahren durch Corona?

Ich möchte zunächst betonen, dass wir dank der hervorragenden Expertise von Virologen und des konsequenten Handelns von Politikern die erste Phase der Corona-Pandemie in Deutschland sehr gut bewältigt haben. Nun befinden wir uns aber in einer zweiten Phase, in der meiner Meinung nach, die Debatten rund um die Probleme mehrdimensional geführt werden müssen. Es werden nun nach und nach Lockerungen umgesetzt, das hat starke Kontroversen ausgelöst. Aus Gründen der Gesundheitsvorsorge und Präventivmedizin befürworte ich die eingeleiteten vorsichtigen Lockerungsmaßnahmen ausdrücklich, die zum Beispiel wieder mehr sportliche Aktivitäten ermöglichen.

Welche gesundheitlichen Folgen kann die Angst vor einer Corona-Infektion sowie eine soziale und räumliche Isolation wie die der vergangenen Wochen aus sport- und präventionsmedizinischer Sicht für die Menschen haben?

Ich halte es tatsächlich für ein großes Problem, wenn Menschen medizinische Vorsorgeuntersuchungen bewusst vermeiden oder wichtige OP-Termine verschoben werden. Das haben wir alles in den letzten Wochen gesehen, zum Beispiel, dass notwendige Eingriffe bei Herzerkrankungen nicht durchgeführt wurden oder Patienten den Gang ins Krankenhaus meiden, weil sie sich nicht in die Isolation dort begeben wollen. Dies kann massive Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsvorsorge haben. Auch sollten die psychosozialen Folgen von Isolation und Einsamkeit nicht unterschätzt werden.

Welche gesundheitlichen Langzeitfolgen befürchten Sie?

Wir sehen in ersten Studien negative Auswirkungen, zum Beispiel Gewichtszunahme, Bewegungsmangel oder einen erhöhten Alkohol- und Tabakkonsum. Soziale Ungleichheiten werden verstärkt. Existenzängste und Sorgen befördern Suchtverhalten; das sind alles Beispiele dafür, dass sich Verhaltensmuster in Krisenzeiten vertiefen und langfristig zu sehr ernsten Konsequenzen führen. In der Präventivmedizin und Gesundheitsvorsorge wurde in den letzten Jahren viel erreicht, zum Beispiel ist die Bedeutung eines gesundheitsorientierten Lebensstiles mehr im Bewusstsein der Menschen angekommen. Die Leute nehmen Präventionsmaßnamen wahr und wissen, dass Bewegung und gesunde Ernährung wichtig sind. Es wäre schlimm, wenn das Erreichte durch die Krise zunichtegemacht würde. Es ist zu befürchten, dass sich diese Langzeitfolgen auch in steigenden  Erkrankungs- und auch Todeszahlen niederschlagen werden. Hieraus ergeben sich durchaus komplexe Überlegungen, die in künftige intelligente ‚Lockerungskonzepte‘ einfließen müssen. Wir müssen mehr denn je in unseren Entscheidungen das Für und Wider der aktuellen Einschränkungen abwägen.

Was halten Sie davon, dass bald wieder breitensportliche Aktivitäten anlaufen und ab dem kommenden Wochenende wieder Fußball-Bundesliga gespielt wird?

Die Aufnahme der sportlichen Aktivitäten – natürlich unter Beachtung der Hygiene-und Abstandsregeln – befürworte ich ausdrücklich. Hier sind besonders die freizeitsportlichen Aktivitäten in Vereinen, Fitnessstudios, Parks und anderen Bewegungsräumen hervorzuheben. Ich unterstütze auch, dass in NRW ab Juni wieder Teamsport möglich sein soll. Eine durchaus mutige Entscheidung, und natürlich wird man das sehr genau beobachten müssen, aber gerade für Kinder und Jugendliche, die sich in den vergangenen Wochen wenig bis gar nicht bewegt haben, ist Teamsport sehr wichtig. Insgesamt müssen wir aktiv Aufklärungs- und Kommunikationsarbeit leisten, damit die geplanten Lockerungen gerade im Sport gefahrlos umgesetzt werden können.

Die Fußball-Bundesliga ist ein sehr kompliziertes, emotional aufgeladenes Thema; hier sind keine einfachen Antworten möglich und führen in der Diskussion zu nichts. Grundsätzlich bin ich gegen Privilegien für den Profifußball, aber die Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Profis erfolgt ja unter erheblichen Auflagen und Restriktionen: ‚Geisterspiele‘ ohne Zuschauer, praktisch Dauerquarantäne für die Spieler und Trainerstäbe sowie laufend Corona-Testungen. Auch ist der Fußball für viele Menschen eine Art ‚Lebenselixier‘ in schwierigen Zeiten – ein Aspekt, der nicht einfach vom Tisch gewischt werden kann. Ich würde mich allerdings dafür stark machen, die anderen Sportarten nicht aus den Augen zu verlieren, sondern den Profifußball als eine Art Vorreiter zu sehen, in dessen Windschatten dann andere folgen können.

Sie planen eine Studie zu Covid-19 bei Spitzensportler*innen. Wie soll diese genau aussehen? Was wird untersucht?

Wir planen aktuell eine routinemäßige Diagnostik des Covid-19-Antikörperstatus‘ bei Spitzensportlerinnen und -sportlern, um festzustellen, wer bereits mit dem neuartigen Coronavirus infiziert war. In unserem DOSB-lizenzierten Untersuchungszentrum führen wir verpflichtende sportmedizinische Untersuchungen bei Kaderathletinnen und -athleten durch, das sind jährlich rund 900 Sportlerinnen und Sportler. Wir wollen damit in erster Linie natürlich unserer ärztlichen Verantwortung für die von uns betreuten Athletinnen und Athleten gerecht werden.

Aufgrund dieses speziellen Patientenkollektivs können wir aber wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse über Covid-19 gewinnen, indem wir bei Athletinnen und Athleten, die an die Grenzen ihrer kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit gehen, wie durch ein Brennglas beobachten können, ob und welche Kurz- und Langzeitfolgen bei Covid-19 auftreten können. Mit diesen Untersuchungen wollen wir ab nächster Woche starten. Die Testungen sind zunächst bis zu den olympischen Sommerspielen in Tokio 2021 geplant. Sollten Auffälligkeiten zutage gefördert werden, auch darüber hinaus.