Der Kult des Körperkults

Der eine ist von Kopf bis Fuß tätowiert, die andere zeigt ihr antrainiertes Sixpack im bauchfreien Oberteil, wieder jemand anderes verbringt den Urlaub im Spa- und Fitness-Retreat. Viele Menschen streben nach körperlicher Attraktivität und sind bereit, dafür viel Zeit und Geld zu investieren. Die Gesamtheit dieser Anstrengungen um die Pflege bzw. Entwicklung des Körpers wird als Körperkult bezeichnet. Doch woher kommt dieser Kult? Welche Rolle spielen heutzutage die sozialen Medien? Und ist Body Positivity die Lösung?

„Der Körper war schon immer wichtig. Alle historischen Epochen kannten gesellschaftliche Körperkonzepte. Das ist nicht allein typisch für unsere moderne Gesellschaft. Schauen wir beispielsweise in die Antike. Wir alle kennen die Skulpturen von antiken Schwerathleten mit wohlproportionierten Muskeln. Oder die Darstellung der Götter, mit ihren kraftvollen Körpern“, erklärt Swen Körner, Professor für Trainingspädagogik und Martial Research. Später, im Barockzeitalter, waren es die übergewichtigen Menschen, denen positive Attribute zugeschrieben wurden. Man setzte Körperfülle mit Wohlstand gleich. Auch noch in den 1970er- und 1980er-Jahren wurde körperliche Fülle gleichgesetzt mit Macht und Durchsetzungsfähigkeit. Körner: „Wenn wir in die Forschungsliteratur schauen, dann sehen wir eine historische Kontinuität. Das Konstante ist, dass der Körper eine Rolle spielt, aber in welche Richtung die Norm tendiert, ist durchaus von Wandlung gekennzeichnet. Typisch für unsere moderne Gesellschaft ist die Einbettung von Körperlichkeit in Errungenschaften der Moderne, wie zum Beispiel die Massenmedien.“ Nie war es einfacher, sich direkt zu vergleichen, und viele Möglichkeiten, den eigenen Körper zu verändern, gehören heute selbstverständlich zu unserem Alltag. Sie reichen vom schlichten Make-up bis zu Schönheitsoperationen in der Klinik, deren Zahl seit 1990 kontinuierlich zunimmt. Im Jahr 2021 zählte die International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) weltweit rund 30,4 Millionen Schönheitsoperationen. Im Jahr 2010 waren es noch 16 Millionen weniger. Der beliebteste Schönheitseingriff der Deutschen ist die Fettabsaugung. Im Schnitt gaben sie dafür im Jahr 2023 4.260 Euro aus.

Auf der Suche nach Vorbildern
Ob bei Instagram, TikTok oder Snapchat – überall finden sich perfekte Gesichter, makellose Körper. Und die Reichweite der Social-Media-Kanäle ist groß. Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2022 nutzen 56% der 14- bis 29-Jährigen täglich Instagram (Snapchat 36%, TikTok 29%). Auf sie und alle anderen Nutzer*innen prasselt eine regelrechte Bilderflut ein, die geprägt ist von aufwändig inszenierten Idealen. „Acuh das Vergleichen mit anderen und die Orientierung an anderen gab es schon immer. Besonders Kinder und Jugendliche sind auf der Suche nach Vorbildern, an denen sie sich orientieren können, da sie in ihrem Körperbild noch nicht gefestigt sind. Die Möglichkeiten sind heute nur ganz andere“, ordnet Körner ein und ergänzt: „Wir sind in den sozialen Medien mit stereotypen Körperbildern konfrontiert und Idealen, die oft kaum erreichbar sind. Dies wiederum beeinflusst die Art und Weise unserer körperlichen Selbstinszenierung auf sozialen Netzwerken und unterstützt eine dauerhafte Konzentration auf äußerliche Merkmale.“

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Die neue Währung nennt sich Follower

Auch für die allermeisten Spitzensportler*innen gehört es zu ihrem Alltag dazu, auf verschiedenen Social Media-Plattformen aktiv zu sein. Sie geben ihren Fans und Followern einen Einblick in ihren Trainingsalltag und ihr Leben als Profisportler*in. Die Kanäle werden verstärkt zur Einnahmequelle, weil Athlet*innen sich hier vermarkten und ihre Sponsoren präsentieren können. Aber auch negative Kommentare bis hin zu Hate Speech und Sexismus gehören zur Wahrheit dazu. Viele Profisportler*innen haben bereits über entsprechende Erfahrungen berichtet. Fußball-Natio- nalspieler Robin Gosens hat zum Beispiel gesagt: „Der Druck von außen wird durch die sozialen Medien immer schlimmer, mitunter unerträglich. Was denkt sich User XY dabei, wenn er schreibt, was für ein ‚H****sohn‘ ich sei, der ‚sterben soll‘, weil er ‚viel zu schlecht für Atalanta‘ ist? Wo ist da die Hemmschwelle?“. Auch für Sprinterin Gina Lückenkemper ist Social Media nicht nur Segen, sondern auch Fluch: „Fluch, weil eben auch negative Kommentare kommen und die Negativität von anderen Leuten sich auf Dauer auch einfach auf einen übertragen kann. Man muss wirklich lernen, sich so etwas nicht zu Herzen zu nehmen.“

Zweideutige Komplimente oder sexistische Nachrichten

Solch krasse Erfahrungen hat Spoho-Studentin Majtie Kolberg zum Glück noch nicht machen müssen. Die 23-Jährige ist 800-Meter-Läuferin, war in diesem Sommer Dritte und 2022 Zweite bei den Deutschen Meisterschaften und Neunte bei der EM 2022. Sie ist vor allem auf Instagram aktiv und dort mit über 50.000 Followern erfolgreich. Auf ihrem Kanal präsentiert sie sich in erster Linie als Spitzensportlerin, gibt Einblicke ins Trainingslager oder postet von Wettkämpfen. Als Influencerin bezeichnet sie sich nicht. Ihre Kooperationen und Sponsorenverträge wählt sie – passend zum Leistungssport – sehr genau aus und identifiziert sich stark damit. „Das ist mir sehr recht, denn ich möchte mich auf Instagram frei bewegen, mich wohl fühlen und das posten, worauf ich Lust habe“, erzählt sie. An ihrem Privatleben lässt sie ihre Follower daher nur sehr begrenzt teilhaben. Der Großteil der Nachrichten, die sie über den Kanal erhält, ist positiv, wertschätzend und lieb. Aber auch zweideutige Komplimente oder sexistische Nachrichten sind mitunter dabei, die sich zum Beispiel auf ihr Aussehen oder ihr Outfit beziehen. „Diese Inhalte versuche ich zu ignorieren und nicht an mich ranzulassen“, sagt Majtie. Um von solchen Infos nicht abgelenkt zu werden, lässt sie das Handy beim Training oder Wettkampf immer in der Tasche oder schaltet den Flugmodus ein. Sie hat sich also einen bewussten Umgang mit Social Media angeeignet.

Bewusster Umgang mit Social Media

Spoho-Mitarbeiterin Wiebke Dierkes gibt genau zu diesem Themenfeld, zum bewussten Umgang mit Social Media, Workshops. An den Kursen nehmen Nachwuchsleistungssportler*innen aus NRW im Rahmen der Initiative mentaltalent teil. Die Gruppen besprechen hier unter anderem, inwiefern die Social Media-Nutzung die sportliche Leistung beeinflusst. Die Forschung hat bereits herausgefunden, dass Social Media-Nutzung demotivieren und frustrieren und sich negativ auf den Selbstwert und das Selbstvertrauen auswirken kann. „Das kann sich zum Beispiel bemerkbar machen, wenn Sportler*innen nach der Nutzung schlechter schlafen, wenn sie merken, dass sie schlechter drauf sind oder den Druck verspüren, ständig auf Kommentare antworten oder kreativen Content kreieren zu müssen, um etwa mit der Konkurrenz mitzuhalten“, nennt Wiebke Dierkes konkrete Beispiele. Sie zeigt in den Workshops anhand von Studien, dass eine 30-minütige Handynutzung vor dem Training oder Wettkampf die kognitiven Fähigkeiten der Sportler*innen negativ beeinflusst. Das heißt zum Beispiel, dass sie nicht so effektiv trainieren und nicht so gut Entscheidungen treffen können.

Zufriedenheit mit dem eigenen Körper

Dass soziale Medien sich stark auf die Körperzufriedenheit und das Wohlbefinden junger Menschen auswirken, haben Studien auch außerhalb des Sports längst gezeigt. So sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann unlängst (Zitat aus der Kölnischen Rundschau vom 24. Juli 2023): „Die Beschäftigung mit den sozialen Medien kann die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper erhöhen.“ Damit berief er sich unter anderem auf Studienergebnisse von Professorin Eva Wunderer, Psychologin für Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut, die 2019 die erste Studie zu sozialen Medien und Essstörungen in Deutschland durchführte. Den prägenden Einfluss von sozialen Medien führt sie auf vier wesentliche Grundbedürfnisse zurück, die wir Menschen haben: Zugehörigkeitsgefühl, Orientierung und Kontrolle, Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung sowie Lustgewinnung und Unlustvermeidung. Die sozialen Medien bedienen genau diese Bedürfnisse, was erklärt, warum sie einen so großen Einfluss auf junge Menschen haben (Quelle: Podcast „nachgeforscht“, #2 Von Aristoteles bis Zuagroast).
Seit mehr als 25 Jahren erhebt die Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)-Studie Daten zur Gesundheit und zum Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen im Alter von 11, 13 und 15 Jahren in Deutschland, unter anderem auch zur Körperzufriedenheit. Auffällig sei, erklärt Professorin Astrid Schubring, Sport- soziologin an der Sporthochschule, dass die Altersgruppen, die weniger zufrieden mit ihrem Körper sind, tendenziell jünger werden: „Gaben vor einigen Jahren eher die 15-Jährigen an, unzufrieden mit ihrem Körper zu sein, sind es heutzutage schon die 11- beziehungsweise 13-Jährigen.“ In der Studie heißt es: „Zugleich lässt sich in diesem Alter ein Anstieg der Häufigkeit von Körperbildproblemen feststellen. Letztere sind oft mit gesundheitsriskanten Maßnahmen wie Diäten oder exzessivem Sport, bis hin zu Essstörungen, assoziiert.“ (Quelle: Journal of Health Monitoring 2020 5(3); https://hbsc.org/network/countries/germany/). Auch ein anderes Ergebnis gibt Anlass zur Sorge: 2021 kamen laut Kinder- und Jugend- report der DAK-Krankenkasse 40 Prozent mehr Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Essstörung ins Krankenhaus als 2019.
 

Körperideale im Schulsport

Um dem vorzubeugen, hat sich Professorin Schubring mit dem Körperbild und den Körperidealen von Jugendlichen befasst, und zwar im Rahmen eines Best Practice-Projekts, das sie an der Univer- sität Göteborg in Schweden durchführte. An zwei Schulen wurde mit den Schüler*innen der Oberstufe (16-18 Jahre) im Sportunterricht das Thema Körperideale behandelt. „In der Jugendphase ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und Körperbild besonders stark. Der Körper verändert sich, Jugendliche entwickeln ihre eigene, auch sexuelle Identität. Gleichzeitig vermittelt der Sport mitunter stereotype Körperideale, und im Sportunterricht werden Fitnessideale weitergegeben. Wir haben festgestellt, dass viele Sportlehrer*innen unsicher sind, wie sie mit diesem Spagat in ihrem Unterricht umgehen können und daher das Thema Körperideale, obwohl Teil des Lehrplans, teils meiden“, erklärt Schubring den Projektansatz. Sie und ihre Kolleg*innen entwickelten deshalb zusammen mit Sportlehrer*innen Unterrichtsmodule, die zum einen Wissen über die Entstehung und die Konsequenzen von Körperidealen vermittelten und zum anderen die Schüler*innen dazu anregten, sich kritisch mit Körperidealen auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit Fragen wie: Welche Körperideale beeinflussen dich? In welchen sozialen Kontexten fühlst du dich in deinem Körper wohl? „Die Rückmeldung der Schülerinnen und Schüler war positiv. Körperideale empfinden sie als sehr relevant. Einige teilten persönliche Erfahrungen, andere disku-tierten über Körperideale in sozialen Medien oder kulturelle Unterschiede“, sagt Schubring. Ihr Fazit der Studie: Der Sportunterricht nutzt sein Potential bislang nur sehr bedingt, zu einer sozial kritischen Gesundheitsbildung beizutragen und gleichzeitig Jugendlichen positive Körpererfahrungen zu vermitteln. Dafür braucht es innovative didaktische Konzepte, die sich an unterschiedliche Schülergruppen anpassen lassen, aber auch eine angemessene Vorbereitung der Lehrer*innen.

Den Körper lieben, wie er ist

Warum der Körper seit Bestehen der Menschheit eine so tragende Rolle in unserem Leben einnimmt, ordnet Wissenschaftler Swen Körner so ein: „In Situationen von Ungewissheit gibt uns der Körper ein Gefühl von Konkretheit. Der Körper macht Sinn, wenn alles andere vielleicht gerade keinen Sinn macht. Den Körper kann ich fühlen, den Körper kann ich erleben. Gleichzeitig ist er natürlich auch die Präsentationsfläche unserer persönlichen Identität.“ Mittlerweile etabliert sich in unserer Gesellschaft ein neuer Körpertrend: Die Bewegung „Body Positivity“ protestiert gegen gängige Schönheitsideale und setzt sich dafür ein, alle Arten von Körpern zu akzeptieren und bestärkt die Menschen darin, sich mit dem eigenen Körper wohl zu fühlen. Der gleichnamige Hashtag gehört zu den meistgenutzten auf Instagram und TikTok. Verschiedene Kosmetikfirmen setzen dieses Selbstverständnis in ihren Werbekampagnen um; das Wort „übergewichtig“ wird immer häufiger durch den Begriff „mehrgewichtig“ ersetzt. Eine Forschungsgruppe aus England und Australien führte 2019 eine Studie durch, bei der 200 Frauen Instagram-Posts vorgelegt bekamen: Eine Gruppe erhielt Fotos von schlanken, durchtrainierten Models, die andere Gruppe Posts aus der Body Positivity Community. Das Ergebnis: Die Body-Positivity-Posts besserten die Laune der Frauen, die Model-Fotos hingegen schlugen ihnen auf die Stimmung. Body Positivity könnte also ein Weg zu einem gesünderen und vor allem zufriedeneren Leben sein. Kritiker sagen, dass auch hier immer noch zu sehr der Körper in den Mittelpunkt gerückt wird. Die Body-Positivity-Bewegung habe gute Absichten, der permanente, auf das Aussehen bezogene Selbstbewertungsprozess bliebe aber bestehen. Der neueste Trend gegen Schönheitswahn im Netz heißt Body Neutrality. Body Neutrality bedeutet, das eigene Selbstwertgefühl nicht an das äußere Erscheinungsbild zu koppeln. Der Körper wird nicht bewertet – weder negativ noch positiv. Stattdessen geht es darum, den eigenen Körper zu respektieren. Es muss nicht immer Liebe sein, aber eben auch kein Hass.

Text: Julia Neuburg, Lena Overbeck

Schon gewusst?

  • 40% mehr Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren kamen 2021 mit einer Essstörung ins Kranken-haus – im Vergleich zu 2019
  • 41,5% der Mädchen und 30,4% der Jungen finden sich zu dick
  • 80% der Deutschen ab 14 Jahren nutzen täglich das Internet
  • #bodypositivity Unter dem Hashtag finden sich auf Instagram mehr als zehn Millionen Fotos, auf denen sich Menschen mit einem Körper abseits der Norm zeigen