Nr. 9/2018

SpitzensportlerInnen und ihre Karriere nach dem Sport

SpitzensportlerInnen werden Fähigkeiten wie Disziplin, Zielstrebigkeit, Ausdauer, Belastbarkeit nachgesagt. Kompetenzen, die nicht nur im Sport Erfolg versprechen, sondern auch im Beruf. SpitzensportlerInnen dürften also die perfekten ArbeitnehmerInnen sein. Der Haken: Für LeistungssportlerInnen stellt die Vereinbarung von sportlicher und beruflicher Laufbahn oftmals eine zentrale Herausforderung dar. Hier setzt ein Forschungsprojekt an, an dem auch die Abteilung Leistungspsychologie der Deutschen Sporthochschule Köln beteiligt ist.

Be a Winner In Elite Sports and Employment before and after Athletic Retirement“ (B-WISER) verfolgt das Ziel, auf Basis von Onlinebefragungen von SportlerInnen und Kooperationspartnern des Sports Methoden und Verfahren zu entwickeln, um LeistungssportlerInnen künftig noch besser auf den beruflichen Einstieg bzw. die berufliche Laufbahn vorzubereiten und zu unterstützen. Das auf zwei Jahre angelegte Projekt (1.1.2017-31.12.2018) wird von der Vrije Universiteit Brussel koordiniert und ist in fünf Arbeitspakete eingeteilt, von denen die ersten drei bereits abgeschlossen sind. Das Projektteam der Deutschen Sporthochschule Köln besteht aus Univ.-Prof. Dr. Markus Raab, Dr. Babett Lobinger, Sinikka Heisler und Franziska Kalde. Weitere Projektpartner sind Janine Bischoff von der Adecco Group Germany sowie Sven Baumgarten und Laura Hohmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

Im ersten Projektabschnitt (Arbeitspaket 1) wurden die athletenspezifischen Förderstrukturen und Unterstützungsangebote in sechs europäischen Ländern (Belgien, Italien, Schweden, Slowenien, Spanien, Deutschland) analysiert. Die befragten Stakeholder (N=169) vertraten Spitzensportorganisationen (53%), Bildungseinrichtungen (14%), Arbeitsvermittlungsagenturen (13%) oder Arbeitgeber der SportlerInnen (10%). Im Fokus der Analysen standen die Aufgaben und Verantwortungen dieser Kooperationspartner. Etwa 80% der befragten Stakeholder betonten etwa, dass sie es als notwendig erachten, aktiven oder ehemaligen LeistungssportlerInnen eine spezielle Unterstützung zu bieten. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu einer Tatsache, die wiederum bei der Befragung der SportlerInnen selbst deutlich wurde (Arbeitspaket 2): Ein Großteil der LeistungssportlerInnen hält eine spezielle Unterstützung nicht für relevant oder ist sich nicht bewusst, dass es entsprechende Angebote für ihre Zielgruppe gibt. Nur 38 Prozent der europäischen SportlerInnen-Stichprobe (N=924) gaben an, entsprechende Beratungs- und Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen.

Dabei wurden die befragten LeistungssportlerInnen gemäß unterschiedlicher Karrierephasen in drei Athletengruppen kategorisiert: aktive LeistungssportlerInnen, in der Berufsvorbereitung befindliche ehemalige LeistungssportlerInnen und ehemalige LeistungssportlerInnen, die bereits in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. „Mit der Befragung der SpitzensportlerInnen wollten wir eine Einschätzung zu ihrer Beschäftigungsfähigkeit und ihrer Integration in den Arbeitsmarkt erhalten“, erklärt Projektmitarbeiterin Franziska Kalde die Zielsetzung.

Europaweit wurden 924 LeistungssportlerInnen zu ihrem aktuellen Karrierestand, zum sportlichen Karriereende, zu beruflichen Zielen, beruflicher Zufriedenheit und angenommenen Unterstützungsangeboten befragt. Auch zu den individuell wahrgenommenen Herausforderungen und Hindernissen sowie zu den sozialen und berufsspezifischen Kompetenzen gaben die SportlerInnen ihre Einschätzungen ab. Innerhalb der europäischen Stichprobe waren 74% aktive LeistungssportlerInnen, 5% befanden sich in der Berufsvorbereitung und 21% im ersten Beschäftigungsverhältnis.

In Deutschland füllten 106 SportlerInnen über alle Sportarten hinweg den Athletenfragebogen aus, der über den DOSB als Kooperationspartner an aktuelle und ehemalige KaderatheltInnen verschickt wurde. „Als größte Herausforderung gaben die LeistungssportlerInnen in allen drei Karrierestufen an, dass es für sie schwierig ist, die berufsspezifischen Kompetenzen zu entwickeln, die für den Beruf nötig sind. Das liegt vor allem an den mangelnden zeitlichen und finanziellen Ressourcen“, nennt Projektmitarbeiterin Sinikka Heisler ein wesentliches Ergebnis. So hätten LeistungssportlerInnen zum Beispiel relativ geringe Möglichkeiten, Praktika zu absolvieren, Einblicke in die Berufspraxis zu erhalten und ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Vor allem den Antworten der Athletengruppe, die sich in der Übergangsphase Sport/Beruf befand, sind deutlich niedrigere Werte bei den selbst eingeschätzten sozialen Kompetenzen zu entnehmen, etwa hinsichtlich Führungsqualität oder Selbstbewusstsein. „Im Vergleich zu den anderen beiden Athletengruppen scheint in dieser Umbruchphase eine geringere Zufriedenheit vorzuliegen. Daraus schließen wir, dass Beratung und Unterstützung gerade in dieser Übergangsphase wichtig sind, zum Beispiel berufsspezifische Vorbereitung und psychologische Unterstützung, die helfen, mit der neuen Lebenssituation erfolgreich umzugehen“, schlussfolgern die Projektmitarbeiterinnen. Stattdessen sei es häufig so, dass die SportlerInnen ihre Karriere beenden und aus den bewährten Strukturen und Unterstützungssystemen herausfallen. „Bei den ehemaligen LeistungssportlerInnen, die bereits im Beruf sind, war die Kontaktaufnahme am schwierigsten. Leider, denn eigentlich ist die Phase nach dem Ende der aktiven Sportkarriere besonders interessant für das Projekt“, sagt Franziska Kalde. Ein Ergebnis aus dieser Gruppe besagt, dass mehr als 60 % der ehemaligen SportlerInnen, die den Berufseinstieg erfolgreich geschafft haben, im Sportsektor geblieben sind.

Neben den Stakeholdern aus dem Sport und den LeistungssportlerInnen umfasst B-Wiser auch qualitative Interviews mit Unternehmen (Arbeitspaket 3), die aktuelle oder ehemalige SpitzensportlerInnen beschäftigen. Von der Sporthochschule wurden in Deutschland drei Unternehmen befragt: der Personaldienstleister Adecco, die KMPG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und das Wohnungsunternehmen Vonovia. Die Erfahrungsberichte sind durchweg positiv, allerdings sind Umfang und Umgang bei der Beschäftigung von AthletInnen ganz unterschiedlich. „Die Strukturen in den Unternehmen sind sehr schwer vergleichbar, es gibt eine weite Spanne an Erfahrungen, angefangen bei einem Unternehmen, das erstmals mit einem Leistungssportler zusammenarbeitet, bis hin zu einem Personaldienstleister, der ein eigenes Athletenprogramm mit verschiedenen Flexibilisierungsangeboten besitzt“, skizziert Kalde die Ergebnisse aus den deutschen Interviews, die derzeit mit denen der europäischen Projektpartner zusammengeführt werden. Eine Erkenntnis: Die befragten Unternehmen übernehmen Verantwortung für die Duale Karriere von SpitzensportlerInnen und sehen in der Kommunikation der Unterstützungsmöglichkeiten eine zentrale Aufgabe.

Derzeit ist B-Wiser bei Projektschritt 4 angekommen, bei dem es um die Entwicklung einer Tool-Box mit verschiedenen Tools für alle Athletengruppen geht. „Die Tools werden momentan in der Praxis getestet und von Athleten und Beratern evaluiert“, erklärt Franziska Kalde. Unter „Tools“ sind verschiedene Instrumente und Methoden zu verstehen, anhand derer zum Beispiel die sportlichen, beruflichen oder psychosozialen Ziele der SportlerInnen herausgearbeitet werden können; Prioritätensetzung, Stärken/Schwächen-Analyse oder das Präzisieren individueller Interessensgebiete sind weitere Aspekte, die letztlich für die berufliche Laufbahn der LeistungssportlerInnen entscheidend sind. „Welche berufsspezifischen Kompetenzen fehlen noch, und wie können diese erworben werden? Die Tools sollen helfen, unter anderem diese Fragen zu beantworten“, sagt Kalde. Die Evaluation der Tools und der europäische Vergleich stehen zwar noch aus, das deutsche Projektteam ist aber überzeugt, dass Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Laufbahnberatung bereits gut aufgestellt ist. „Viele Unterstützungsleistungen sind im deutschen Sport bekannt und werden regelmäßig eingesetzt. Der internationale Austausch bringt für alle Nationen einen großen Mehrwert. Besonders die Projektpartner aus der Praxis wie Adecco Germany und DOSB können  hier guten Input liefern“, erklärt Kalde die Grundidee des Projekts, dass die verschiedenen Nationen voneinander lernen können. Dieser Austausch soll auch bei der B-Wiser-Abschlusskonferenz am 12. Dezember in Brüssel im Vordergrund stehen. „Hier werden die endgültigen Ergebnisse vorgestellt, und wir werden Empfehlungen und Konsequenzen diskutieren, die aus dem Projekt in die Praxis getragen werden können“, kündigen die Projektmitarbeiterinnen an.

Text: Julia Neuburg